Kämpfen um das Überleben auf der verlorenen Insel Russlands

Moviekritik: Ostrov
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Auf der Insel Ostrov leben Iwan und seine Familie in Armut. Iwan betreibt illegalen Fischfang, um seine Familie ernähren zu können. Die Inselbewohner:innen kämpfen um das Überleben, gegen Alkoholismus und für die eigene Identität, die immer noch auf der Zugehörigkeit zur Sowjetunion und dem Sieg im zweiten Weltkrieg aufgebaut ist.

 

Die Beschreibung des Filminhalts ist kurz, denn in der Geschichte der Inselbewohner:innen geschieht nicht viel. Stattdessen wird die Situation auf Ostrov in Bildern mit ausgebleichten Farben geschildert. Man ist dabei, wenn die Familie gemeinsam isst und reichlich Schnaps dazu trinkt (auch die Jugendlichen). Wir erleben, wie Iwan zum Fischfang auf das Meer hinausfährt, in ständiger Angst, von der Küstenwache erwischt zu werden. Der Gedenktag zum Kriegsbeginn der Sowjetunion mit den nationalsozialistischen Deutschen wird ebenfalls gezeigt. Kontext zu Ursachen und spezifischen Zusammenhängen werden dem Publikum aber praktisch nicht gegeben.

 

Der Fischer Iwan und sein Boot. (©DokLab GmbH)

 

Zwischen diese Bilder setzen die Filmemacher immer wieder eindrückliche und scheinbar metaphorische Aufnahmen von Tieren: Ziegen, die unter einem einstmals imposanten und nun eingestürzten sowjetischen Bau Zuflucht suchen, stolze Pferde, die ungebändigt über die Insel traben, Heuschrecken, welche Zentimeter für Zentimeter unaufhaltsam über die Insel hüpfen, unwillig, ihr Leben aufzugeben.

 

Insgesamt geht es um diese Eindrücke einer Welt, welche für die meisten Zuschauer:innen weit entfernt von der eigenen Realität ist. Man taucht sofort ein in diesen von Extremen geprägten Lebenskontext, voll von einst hübschen Gesichtern, die entweder durch das Wetter kantig wurden oder durch den Alkohol aufquollen. Die Konfrontation mit einer uns so unbekannten Realität ist wohl der grösste Mehrwert der Sichtung des Films.

 

Eindrücke auf der Insel Ostrov. (©DokLab GmbH)

 

Dazwischen tritt immer wieder ein weiteres Gesicht auf, das sowohl den Inselbewohner:innen wie auch den Zuschauer:innen wohlbekannt ist. Vladimir Putin spricht immer wieder aus dem Fernsehen zu den Frauen und Männern auf der Insel, die sich dadurch bestärkt fühlen in ihrem Glauben, der Mann in Moskau werde sie bald erhören und ihnen aus der Armut zurück zum angeblichen Reichtum verhelfen, den die Insel einmal besessen haben sollte. Es entsteht der Eindruck, dass Iwan und seine Familie keinen Fernsehauftritt von Putin je verpassen. Man erhält auch eine Ahnung davon, wieso Putin nach wie vor an vielen Orten eine ziemlich hohe Zustimmung hat; die Propaganda scheint zumindest auf Ostrov zu funktionieren. Die Menschen auf der Insel sind zwar dem Staat gegenüber misstrauisch und pessimistisch eingestellt. Sie sind aber gleichzeitig überzeugt, dass es die lokalen Mächtigen sind, welche das Problem darstellen, während Putin in Moskau für das gemeine Volk kämpft.

 

Nachdem Einstiegs in einer Szene auf dem offenen Meer der Protagonist beim illegalen Fischen gezeigt wird, mag man auf mehr solcher Momente hoffen. Diese bleiben mehrheitlich aus. Allerdings schildert der Film nahbar Momente in der Familie und im Familienleben, die einem das Verständnis der Situation auf der Insel näherbringen und die eigene Empathie gegenüber Menschen mit ganz anderem Hintergrund anregen.

 

Die Situation einer mittellosen Familie auf einer verlorenen Insel im Meer vermittelt viel über die politischen und sozialen Umstände des modernen Russlands.

 

  • Ostrov (CH 2021)
  • Regie: Laurent Stoop und Svetlana Rodina
  • Gerne: Dokumentarfilm
  • Sprache: Russisch
  • Untertitel: Englisch, Französisch, Deutsch
  • Filmlänge: 92 Minuten
  • Kinostart: 16. Dezember 2021

 

Jonas Stetter / Do, 16. Dez 2021