Joseph Beuys - Einer wie keiner
Mit Filzhut und Weste sitzt Beuys vor der Kamera, ein freches Grinsen umspielt seinen grossen Mund, bevor er zu den ersten Sätzen ansetzt: «Nehmen wir an, man steht vor einer Gruppe von Menschen, dann ist es am besten, wenn man alle zur gleichen Zeit erreicht. Man hat also eine Vorstellung von dem, was in den Menschen vorgeht. Gute Leute haben da immer grosse Fähigkeiten entwickelt.» Und ab. Während die Dokumentation über Beuys beginnt, bleiben diese vagen Worte ohne weitere Erklärung im Raum stehen. Erst im Verlauf des Filmes wird dann klarer, was der deutsche Aktionskünstler damit meint - oder meinen könnte. Seine Worte lassen manchmal Raum für Interpretationen.
Auf den ersten Blick wirkt Joseph Heinrich Beuys überheblich, arrogant, selbstgefällig und auf jeden Fall exzentrisch. Gleich in den ersten Szenen des Films feiert sich der Künstler selbst - nachdem er sich mit Wasser hatte übergiessen lassen. Auf den zweiten Blick zeigt sich dann zunehmend ein anderes Bild um die Person Beuys. Er ist nicht nur schräg und provokant, er ist auch sensibel, nachdenklich, engagiert und ein Visionär.
Drei Jahre Arbeit in den Film investiert
Der deutsche Autor und Filmregisseur Andres Veiel hat während drei Jahren intensiv an diesem Film gearbeitet. Er hat Unmengen an Videomaterial und Fotos gesichtet, und mit Dutzenden Bekannten von Beuys gesprochen. So ist ihm ein ehrlicher Film - zu 90% aus Archivmaterial - gelungen, der den Zuschauer ganz nah an den echten Beuys heranlässt. Diese Nähe zum hageren Künstler wird durch die vielen Gross- und Detailaufnahmen noch verstärkt. Die Bilder, meist in schwarz und weiss, weisen einen hohen Grad an Ästhetik auf. Sie werden oftmals als Negativstreifen, als Polaroid-Fotos oder als parallel laufende Videosequenzen gezeigt. Veiel variiert zwischen unruhigem Bildmaterial und lässt daraufhin eindringliche Standbilder folgen. Genauso verhält es sich mit der Musik: Mal sind es schnelle und skurrile Töne, danach kommt wieder Stille. Es scheint, als würden die unsteten Bilder und die verzerrte Musik das facettenreiche Leben und Leiden des Künstlers abbilden.
Selbst wer Beuys schon kennt, dürfte bei dieser unbeschönigten und vielschichtigen Dokumentation überrascht werden. Sie handelt vom kühlen Elternhaus, dem Flugzeugabsturz im Krieg, seinen ersten Aktionen, seiner depressiven Phase, seiner unermüdlichen Arbeit mit seinen Studenten und seinem politischen Einsatz. Gänzlich ausgeklammert wird aber sein Familienleben. Man erfährt weder etwas über seine Frau, noch über seine beiden Kinder.
Beharrlicher Denker und Macher
Beuys ist bekannt für seine Werke wie «Die Honigpumpe am Arbeitsplatz», «Die Fettecke» oder «7000 Eichen». Einmal hat sich Beuys sogar mit einem Kojoten in einen Käfig einsperren lassen. Fett und Filz sind für ihn zentrale Materialien - nicht zuletzt weil sie Wärme spenden und Schutz bieten. Beuys ist überzeugt, dass jeder ein Künstler sein kann, und dass alles Kunst ist. Seine Anliegen: «Ich will das Bewusstsein der Menschen erweitern», oder «Man muss das Ding der Kunst erweitern.» Der in Krefeld geborene Visionär prägte den «erweiterten Kunstbegriff» und dehnte die Kunst auf fast alle Bereiche des Lebens aus, beispielsweise auf die Gesellschaft oder die Politik.
Sein Freund Franz Joseph van der Grinten lobt den Künstler als einen Menschen mit grosser Ausstrahlung und Wärme. Caroline Tisdall, eine Mitarbeiterin seiner Projekte, beschreibt Beuys als Menschen mit einem grossen geistigen Spektrum und einem Feingefühl für Sprache. Dass dies so ist, davon können sich die Zuschauer gleich mehrfach überzeugen. Der deutsche Künstler, der in Interviews fast dauernd eine Zigarette im Mundwinkel hängen hat, kontert mit scharfen Antworten und beweist zudem eine Menge Humor. So wortgewaltig wie seine Reden, so umtriebig ist auch sein Leben. Ein beharrlicher Denker und Macher, der von sich selbst sagt: «Man muss sich verschleissen.»
- Beuys (Deutschland 2017)
- Regie: Andres Veiel
- Laufzeit: 107 Minuten
- Kinostart: 1. Juni 2017