Gus van Sant bleibt seltsam brav

Moviekritik: Restless

 

Drei Jahre nachdem er für Milk einen Oscar in Empfang nehmen durfte, meldet sich Gus van Sant zurück. 

 

Enoch und Annabel geniessen den Herbst ihrer Beziehung.

 

Seit der Teenager Enoch seine Eltern verloren hat, lässt er nichts und niemanden mehr an sich heran. Er fliegt wegen einer Prügelei von der Schule, treibt sich ziellos auf Geleisen herum und besucht Beerdigungen von Leuten, die er nicht kennt. So treibt er ruhelos im Fluss des Lebens, bis er eines Tages Annabell trifft. Sie rettet ihn, als er bei einer Trauerfeier erwischt wird, und stellt auch gleich sein ganzes Leben auf den Kopf. Der verschlossene Enoch und die jede Sekunde ihre Lebens geniessende Annabel freunden sich an, verbringen viel Zeit miteinander und verlieben sich schliesslich. Enoch beginnt langsam sich ihr zu öffnen. Doch die anfänglichen Luftschlösser fallen schnell in sich zusammen. Annabel hat Krebs und nur noch drei Monate zu leben.

 

Mühe mit dem Tod

 

Restless hinterlässt gemischte Gefühle. Nicht unbefriedigt, aber irgendwie ratlos verlässt man den Kinosaal. Gus Van Sant ist bekannt dafür, dass er es versteht, auf Jugendliche und deren Probleme filmisch und sehr sensibel einzugehen. Elephant oder auch Paranoid Park sind Beispiele dafür. Bei Restless funktioniert das leider nur teilweise. Mit der Thematik des Todes scheint der Amerikaner seine Mühe zu haben. Nur so ist es zu erklären, dass sich Van Sants Film des Themas fast gänzlich verweigert und krampfhaft versucht, einen positiven Entwurf für den Umgang mit der Krankheit Krebs zu vermitteln. Gäbe es diesen, wäre das legitim, jedoch funktioniert der Ansatz bei Restless nur bedingt.

 

Es wird einem als Zuschauer sehr schwer gemacht, sich in die Geschichte einzufühlen.

 

 

Dass sich die Geschichte um die beiden Liebenden dreht, macht durchaus Sinn. Doch krankt der Film gerade, weil der Fokus zu sehr auf der Liebe liegt. Zwar gelingt es, nicht zu stark auf die Tränendrüsen zu drücken und die Gefahr zu einer Love-Story-Kopie zu werden, umschifft Restless elegant. Allerdings wirken die verspielten und von der Realität ablenkenden Turteleien nur eingangs amüsant. Schon nach der Hälfte des Films breitet sich Ernüchterung aus oder sogar noch schlimmer: Das Geschehen auf der Leinwand lässt einen kalt. Der Geschichte fehlt ein Schuss Realismus. Romantik hin oder her, einige Szenen, die Annabels drohendes Schicksal thematisieren, hätten dem Film und der Geschichte gut getan. Es macht den Anschein, als ob der Film sich seiner eigenen Prämisse so weit verwehrt, bis es nicht mehr anders geht. So wird es einem als Zuschauer sehr schwer gemacht, sich in die Geschichte einzufühlen.

 

Die Liebenden sind sich sehr vertraut.

 

In Erinnerung bleibt vor allem die schauspielerische Leistung. Von der lebensbejahenden und einen konsequenten Sarkasmus pflegenden Annabel ist man schnell angetan. Dies liegt nicht nur an der Skizzierung der Figur, sondern stark an Mia Wasikowska (Alice im Wunderland), die mit ihrem Spiel fasziniert. Ob sie lateinische Vogelnamen büffelt, Süßigkeiten nach Farbe, Name und Größe sortiert oder ihren neuen Freund genüsslich an der Nase herum führt – man schliesst sie sofort ins Herz. Nicht ganz so einfach hat es der männliche Gegenpart, Enoch. Wobei hier eher die Rolle schuld ist und nicht Henry Hopper. Dem Sohn von Easy-Rider-Legende Dennis Hopper gelingt es nämlich ebenfalls, sich in seine Rolle einzufühlen und den seelisch verletzten Trotzkopf glaubwürdig zu verkörpern. Eine gute Leistung, ist es doch Hoppers erste Hauptrolle.

 

Charmant, mehr aber nicht

 

Restless erzählt auf  unkonventionelle und sensible Weise von der zum Scheitern verurteilten Liebe. Dabei dienen immer wieder lange, statische Einstellungen als fokussierendes Element, das die Wahrnehmung klar auf Dialoge legt. Ruhige Schnitte und ein Wechselspiel aus warmen und kühlen Farben, das jeweils die passende Stimmung unterstreicht sowie eine ausgezeichnete Songauswahl – unter anderem Bon Iver und Sufjan Stevens – zeigen auf der stilistischen Ebene, wie herausragend der Film hätte sein können, wenn man nicht das Thema Krebs zu sehr ausgegrenzt hätte. Ein charmanter Film über die Liebe und das Sterben ist Restless trotzdem geworden. Mehr aber leider nicht.

 

  • Restless (USA 2011)
  • Länge: 91min
  • Regie: Gus van Sant
  • Darsteller: Henry Hopper (Enoch), Mia Wasikowska (Annabel)

 

 

Bildquelle: ZFF Press Pictures

Patrick Holenstein / Mi, 09. Nov 2011