Fotografien eines Lebens
Die 1907 geborene Amerikanerin Lee Miller hatte ein bewegtes Leben, das dank Kate Winslet nun im Biopic «Lee - Die Fotografin» verfilmt wurde. Zumindest Teile davon. Aber dazu später mehr. Kate Winslet erwarb vor rund zehn Jahren den alten Holztisch der Familie Penrose. Das Stück soll sie derart fasziniert haben, dass sie sich alsbald auf den Weg machte, Abklärungen für mögliche Filmrechte einer Lee Miller Biografie zu tätigen. Und sie war erfolgreich, Millers Sohn Antony Penrose stimmte einer Kooperation schnell zu. Schwieriger erwies sich die Finanzierung und Besetzung aller Positionen wie Regie, Drehbuch und Produktion. Winslet kämpfte schliesslich mehr als sieben Jahre daran, die Finanzierung sicherzustellen, bevor gedreht werden konnte. Dabei war ihr - wie sie an ihrer Masters Veranstaltung des Zurich Film Festivals verriet - wichtig, dass nur Personen an Board waren, welche Lee Miller auch selbst engagieren würde. Filmemacher, welche Winslet anboten bei «ihrem kleinen Lee Miller Film» zu unterstützen, solange sie die Hauptrolle in ihrem Film übernehme, lehnte Winslet kategorisch ab. So auch andere Personen, die Winslet die Frage stellten, warum man Lee Miller interessant finden sollte. Eine - wenn man das Drehbuch kennt - durchaus legitime Frage.
Wer ist diese Lee Miller nun und warum ist Kate Winslet derart von ihr überzeugt? Lee Miller schaffte ihren Durchbruch als Model Ende der 1920er Jahre. Sie wurde zur Muse des Künstlers Man Ray und häufig in dessen Werken eingesetzt. Dann kam es aber zum Bruch und Miller wollte sich fernab des Begriffs Muse, den Winslet missbilligt, neu definieren. Sie heiratete den ägyptischen Geschäftsmann Aziz Efoui Bey und trennte sich nach ein paar Jahren wieder von ihm. In Europa schloss sie sich mehreren Künstlern an und fing an, selbst als Fotografin tätig zu sein. 1937 - also mit 30 Jahren - lernte sie den sieben Jahre älteren britischen Galeristen Roland Penrose kennen und folgte ihm nach England. Kurze Zeit später brach der Zweite Weltkrieg aus und Miller meldete sich bei der britischen Vogue als Kriegsfotografin an. Sie reiste an die Kriegsfront in Frankreich, berichtete über die Befreiung von Paris als auch über die Schrecken des Konzentrationslagers in Dachau. Ihre Bilder gehören bis heute zu den wichtigsten Dokumentationen den Zweiten Weltkrieges und der abscheulichen Verbrechen der Nationalsozialisten. Ihr Engagement blieb aber nicht ohne Preis: sie litt später an posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen und einer Alkoholabhängigkeit. Im Alter von 70 Jahren erlag sie ihrem Krebsleiden.
Glückliche Tage vor dem Zweiten Weltkrieg an der Küste Frankreichs.
Ein bewegtes Leben, das viel Stoff für eine Verfilmung bietet. Schade wurde nun nur ein spezifisch ausgewählter Abschnitt berücksichtigt. In Zürich wurde schnell klar, dass sich Winslet in vielen Dingen mit Lee Miller identifizieren kann. Als junge Schauspielerin wurde sie ständig auf ihr Aussehen reduziert respektive auf ihre Rundungen, über welche mehr berichtet wurde als über ihr schauspielerisches Talent. Wie Miller - dies sagt Winslet in Zürich selbst - akzeptiere sie kein Nein und sei ein Dickkopf. Zudem bewundere sie Miller, wie diese immer ihre Unabhängigkeit verfolgte und keinem Mann gehören wollte. Entsprechend konzentriert sich das Drehbuch auf die starke Lee. Wir lernen sie im Film 1937 kennen, als sie mit ihren Freunden Urlaub an der französischen Küste macht. Zu diesem Zeitpunkt ist sie bereits eine gestandene Frau, ihre Karriere als Model und Muse hat sie längst hinter sich gelassen. Sie weiss, was sie will, und ist nicht scheu danach zu verlangen, sei es Sex oder Arbeit. Die grosse Charakterentwicklung fehlt. Dafür bricht der Film auch zu früh ab, thematisiert ihr Leben nach dem Krieg nur sehr kurz. Aber genau das wäre spannend. Es wäre interessant zu sehen, wie ein junges Kind, das leider die Erfahrungen von sexuellem Missbrauch erlebt hat, zu einem erfolgreichen Model wurde und weshalb sie dieses Leben später an der Seite von Man Ray ablehnte. Oder ihre Zeit nach dem Krieg und weshalb sie sich entschloss, mit Roland eine Familie zu gründen, obwohl das traditionelle Familienleben sie zuvor nie interessierte. Dies wären spannende Dinge gewesen. Oder wie sich Krieg auf die psychische Gesundheit auswirkt, auf die Familien der betroffenen Personen, wie stark ihre Kriegserlebnisse die Beziehung zu ihrem Sohn Antony beeinflusst haben. Aber als dies wird nur in zwei, drei Sätzen kurz angerissen, nie wirklich thematisiert. Schade. So bleibt Lee eine sehr unahbare Figur. Und die Frage, was an ihr berühren sollte, bleibt dadurch mehr als berechtigt.
Kate Winslet als Lee Miller an der Kriegsfront.
Ein weiterer Schwachpunkt des Filmes ist die Besetzung. Winslet - mit 49 immer noch wunderschön - ist aber keine 30 mehr, man nimmt ihr deshalb zu Beginn des Filmes nicht ab, dass sie jünger ist als Alexander Skarsgard, sondern geht von der Idee aus, Miller habe bewusst ein Interesse an jüngeren Männern, was so nicht stimmt. Die Chemie zwischen Winslet und Skarsgar ist zudem derart inexistent, dass die Schmusereien erzwungen wirken. Zudem wird im Film komplett ignoriert, dass die beiden noch eine dritte Person in ihre Beziehung liessen, den damals 57-jährigen Pablo Picasso. Davon will der Film leider nichts wissen und man fragt sich, ob er wirklich derart progressiv ist wie er sich gibt. Oder ob man dem Publikum nicht zugetraut hatte, Lee zu bewundern, auch wenn sie mit Roland nie eine konventionelle Liebesgeschichte - wie es der Film streng predigt - hatte. Weitere schwache Momente finden sich beim Ankommen an der Kriegsfront, wo sich Winslet als Lee Zugang zu einer «Pressekonferenz für Männer» verschafft, indem sie ihre Haare in ihrer Mütze versteckt, um als Mann durchzukommen. Leider wirkt dies banal und gar etwas gesucht.
Dies soll aber nicht den Eindruck erwecken, der Film sei misslungen, denn das ist er nicht. Es gibt viele Szenen, die sehr gut funktionieren. Wie jene, als Lee das Lazarett besucht und die verwundeten Soldaten fotografiert. Oder wie sie selbst miterlebt, wie Frauen öffentlich als Huren gedemütigt wurden, weil sie sich in einen deutschen Soldaten verliebt haben. Oder wie Frauen im Krieg vergewaltigt wurden, auch von den US-Soldaten, die sonst immer nur als Helden porträtiert wurden. Aber auch die letzte grosse Station ihrer Kriegsberichterstattung: die Konzentrationslager. Die Schrecken des Krieges werden hier spürbar. Hier findet zum ersten mal sowas wie eine Selbsterkenntnis bei Miller statt. Sie versteht nun, warum man sie nicht in den Krieg schicken wollte. Sie erkennt, dass sie blind ihrem Adrenalinrausch gefolgt ist und die grausamen und menschenverachtenden Folgen des Zweiten Weltkrieges für die jüdische Bevölkerung ausgeklammert hat. Im Film wird ihre persönliche politische Einstellung leider weniger als Motiv für ihren Einzug ins Kriegsgebiet genannt, sondern vielmehr ihr Drang dorthin zu reisen wo «die Action passiert». Deshalb ist es auch ein wenig verstörend, dass sie Hitlers Silbertablett mit nach Hause nahm und privat verwendete. Auch wenn dies wahrscheinlich eine Art Sieg über Hitler demonstrieren sollte.
Lee besitzt einige sehr starke und ergreifende Momente, die haben mehr mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun, als mit der titelgebenden Protagonistin. Diese bleibt bis zum Schluss eher unnahbar. Als Kriegsfilm funktioniert Lee, als Biografie leider weniger.
- Lee (2024, UK)
- Regie: Ellen Kuras
- Drehbuch: Lem Dobbs, Liz Hannah, John Collee, Marion Hume
- Besetzung: Kate Winslet, Alexander Skarsgard, Marion Cotillard, Andy Samberg
- Dauer: 116 Minuten
- Kinostart: 17. Oktober 2024