Etilaat Roz und der Fall von Kabul
«Ohne jegliche Freiheit kann ich in diesem Umfeld nicht mehr arbeiten», sagt der Herausgeber von Etilaat Roz, Zaki Daryabi, vor laufender Kamera. Der Dokumentarfilm «Etilaat Roz» begleitet die Arbeit der Journalistinnen und Journalisten der auflagenstärksten gleichnamigen Tageszeitung Kabuls während den kritischen Wochen vor, während und nach dem Abzug der Alliierten aus Afghanistan. Der Film von Regisseur Abbas Rezaie, der selbst als Journalist und Video-Reporter für die Zeitung tätig war, eröffnet das diesjährige Dok.Fest München am 3. Mai 2023.
Ein verletzter Journalist nach seiner Inhaftierung durch die Taliban. (Bildquelle: Dok.fest München, zVg)
Seit dem Abzug der NATO- und US-Truppen und der erneuten Machtübernahme der Taliban im Herbst 2021 sind gemäss der UNHCR 1,6 Millionen Menschen aus Afghanistan geflohen. Mehrere Millionen Geflüchtete leben in den Nachbarsländern. Personen, die nicht fliehen konnten, sind seither wieder der Gefahr von Gewalt und Unterdrückung durch die Taliban ausgesetzt. Es häufen sich Meldungen von schweren Menschenrechtsverletzungen. Auch der Zugang zu Beschäftigung und Bildung wird, vor allem für Mädchen und Frauen, stark eingeschränkt.
Bleiben oder fliehen?
Der Afghane Zaki Daryabi arbeitet seit zehn Jahren mit seinem Journalisten-Team in Kabul. Nur zehn der siebenundvierzig Evakuierungs-Anträge, die er für seine Kolleginnen und Kollegen von Etilaat Roz an die Regierung gestellt hat, sind bewilligt worden. Am 15. August 2021 übernehmen die Taliban die Hauptstadt Kabul. Präsident Ashraf Ghani war einige Stunden zuvor aus dem Land geflohen. Inzwischen sind Bankkonten gesperrt und die journalistische Arbeit wird zunehmend riskanter. Die Journalisten verschanzen sich in den hoch umzäunten Redaktionsbüros, versuchen das Archiv der Zeitung zu retten. Unter Tränen berichtet Zaki Daryabi in einem Videocall mit NED (National Endowment For Democracy) von den lebensgefährlichen Bedingungen, unter denen er und seine Kolleginnen und Kollegen Tag für Tag ihrer Arbeit nachgehen. Kann die Zeitung unter diesen Umständen noch weitergeführt werden?
Leben unter erneuter Taliban-Herrschaft
Seit Frühling 2022 haben sich die Lebensbedingungen in Afghanistan vor allem für Mädchen und Frauen weiter verschlechtert. Viele werden an Schulen nicht mehr zugelassen oder verlieren ihre Arbeit. Auch die Situation von Medienschaffenden, ehemaligen Regierungsangestellten oder Mitgliedern der Sicherheitskräfte bleibt angespannt. Anstelle der verkündeten Generalamnestie führten die Taliban in den ersten Wochen nach der Machtübernahme Rachefeldzüge gegen vermeintliche Gegnerinnen und Gegner, durchsuchten Häuser, inhaftierten und schlugen verdächtige Personen. Gemäss Recherchen der New York Times kam es auch zu Verschleppungen und Tötungen.
Unermüdlich setzt sich der Kopf der Redaktion von Etilaat Roz, Zaki Daryabi, für seine Belegschaft und für die Meinungsfreiheit und Gerechtigkeit der Menschen in Afghanistan ein. Obwohl eine enorme nervliche Anspannung auf ihm lasten muss, wirkt er – selbst als er die Tränen nicht mehr zurückhalten kann - gefasst und konzentriert. Die Handkamera begleitet ihn und das Team mit der gleichen Konzentration, frei beweglich und spontan, jedoch niemals zu nah, zu hektisch oder unkoordiniert.
Grosse Teile der afghanischen Zivilbevölkerung befinden sich heute laut der UNHCR aufgrund von Unterernährung in unmittelbarer Lebensgefahr. Stark gefährdet sind vor allem Kinder und die Bevölkerung in den südlichen Regionen des Landes. Der innere Konflikt, den die Journalisten während diesen Wochen der Machtübernahme durch die Taliban mit sich ausfechten, wird im Dokumentarfilm «Etilaat Roz» auch für die Zuschauer sichtbar.
- Etilaat Roz (Afghanistan, 2022)
- Regie: Abbas Rezaie
- Laufzeit: 93 Minuten
- Kinostart: n.a.
Quellenangaben:
* UNO Flüchtlingshilfe Deutschland für den UNHCR (2023.) Afghanistan: Vertriebene in grosser Not: https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/afghanistan, Zugriff 06.08.2023
Der Film wird im Rahmen des Dok.Fest München gezeigt.