Die unerträgliche Endlichkeit des eigenen Seins

Kritik: Gott, du kannst ein Arsch sein!
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© 2020 Impuls Pictures AG

In Zeiten der Corona-Pandemie werden wir vermehrt mit unserer eigenen Endlichkeit konfrontiert. Social Distancing ist unerträglich, besonders jetzt wo wir vor allem eins wollen: Leben, Rausgehen, Freunde treffen, unvergessliche Erinnerungen sammeln. Dieses Bedürfnis einen draufzumachen ist unmittelbar mit dem dauerpräsenten Gefühl «etwas verpasst zu haben» verbunden. Ähnlich wie uns geht es Steffie, der Hauptprotagonistin in «Gott, du kannst ein Arsch sein». Die 16-jährige Schülerin erfährt kurz vor der Schulfahrt nach Paris, dass sie unheilbar an Krebs erkrankt ist.

 

Wer jetzt an einen kitschigen Teenie-Film denkt, hat zugleich Recht und Unrecht. Schrödingers Katzenphänomen ist in diesem Fall folgendermassen: Ja es handelt sich um einen bittersüssen Film, ja - kein Spoiler - die schweren Teile (Haarausfall, Gewichtsverlust usw.) vor dem Ende werden ausgelassen. Ja, der Film besitzt eine Leichtigkeit, die für manche Zuschauer die Situation nicht richtig zu fassen vermag. Aber ist es falsch, sich angesichts des nahenden Endes, mit voller Fahrt ins Leben zu werfen? Ist man weniger tiefgründig deswegen? Zurzeit läuft auf Radio Virus ein Beitrag über «Death Cafés». Folgende Aussage bleibt hängen «Der Tod ist eine narzisstische Kränkung».

 

Steffie geniesst das Leben. (© UFA FICTION 2019 Thomas Kost)

 

Mit der Todesdiagnose im Kopf entschliesst Steffie (Sinje Irslinger) sich die kleinen Freuden ihres Teenie-Lebens nicht nehmen zu lassen. Sie beschliesst ihrem Freund auf die Klassenfahrt nachzureisen. Im Streuner Steve (Max Hubacher) findet Steffie einen passenden Wegbegleiter. Auch er versucht seinem eigenen Schicksal als Zirkusartist davonzulaufen. Gemeinsam stehlen sie das Auto von Steffis Eltern und brechen nach Paris auf. Dies alles zum grossen Missfallen von Steffies Eltern (Til Schweiger & Heike Makatsch), die sich wiederum ebenfalls on the road begeben und den beiden Ausbrechern nachreisen.

 

Der Film beruht auf wahren Ereignissen, Steffie gab es wirklich. Zusammen mit ihrem Vater schrieb sie ein Buch über ihre letzten Monate. Das Buch und der Film besitzen die gleiche Ausgangs- und Gefühlslage, aber erzählen unterschiedliche Geschichten. Im Zentrum steht der Wunsch bestimmte Dinge zum ersten und auch letzten Mal zu erleben. Die Liebe zum Leben bildet den Schwerpunkt, nicht die Stufen der Trauer, oder eine tiefenpsychlogische Studie, was alles in Steffie abgeht. Dies passt, da sich der Film mit seinen beiden jungen Protagonisten, den schönen Schauplätzen auf dem Roadtrip nach Paris und dem gut portionierten Galgenhumor an ein junges Publikum wendet. Was es mit dem Filmtitel auf sich hat, erfahrt ihr im  Interview mit Til Schweiter. 

 

Kurz gesagt könnte die Kernbotschaft YOLO heissen. Dies aber weniger im Sinne von Party und Exzess, sondern vielmehr in Verbindung mit der Dankbarkeit für die kleinen schönen perfekten Momente, für die guten Menschen um dich herum. Eine Botschaft, die wir alle in der Corona-Pandemie mehr als nötig haben.

 

  • Gott, du kannst ein Arsch sein (Deutschland, 2020)
  • Regie: André Erkau
  • Besetzung: Sinje Irslinger, Max Hubacher, Til Schweiger, Heike Makatsch
  • Laufzeit: 98 Minuten
  • Kinostart: 8. Oktober 2020

 

Tanja Lipak / Di, 27. Okt 2020