Die Liebe des Lebens und des Todes
Der Tod macht auch vor kultivierten Musikprofessoren nicht halt. So oder so ähnlich könnte das Fazit zu Michael Hanekes («Funny Games», «Das weisse Band») neuestem Film lauten. Das Werk wurde in Cannes mit Lob und der Goldenen Palme geehrt. Die verheirateten Musikprofessoren Anna (Emanuelle Riva, «Hiroshima mon Amour») und George (Jean-Louis Trintignant, «Der Konformist», «Auf Liebe und Tod») müssen sich mit dem Tod konfrontieren, nachdem Anna einen Schlaganfall erlitt. Obwohl beide um die 80 Jahre alt sind, scheinen sie überrascht von der Tatsache, dass das Ende langsam anrücken könnte. Diese Gegebenheit macht den Film ein wenig schwerfällig. Hier werden zwei Protagonisten vorgestellt, die ein gutes Leben geführt haben, beruflichen Erfolg genossen, eine Familie gründeten und nun ein gut situiertes Leben führen. Statt dankbar auf das erfüllte und lange Leben zurückzublicken und gelassen dem Unausweichlichen gegenüber zu stehen, machen beide auf trotzig.
Emanuelle Riva liefert eine der beeindruckendsten und besten Darbietungen des Jahres, schafft es jedoch erst sehr spät im Film auch die Herzen des Publikums zu erobern. Die nach dem Schlaganfall halbseitig gelähmte Anna macht in den letzten Monaten ihren Liebsten das Leben sehr schwer. Ihrem Mann George verbietet sie ihre Einlieferung in ein Pflegeheim, so dass sich George zunächst ganz allein um Anna kümmern muss. Mit ihrer Tochter Eva (Isabelle Huppert, «Die Klavierspielerin») möchte Anna in ihrem Zustand auch nicht mehr viel zu tun haben, trotz Evas Annäherungsversuchen. So bleibt nicht allzu viel Sympathie für die ältere Lady übrig.
Die Geschichte um George und Anna ist sehr realistisch in Szene gesetzt. Haneke zeigt ohne Skrupel das bittere Ende einer wunderbaren Liebesgeschichte, wie sie selten in der Filmwelt umgesetzt wurde. Trotzdem ist es schade, dass die Hauptstimmung des Filmes Verbitterung ist. Obwohl verständlich ist, dass der Tod kein heiteres Thema darstellt, hätte eine kleine Erholung von dieser Trostlosigkeit gut getan. Dies aus folgenden Gründen: Zum einen möchte Haneke dem Publikum eine Lektion über die Liebe und den Tod erteilen. Dabei entsteht das Gefühl, Haneke glaube, dass sich niemand sonst mit diesen Themen auseinandersetzt. Besonders was den Tod betrifft. Bei Hanekes Werk entsteht der Eindruck, als wäre Annas Schicksal völlig einzigartig und als gäbe es keine andere Person auf dem Planeten, die Ähnliches durchmachen muss wie George. Zum anderen verliert der Film durch seine ununterbrochene Ernsthaftigkeit an Erträglichkeit. Dort, wo eine Taube Annas Wunsch nach Freiheit und Erlösung versinnbildlichen soll, wird diese Taube unfreiwillig zum Lacher. Zu übertrieben wirkt die Symbolik und lässt die Tragik unnatürlich wirken. Ironischerweise berichtet George seiner Anna in einer Szene, wie gekünstelt und melodramatisch die Beerdigung eines gemeinsamen Freundes war. Es scheint fast so, als würden selbst George und Anna «Amour» als zu ernst und verkrampft empfinden, würden sie den Film im Kino sehen.
- Amour (FR/ DE/ AT 2011)
- Regie & Drehbuch: Michael Haneke
- Darsteller: Jean-Louis Trintignant, Emanuelle Riva, Isabelle Huppert
- Laufzeit: 125 Minuten
- Filmstart: 04. Oktober 2012