Die Bienen-Magierin von Mazedonien
Entspannt überquert eine Frau Wiesen und felsige Landschaften, sie klettert waghalsig an steilen Felsen entlang, stoppt schliesslich vor einer Lücke im Fels. Behutsam schiebt sie eine Schutzplatte zur Seite und blickt zufrieden auf ein Bienenvolk, das in der Felsspalte lebt. Ganz sorgfältig zieht die etwa 50-Jährige mit der blossen Hand eine Wabe aus dem Inneren des Felsens. Zufrieden schaut sie auf das triefende Flüssiggold. Gestochen wird sie nicht, jedenfalls ihrer Reaktion nach. Das liegt daran, dass die Frau – Hatidze heisst sie – die Bienen als gleichwertig ansieht und sie fast mütterlich umsorgt. Von jeder Wabe, die sie nimmt, gibt sie die Hälfte an die Bienen zurück, tröpfelt den Honig vor den Stock auf den Boden. «Die eine Hälfte für mich, die andere für euch», betet sie, wenn der Honig geerntet wird. Diese Symbiose zwischen der Imkerin und den Bienen steht als Beispiel für Umgang mit den für den Kreislauf der Natur so immens wichtigen Insekten. Die Imkerin ist die gute Seele des Berges und eine Bienen-Magierin.
Das kleine Ökosystem von Hatidze funktioniert ideal
Hatidze lebt in einer rudimentären Berghütte in der kargen Berglandschaft Mazedoniens. Gemeinsam mit der schwerkranken Mutter, die nur noch das Bett hüten kann, sowie ein paar Katzen und einem Hund. Im kleinen Bergdorf leben die beiden Frauen alleine und hier pflegt Hatidze weitere Bienenvölker in selbst gebauten Stöcken und Löchern in den Steinmauern. Regelmässig reist sie in die Hauptstadt Skopje und verkauft ihren Honig auf dem Markt. An guten Tagen bekommt sie 10 Euro für das Glas. Das kleine Ökosystem von Hatidze funktioniert ideal, ihr scheint es an nichts zu fehlen. Nur die Sprüche der Mutter, sie könne ja heiraten, lassen ihren Blick etwas glasig werden. Eines Tages lassen sich Hussein und seine Nomadenfamilie mit sieben Kindern im Dorf nieder. Die offenherzige Hatidze geht auf die Familie zu, spielt mit den Kindern und öffnet ihnen das Dorf. Doch schnell ist alles anders. Der gestresste Vater nimmt auf nichts und niemanden Rücksicht und bedroht durch seine Dummheit die Bienenvölker von Hatidze.
Hatidze im Kreis ihrer Bienen. (Filmbild © Ljubo Stefanov)
Hatidze ist nicht nur ein offener und stets positiver Mensch, sie verkörpert das gute Gewissen und ihr Handeln zeigt auf, wie tief sie mit den Insekten verbunden ist und weiss, wie sensibel die Bienen sind, wie direkt sie auf winzige Veränderungen ihres Lebensraumes reagieren. Mit der weltweit problematischen Verkleinerung der Bienenvölker durch Einflüsse, die noch nicht vollständig geklärt sind, steht die Welt vor einem Problem. Bienen sind für das globale Ökosystem unverzichtbar. «Honeyland» zeigt in der kleinen Welt in den Bergen Mazedoniens stellvertretend dafür, wie gravierend und schnell die Auswirkungen sind und wie oft schlicht Egoismus und Gier dahinterstehen. Trotzdem verurteilt «Honeyland» nie, sondern erlaubt ein feines Beobachten, das Verteilen eigener Sympathien und sich Gedanken zu machen. Das ist eine grosse Stärke des bereits mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilms von Regie-Duo Ljubomir Stefanov und Tamara Kotevska, für die es jeweils der erste abendfüllende Film ist. Ihren Job haben sie hervorragend gemacht, was gleich drei Auszeichnungen beim international renommierten Sundance Filmfestival in Utah belegen. Zudem ist das filmische Juwel bei den Academy Awards für zwei Oscars® im sehr realistischen Rennen. In der Kategorie «Bester Dokumentarfilm» und – das ist eine durchaus schöne Überraschung – als «Bester fremdsprachiger Film».
Ruhig erzählt der Film aus dem Leben von Hatidze. In poetischen Bildern fängt die Kamera ihre Geschichte ein, wenn etwa die Sonne über den Bergen aufgeht und den Tag in das Bergdorf bringt. Oder wenn die Bienen-Magierin inmitten ihrer Bienen sitzt und von ihnen umschwärmt, fast umgarnt wird und der Eindruck entsteht, die Bienen seien Vertraute. Das Gleichgewicht zwischen den hervorragend gefilmten Bildern und der faszinierenden Geschichte ist wunderbar komponiert. Erklärt wird in «Honeyland» nur in jenen Momenten, wenn Hatidze unaufgeregt erklärt, was sie gerade macht, worauf sie beim Pflegen der Bienenstöcke achtet und wie sie merkt, wann es Zeit für die Ernte ist. Mal spricht sie direkt in die Kamera, mal mit einem der Jungs aus der neuen Familie. Der clevere, neugierige Junge ist dann auch das verbindende bzw. hoffnungsvolle Element zwischen den diametral laufenden Lebensentwürfen von Matidze und Hussein. «Honeyland» ist wie ein herzliches Gedicht von Menschen und Bienen. Der Film erlaubt Einblick in die Geschichte einer Frau, die im Grunde auf sich alleine gestellt ist, allen Widrigkeiten trotzt und mit grundpositiver Einstellung durch das Leben geht. Das ist tiefbeeindruckend.
Ein poetischer, tiefmenschlicher und wichtiger Film. Voller Hoffnung, aber auch Sorgen, Verzweiflung und Zukunftsängste, bedingt durch Aspekte, auf die der Mensch keinen Einfluss hat. Selbst in der Abgeschiedenheit der mazedonischen Berge.
- Honeyland (Nordmazedonien 2019)
- Regie und Buch: Ljubomir Stefanov und Tamara Kotevska
- Laufzeit: 86 Minuten
- Kinostart: 6. Februar 2020