Die Angst vor dem Geist des Untergangs

DVD-Kritik: Take Shelter
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Im Verleih von Ascot Elite

Charles Baudelaire sagte einst: «Die Dämmerung versetzt die Wahnsinnigen in Erregung.» Im Falle von Curtis La Forche (Michael Shannon, «Revolutionary Road») ist es aber nicht die Dämmerung, sondern Blitz und Donner. Der Teamleiter einer Sandgewinnungsanlage gerät zunehmend ins Grübeln, nachdem er in seinen Träumen von Horrorvisionen geplagt wird. Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Dinge: eine furchterregende Wetterfront und seine kleine stumme Tochter Hannah (Tova Stewart). Doch handelt es sich bei den Szenarien um Sinnestäuschungen eines kranken Geistes oder um die Prophezeiung des bevorstehenden Weltuntergangs?

 

Bild 1: Curtis baut seinen Schutzkeller aus. Bild 2: Das Wetter gibt ihm Recht. (Mit Maus über Bild fahren.) 

 

In den letzten circa 20 Jahren haben sich zwei Themen in der Filmwelt etabliert: Der Weltuntergang («2012», «Melancholia», «Seeking a Friend for the End of the World», «The Day After Tomorrow», «The Happening») und die Frage nach der Realität («Vanilla Sky», «Shutter Island», «Inception», «Total Recall“, «A Beautiful Mind»). 

 

Regisseur und Drehbuchautor Jeff Nichols («Shotgun Stories») behandelt in seinem Überraschungshit «Take Shelter» beides, ohne sich für ein Thema zu entscheiden, was schlussendlich die Stärke des Films ausmacht. Curtis’ Visionen übernehmen spielfilmtechnisch nämlich nie die Überhand. Dadurch gehen zwei Bedrohungen hervor: Zum einen die Apokalypse aus Curtis’ Träumen und zum anderen Curtis selbst. Der Familienvater distanziert sich schleichend von seinem Umfeld, gibt den lieben Familienhund weg, baut seinen Schutzbunker neu aus. Gleichzeitig aber konsultiert Curtis einen Arzt, liest Bücher über Geisteskrankheiten und besucht seine an Schizophrenie leidende Mutter (Kathy Baker, «The Jane Austen Book Club»). Wie krank kann ein Mensch sein, der sich auch bewusst mit einer möglichen Störung auseinandersetzt?

 

Steht die Apokalypse bevor?

 

Diese Ambivalenz zwischen gesundem Verstand und krankem Geist meistert Michael Shannon brilliant. Er ist der Mittelpunkt des Filmes, steht nie still, sondern kämpft sich tapfer durch die ganze Handlung. Ihm dabei zuzusehen ist ein wahrer Genuss. Gleiches Kompliment gebührt Jessica Chastain («Tree of Life», «The Help»), welche als Curtis’ liebevolle Ehefrau Samantha die wohl stärkste Figur der Geschichte darstellt. Denn obwohl die stumme Tochter Hilfe braucht, der Mann psychisch angeschlagen ist und die Geldprobleme immer grösser werden, besitzt Samantha eine innere Ruhe und Stärke. Für Samantha haben die Schwierigkeiten bereits angefangen, eine bevorstehende Apokalypse ändert nichts an der ohnehin schon albtraumhaften Realität.

 

Bild 1: Zweifelt seine Familie an Curtis? Bild 2: Curtis wehrt sich bei den Behörden.

 

Dieser Realitätsbezug ist es, der Jeff Nichols Film einzigartig macht. Die Finanzkrise, die Angst vor der Arbeitslosigkeit und die Probleme mit Krankenversicherungen sind ebenso dominant, wie der Sturm in Curtis Kopf. Die Bedrohung, dass das Leben, wie wir es kennen, bald zu Ende gehen könnte, ist, wenn wir uns richtig umschauen, überall. Eine Paranoia geht umher und zu einem gewissen Teil ist jeder davon betroffen. Unter dieser Ausganglage wäre der zusätzliche exzessive Gebrauch von Spezialeffekten übertrieben. Nichols setzt die Tricktechnik daher nur minimal ein, wodurch wieder in unseren Köpfen der grösstmögliche Horror entsteht. Wenn zombieartige Wesen nach Hannah greifen oder Samantha plötzlich zur Bedrohung wird, dann vergrössert sich die beängstigende Atmosphäre. Jedoch verschwindet sie nie ganz, denn in der realen Welt warten andere Gefahren.

 

Schutz findet Curtis deshalb ironischerweise nirgendwo, auch wenn er wieder aus seinen Albträumen erwacht. Diese Trostlosigkeit und Ausweglosigkeit wird optisch durch die weite, graue und flache Landschaft Ohios ergänzt. Tornados und heftige Stürme sind hier keine Seltenheit und die Chance, dass Curtis Visionen Wirklichkeit werden sind gross. Zudem erinnern Szenerie und Figuren stark an apokalyptische Zombiefilme (wie beispielsweise an das Remake von Romeros «The Crazies») und vergewissern, dass es im Falle des Falles zu keinem Stilbruch käme. Ausgehend davon, befinden wir uns als  Publikum in einen Wartesaal. Alles ist und bleibt möglich. Ob uns dies gefällt oder nicht. Und Donnergeräusche werden uns somit auch lange nach Ende des Films in eine unangenehme Stimmung versetzen.

 

 

  • Take Shelter (USA 2011)
  • Regie: Jeff Nichols
  • Drehbuch: Jeff Nichols
  • Besetzung: Michael Shannon, Jessica Chastain, Tova Stewart, Shea Whigham, Katy Mixon, Natasha Randall
  • Laufzeit: 116 Minuten
  • DVD/Blu-Ray im Verkauf ab  21. August 2012

 

Tanja Lipak / Fr, 31. Aug 2012