Anon oder der Fehler im System
In einer Welt, in der alle Menschen verbunden sind und über die Netzhaut direkt Informationen und Werbung konsumiert werden, braucht es Regeln. Dafür ist Sal Frieland (Clive Owen) in einer Spezialeinheit der Polizei zuständig. Die Polizisten haben die Macht über das geistige Auge der Menschen. Bei einem Verbrechen wird zeitnah über den Server geprüft, was das Oper zuletzt gesehen hat, ergo wer das Verbrechen begangen hat. Als jedoch plötzlich Menschen umgebracht werden und die letzte Ansicht nicht den Mörder, sondern den Mord zeigt, wird die Spezialeinheit aufmerksam. Relativ schnell ist klar, dass jemand das System hackt, Files umprogrammiert, Ereignisse auslöscht. Allerdings ist rasch eine Verdächtige gefunden. Sal trifft sich mit ihr und gibt sich als Kunde aus. Doch damit löst er eine folgenschwere Verkettung aus.
Als Zuschauer dauert es einige Minuten, bis man sich an die graphische Umsetzung gewöhnt hat, sich mit der visuellen dargestellten Vernetzung, die für die Geschichte wichtig ist, arrangiert hat. Aber dann ist man mitten in einer eigentlich grässlichen Dystopie. Wollen wir wirklich, dass jeder Moment des Lebens in einem System festgehalten wird? Von traurigen über lustige bis zu lustvollen Erlebnissen? Solche Fragen stellt der Film sehr subtil mit fortschreitender Geschichte. Denn sicher ist ja nur, dass jedes System ausgenutzt werden kann. Zwar bleiben in dieser Welt Verbrechen nicht mehr ohne Bestrafung, doch wer hat die Macht. Wer kontrolliert? Was passiert, wenn Missbrauch betrieben wird? Der gläserne Mensch in Reinkultur.
Dass der Menschen machmal etwas naiv ist, verdeutlicht im Film ein Satz von Clive Owen: «Was ist das für eine Welt, in der uns der Mörder nicht verrät, wer er ist?» Ab diesem Moment beginnt der Polizist langsam klarer zu sehen, beginnt auch zu hinterfragen und merkt bald am eigenen Leib, wie hart es ist, wenn das System von den falschen Leuten kontrolliert wird. In Zeiten von Facebook & Co. ist diese Naivität und Systemtreue nicht so ferne Vision. «Anon» zeigt einen Zukunftsentwurf, der schnell mal zur Dystopie wird. Zwar in der Realität noch nicht möglich, wären Kontrollfanatiker bestimmt für ein System der totalen Überwachung zu gewinnen. Solche Fragen wirft der Film auf.
Geschickt in die Thematik eingeführt wird man schon nach wenigen Sekunden. Clive Owen geht auf der Strasse an einer Frau vorbei und sieht ein «Error: Unknown», denkt sich aber nicht viel dabei. Hier kommt die Stärke von Regisseur und Drehbuchautor Andrew Niccol ins Spiel. Der Neuseeländer hat schon mit «In Time» gezeigt, dass ihm die Mischung aus Sozialkritik und Thriller wunderbar gelingt. Das schafft er auch in «Anon». Zwar ist dieser kühl und sytlisch inszeniert, aber das unterstützt die Geschichte und zieht sich bis zum Schluss konsequent hin. Dazu kommt ein staubtrockener Humor. Wenn Sal zu seinen Kollegen kurz vor dem Treffen mit der Verdächtigen meint «Sie will in der einzigen Währung bezahlt werden, die nicht gehackt werden kann: Bargeld. Wisst ihr noch?» kann man sich ein Schmunzeln schwer verkneifen, aber dieses bleibt fast im Hals stecken, denn ein Kern Wahrheit ist dabei. Schliesslich sind wir gerade mit Vollgas dabei, das tägliche Leben zu digitalisieren.
«Anon» ist ein spannender Thriller, dem es gelingt, über die Entwicklungen in der Realität nachzudenken.
- Anon (Deutschland 2018)
- Regie und Drehbuch: Andrew Niccol
- Release27.09.2018
- Schauspieler: Amanda Seyfried, Clive Owen, Colm Feore, Sonya Walger
- Länge: ca. 100 Minuten
- Im Handel: 25. Oktober 2018