Ryan Coogler: Es hätte mich treffen können

Interview mit Ryan Coogler
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Im Verleih von Ascot Elite

Bäckstage traf Ryan Coogler, Regisseur von «Fruitvale Station», am letztjährigen Zurich Film Festival. Dort erzählte uns der Filmkünstler, wie er die Rassenfeindlichkeit in den USA erlebt, warum er Filmemacher geworden ist und wie es sich als Sundance- und Cannes-Gewinner anfühlt. Unsere Filmkritik findet ihr HIER.

 

An der Premiere in Zürich sagtest du, dass es dich hätte treffen können. Wie hast du das gemeint?

Er (Oscar Grant, Anm. d. Red.) sah aus wie ich, auf dem kleinen Bild der Handykamera. Ich hätte mich so angezogen wie die Leute im Video und meine Freunde auch. Ich kenne den Ort, war schon viele Male dort, hätte theoretisch dann auch dort sein können. Wenn jemand, der dir gleicht, an einem Ort, den du kennst, getötet wird, nimmt dich das ungeheuerlich mit. Und Streitigkeiten mit Sicherheitsleuten und Polizisten kenne ich selbst schon zu genüge.

 

Wie das? Was hast du erlebt?

Verschiedene Sachen. Klassische «falscher Ort zur falschen Zeit»-Situationen. Dann wird man sofort durchsucht, ohne wirklich was getan zu haben. Nur dort zu sein ist schon verdächtig. Man fühlt sich dann vor allem hilflos. Natürlich auch frustriert und wütend, aber vor allem hilflos und entmannt. Wirklich sehr gedemütigt und auch sehr geängstigt. Plötzlich hat man von der einen Minuten zur anderen Angst ins Gefängnis zu kommen und dort verletzt zu werden.

 

Warst du deshalb an Oscar Grant´s Geschichte interessiert?

Ja, definitiv. Ich finde es interessant, wie wir Menschen funktionieren, wie wir konstant Situationen und Menschen bewerten. Und wir bewerten und beurteilen sie über all die Sinne, die wir haben. Wenn wir jemanden sehen, ohne ihn gehört zu haben, beurteilen wir das, was wir sehen, also nur das äussere Erscheinungsbild dieser Person. Wir setzen sie in eine Kategorie, gut - böse, klug - dumm. Wenn hier jemand reinspazieren würde und schweizerisch aussähe, würden wir sofort annehmen, dass er Schweizer ist. Wenn er dann perfekt britisch sprechen würde, wäre es schon ein Engländer für uns. Und wenn du dann erfährst, dass er ähnlich wie du aufgewachsen ist oder von einem ähnlichen Ort kommt wie du, dann fühlt man sich sofort verbunden, auch wenn dies zu Beginn gar nicht vorstellbar gewesen wäre. Durch all diese Gemeinsamkeiten entsteht Nähe. Aber das Allererste, das wir haben, ist das Aussehen und wenn die Person schwarz ist, dann wird meist gar nicht versucht Gemeinsamkeiten aufzubauen.

 

Was müsste sich in Amerika verändern?

Ich sehe dies nicht als amerikanisches Problem, sondern als ein menschliches Problem. Wenn wir ausgehend von der Hautfarbe, also dem Aussehen, auf die Werte eines Menschen schliessen. Leider ist nicht jeder mit dem gleichen Level an Menschlichkeit gesegnet und dies ist für mich das Hauptproblem.

 

Inwiefern konntest du mit deinem Film aufrütteln?

Es ist sehr schwer als Mensch, andere Menschen zu verändern und es ist schwieriger für einen Film, Menschen zu verändern. Aber ein Film kann Menschen zum Nachdenken bringen. Und ich denke, dass diese Gedanken schlussendlich einiges verändern können. Niemand verändert sich über Nacht, Erfahrungen machen den Menschen aus uns, der wir sind. Und wenn wir durch einen Film die Erfahrungen mit dem Hauptprotagonisten teilen, erleben wir wie es ist jemand anderes zu sein. Und ich hoffe, dass deshalb mein Film zumindest einige Leute aufzurütteln schafft.

 

Ryan Coogler am Set von «Fruitvale Station» mit Hauptdarsteller Michael B. Jordan.

 

Dein Film gewinnt die Herzen des Publikums im Sturm. Du wurdest gleich zweimal am letztjährigen Sundance Film Festival ausgezeichnet und einmal in Cannes …

Ja, das war unglaublich. Also allein schon die Tatsache, dass der Film überhaupt gemacht wurde. Der Erfolg an den Festivals freute mich natürlich sehr und vor allem die Tatsache, dass der Film einen guten Verleiher fand. Ohne Publikum kann man schliesslich als Künstler keine Botschaften vermitteln. Und jetzt kommt der Film auch international in die Kinos, das freut mich sehr.

 

Bekommst du im Moment viele Angebote?

Das System in der Hollywood-Industrie funktioniert so, dass sie weniger Angst haben, dir etwas zu geben, sobald du auf ihrem Radar bist. Dann senden sie dir von Zeit zu Zeit auch etwas zu. Aber ich schreibe im Moment sowieso lieber selbst. Im Moment schreibe ich gerade an einem ebenso gesellschaftskritischen Drehbuch wie «Fruitvale Station», doch es dreht sich um die Welt des Sports. Aber es ist noch nichts spruchreif.

  

Wie bist du eigentlich zum Film gekommen? Also generell und speziell zu deinem Erstling «Fruitvale Station», den Forest Whitaker produziert hat.

Ich war 17 Jahre alt, als ich anfing Chemie zu studieren. Eigentlich wollte ich davor noch Footballer werden und als das nicht sein sollte, entschied ich mich Arzt zu werden. Dann war ich zusätzlich noch in einem Leistungskurs zum kreativen Scheiben und meine damalige Lehrerin ermutigte mich beim Schreiben zu bleiben. So wechselte ich zum Filmstudium und fing an Drehbücher zu schreiben. Forest Whitakers Produktionsfirma sah einen meiner Abschlussfilme, kontaktierte mich, ich erzählte von meiner «Fruitvale Station»-Idee und der Rest ist Geschichte.

 

Eine sehr erfolgreiche Geschichte. Vielen Dank für das spannende Interview und für die Zukunft alles Gute. Wir sind gespannt was du uns als Nächstes zeigst.

 

Tanja Lipak / So, 22. Jun 2014