Jeremy Irons: «Ich singe nur noch für Freunde oder im Pub.»

Interview mit Jeremy Irons
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Am Tag der Galapremiere von «Nachtzug nach Lissabon» traf Bäckstage Oscarpreisträger Jeremy Irons im Hotel Bellevue in Bern zum Interview. Seine immense Präsenz war bereits von weitem spürbar. Irons sass auf einem Stuhl vor den geöffneten Balkontüren und rauchte eine Zigarette als ich das Zimmer betrat. Ohne danach gebeten zu werden, schnappte Irons einen Stuhl und platzierte ihn neben dem seinen und stellte das aufnehmende Gerät zu seiner rechten. Diese Bodenständigkeit und Offenheit präsentierte er auch im Gespräch über das Berner Nachtleben, seine Fehlbesetzung in «Nachtzug nach Lissabon» und seine Rolle in der TV-Serie «Borgias».

 

Welche Erinnerungen haben Sie an die Dreharbeiten hier in Bern letztes Jahr?

Oh, sehr glückliche Erinnerungen. Aber auch kurze. Wir waren nur zwei Tage hier. Trotzdem war es wunderbar nach Bern zu kommen. Ich kannte die Stadt zuvor nicht. Ausserdem liebe ich Städte, die an Flüssen gelegen sind. Ich liebe diese grossen, hohen Brücken hier und die Architektur der Läden. Die Arkaden sind perfekt, weil man trotz Schnee und Regen das Einkaufen geniessen kann. Ja, ich habe glückliche Erinnerungen an Bern, sehr glückliche. Und an die Menschen. Diese gewisse Langsamkeit in Bern und das angenehme Tempo haben mich fasziniert. Es steht ganz im Gegensatz zu London und New York, wo alles sehr schnell gehen muss.  Dort haben die Menschen nicht viel Zeit füreinander. In Bern ist das ganz anders. Hier haben sie Zeit zum Plaudern und das ist sehr schön.

 

Haben Sie den Roman «Nachtzug nach Lissabon» vor der Filmproduktion gekannt?

Nein, ich habe vom Roman erst erfahren, als ich gebeten wurde den Film zu machen. Dann habe ich das Buch gelesen und liebte es. Als ich mit dem Buch unterwegs war, kamen plötzlich Menschen auf mich zu und sagten «Das ist mein Lieblingsbuch». Das war sehr kurios, weil ich zuvor nie davon gehört habe. Es ist ein sehr interessantes Buch. Es stellt den Lesern Fragen wie «Was tust Du mit deinem Leben? Ist es das, was Du tun willst?». Das sind sehr wichtige und gute Fragen, wie ich finde. Ich habe vermutet, dass es ein schwer umzusetzendes Buch sein wird, da viel Philosophie darin enthalten ist. Aber Bille (Regisseur August, Anmerkung der Redaktion) hat eine sehr konzentrierte Version erstellt, wie ich finde, die den Geist des Buches einfängt. Was ist Ihr Gefühl? Wie fanden Sie es?

 

Ja, es ist eine verkürzte und verdichtete Version, einige Figuren wie Florence oder Fatime werden nicht behandelt, aber das stört nicht gross. Das Wesen des Buches ist da.

Ja, das Wesen des Buches ist da, das glaube ich auch.

 

Einige Kritiker haben aber vielleicht damit zu kämpfen, dass Gregorius - der Held der Geschichte, den Sie verkörpern - sich nach nur 15 Minuten Spielzeit entschliesst, sich in den Nachtzug nach Lissabon zu setzen…

Ja, es gibt einige Dinge, für die man im Film nicht genügend Zeit hat. Das ist das Problem, verstehen Sie mich?

 

Absolut. Der Film ist ein anderes Medium als das Buch.

Genau, es ist ein anderes Objekt. Ich denke, es ist in einer Weise nicht fair, die beiden zu vergleichen. Aber es ist legitim zu fragen, ob das eine das Wesen des anderen reflektiert. Es ist, als habe man einen Diamanten und ein Gemälde des Diamanten vor sich. Es sind zwei völlig verschiedene Gegenstände, aber vermag das Gemälde Ihnen ein Gefühl für den Diamanten zu geben? Wenn es ein gutes Gemälde ist, dann tut es dies vielleicht. Ok, das ist vielleicht keine gute Analogie, aber Sie verstehen was ich meine, es ist ein anderes Medium.

 

Sind Sie ein Hobby-Philosoph?

Ich glaube, ja, aber ich verbringe nicht viel Zeit damit über Philosophie zu reden, aber wenn ich über sie stolpere, liebe ich sie. In dieser Weise bin ich ein wenig wie Gregorius. Was ihn an Amadeus´ Buch fasziniert, ist ja, dass er dort Ideen niedergeschrieben fand, die auch irgendwo in seinem Kopf schlummerten. Wenn wir auf ein Buch treffen, das im übertragenen Sinne unsere Sprache spricht, unsere ungeformten Gedanken teilt, dann fühlen wir uns mit dem Buch verbunden. Jemand anderes hat unsere mäandernden Gedanken verfestigt. Und das macht uns natürlich klar, dass wir die gleiche Menschlichkeit teilen. Die gleichen Ängste und Sorgen. Ich liebe historische Biographien, ich lese viele Biographien, ich mag es festzustellen, dass auch andere Menschen in ihrem Leben auf die gleichen Gedanken und Probleme gestossen sind wie ich in meinem.

 

Gregorius (Jeremy Irons) rettet einer fremden Frau (Sarah Bühlmann) auf der Kirchenfeldbrücke in Bern das Leben.

Welche Ähnlichkeiten haben Sie mit Gregorius?

Wir haben sehr wenige Ähnlichkeiten. Jedes Mal, wenn ich zur Arbeit fahre, steige ich in einen Nachtzug nach Lissabon. Ich entdecke neue Menschen. Ich liebe es, mehr über fremde Menschen zu erfahren, neue Ortschaften zu erkunden und in verschiedenen Welten zu leben. Damit verdiene ich mein Geld. Aber was Gregorius und mich verbindet, ist, dass wir gleich gross sind (lacht). Aber wir denken anders. Obwohl ich mich häufig auch für sehr langweilig halte, wie Gregorius.

 

Glauben Sie, dass sie die richtige Wahl für Gregorius waren?

Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, wir sehen uns auch nicht sehr ähnlich. Gregorius habe ich mir ein wenig älter, kahler vorgestellt und uncharismatisch. Und als Darsteller glaube ich, ein gewisses Charisma zu besitzen. Dieses musste ich für die Rolle in gewisser Weise aber unterdrücken.

 

War das schwierig?

Hmm, ich glaube, zum einen braucht er auch ein klein wenig Charisma, weil es ja auch eine Liebesgeschichte gibt und für das Publikum muss Gregorius sehenswert sein. Ich hoffe, dass einer der Gründe weshalb ich die Rolle erhielt, derjenige war, dass ich mich sehr komfortabel dabei fühle, Charaktere zu spielen, die sehr wenig tun. So dass die Zuschauer trotzdem die Wandlung in ihm sehen, auch wenn ich nichts Grosses mache. Durch diese Produktion wurde ich daran erinnert, wie viel mit kleinen Gesten erreicht werden kann. Als Schauspieler muss man manchmal weniger handeln. Statt viel zu spielen muss man mehr denken und irgendwie überträgt sich das dann auch nach aussen, wie man wahrgenommen wird. Vor Jahren spielte ich bei einer Serie namens «Brighton Revisited» mit. Jene Figur war Gregorius ähnlich. Charles war ein einfacher Mann, der diese wunderbare aristokratische Familie kennenlernt und von ihr aufgesogen wird. Er war die ganze Zeit der Beobachter, der die Zuschauer in die Handlung hineinzog, sie das gleiche empfinden liess wie er. Und so tut das auch Gregorius in diesem Film.

 

Sie spielten also Gregorius, obwohl sie sich nicht für den richtigen Darsteller fühlten?

Wenn ich die Wahl hätte treffen müssen, hätte ich mich nicht gewählt.

 

Wen hätten Sie für Gregorius besetzt?

Wen würde ich wählen? Ich weiss nicht…vielleicht Anthony Hopkins, Geoffrey Rush oder William Hurt…

 

Wie war die Zusammenarbeit mit Bille August?

Wunderbar. Ich habe mit Bille für «House of Spirits» bereits vor Jahren zusammengearbeitet, also kannte ich ihn. Und ich mochte ihn, mochte die Art, wie er arbeitet. Er ist sehr präzise, schnell und er ist sehr höflich. Auf seinen Sets geht’s immer sehr fröhlich zu und her. Er weiss was er will, ganz im Gegensatz zu vielen Regisseuren, die einfach alles drauf los filmen, bis die Schauspieler von den Szenen erschöpft und gelangweilt sind. Bille hat einen guten Geschmack, er passt die Darstellungen in kleiner Weise an, so dass alles zusammen passt und funktioniert. Man kann ihm vertrauen, deshalb geniesse ich es, mit ihm zu arbeiten. Für mich gibt es keinen besseren Regisseur.

 

Jeremy Irons spielt in «Nachtzug nach Lissabon» unter anderen mit der deutschen Schauspielerin Martina Gedeck.

Und wie war die Zusammenarbeit mit den anderen Schauspielern?

Ebenfalls wunderbar, weil alle sehr gute Darsteller sind. Leider habe ich mit den Youngsters nicht gedreht, aber mein Gott, wir hatten grosses Glück, denken Sie nur an Bruno Ganz. Oder Martina Gedeck, eine Schauspielerin, die ich in «Das Leben der anderen» gesehen habe und die mich stark beeindruckt hat. Ich habe sie in Budapest getroffen als ich dort drehte und sie einen Film mit Istvan Szabo machte (The Door, Anmerkung der Redaktion). Wir verbrachten ein wenig Zeit zusammen und ich mochte sie wirklich. Als sie dann für den Part der Mariana vorgeschlagen würde, fand ich das fantastisch. Charlotte Rampling, ebenfalls eine gute Darstellerin, mit der ich zuvor bereits gedreht habe. Und der portugiesische Darsteller, an dessen Namen ich mich gerade nicht erinnern kann, derjenige, der den Hotelbesitzer spielt. Ich liebe ihn, wir hatten sehr viel Spass am Set. Lena Olin, eine weitere Spitzen-Darstellerin, mit welcher ich bereits in Casanova spielte. Wenn man mit so vielen guten Darstellern arbeitet, fällt es einem sehr leicht. Es trägt sehr zum Vergnügen bei. Es waren sehr glückliche Dreharbeiten, was selten ist, aber diese Dreharbeiten waren wirklich sehr schön.

 

Sie konnten auch sehr schöne Ortschaften besuchen…

Absolut. Ich liebe Portugal, trotzdem war ich das letzte Mal für den Dreh zu «House of Spirits» dort. Doch dieses Mal an einen völlig anderen Teil, in der Altstadt von Lissabon, die sehr krümelig, romantisch und einfach wunderbar ist. Wir können uns für diese Dreharbeiten sehr glücklich schätzen, es ist nicht immer so schön.

 

Gregorius ist Lehrer am Berner Kirchenfeld-Gymnasium. Wenn Sie Lehrer wären, welches Fach würden Sie unterrichten?

Nun, ich würde wohl Schauspiel unterrichten, da dies mein Beruf ist. Seltsamerweise wünschte ich mir in gewisser Weise, dass wir alle einen Nachmittag in der Woche etwas unterrichten würden. Sie verbringen beispielsweise einen Nachmittag damit über Journalismus, oder übers Schreiben zu erzählen. So könnten wir unseren Enthusiasmus für unsere Arbeit den Kindern weitergeben. Ich denke, dass Lehrer einen tollen Job erledigen, mit allem was sie tun und wie sie es Jahr für Jahr wieder tun. Ich denke, jeder hat etwas in seinem Leben, dass er an Schüler weitergeben kann, dass den Kindern dabei hilft, ein besseres Verständnis vom Leben zu erhalten. Ich denke, das sollte etwas sein, dass wir den Kindern auf regulärer Basis anbieten.

 

 

Ihre letzte TV-Produktion ist eine Serie namens «Borgias». Denken Sie, die Episodenform ist für einen Darsteller interessanter, weil die Figuren mehr und längere Zeit für eine Entfaltung besitzen?

Das ist die Freude, genau. Ich habe nun 30 Stunden von Borgias gedreht, das sind in etwa 15 Filme mit demselben Charakter. Die Herausforderungen an die Drehbücher steigen dadurch. Es wird wichtig sicherzustellen, dass die Bücher nicht einfach eine Wiederholung der Geschehnisse in verschiedenen Arten darstellen, sondern die Charaktere ausgebaut werden und eine Inkonsistenz teilen, das macht sie dann auch erst interessant. Weil wir alle eben inkonsistent sind und uns so in unserem Wesen verhalten. Shakespeare beispielsweise war ein Dichter, der diesen Aspekt besonders gut zur Geltung brachte. Normalerweise sind Charaktere in Filmen eher konstant, weniger in Büchern, wo mehr Möglichkeiten für Inkonsistenzen bestehen. Inkonsistenz erlaubt es, einen Schauspieler Tiefen und die wahre Realität darzustellen. Es ist also ein grosses Privileg für mich in dieser Serie zu spielen. Alexander ist zudem ein sehr interessanter Man, ein aussergewöhnlich breit angelegter Mann, ein grosser Administrator, ein Mann Gottes, und doch auch ein Mann mit enormen sinnlichen Appetit. All diese Facetten zusammen vermischen zu dürfen, macht mir grossen Spass.

 

In Kürze kommt erneut ein Film mit Ihnen heraus «Beautiful Creatures». Was dürfen wir erwarten?

Mir wurde gesagt, dass der Film zum «Twilight»-Genre gehört, aber ich habe «Twilight» nicht gesehen, deshalb kann ich das nicht genau sagen. Mein Sohn Max hat ebenfalls einen neuen Film namens «The Host» (Von «Twilight»-Autorin Stephenie Meyer geschrieben, Anmerkung der Redaktion), der auch zu diesem Genre gehört. In «Beautiful Creatures» spiele ich die Vaterfigur Macon Ravenwood. Er wird als Inkubus beschrieben, aber ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht ganz sicher, was unter einem Inkubus zu verstehen ist (Ein Inkubus ist eine Art seltsamer Traum-fressender Dämon, Anmerkung der Redaktion). Er ist jemand, der so wurde, wie es von ihm verlangt war, wie es bei vielen Menschen einfach so ist. Die Geschichte spielt im Süden von Virginia in den Vereinigten Staaten. Macon ist ein Mann, der allein lebt und dabei glücklich ist. Ein Herr von grossem Style, Scharfsinn und Wissen. Aber die Geschichte ist im Grunde eine Liebesgeschichte zwischen den zwei Jugendlichen.

 

Christopher Lee gestand im Interview heute, dass er ein Heavy-Metal Album herausbringt.

Macht er das nun wirklich?

 

Ja. Er ist mit seinem Gesang darauf vertreten. Wie sieht es mit Ihnen aus? Können Sie sich vorstellen für ein Musikalbum zu singen oder für ein Musical wie «Les Misérables»?

Ich glaube, meine Stimme ist dafür nicht gut genug (lacht). Die Darsteller in «Les Misérables» haben alle eine ausgezeichnete Stimme.  Aber ich habe früher ein bisschen gesungen als ich jünger war. In musikalischen Theateraufführungen. Aber wann habe ich zuletzt gesungen? (Überlegt). Ich machte eine Aufnahme für «My fair Lady» zusammen mit Kiri Te Kanawa, aber das ist jetzt schon Jahre her. Heute singe ich nur noch für Freunde oder im Pub.

 

Werden wir Sie heute in Bern in einem Pub singen hören?

Ich befürchte, dafür habe ich nicht genug Zeit (lacht). Gibt es hier in Bern eigentlich viele gute Musiklokale?

 

Nein, leider gibt es nicht so viele zum selber Singen; eigentlich praktisch kein einziges gutes Lokal.

Im Ernst?

 

Bern ist leider keine «Nightlife-City»…

Also kein grosses Nachtleben in Bern? Das dachte ich mir. Ich erinnere mich, als ich zum ersten Mal herkam und jemanden danach fragte, ob Bern eine Partystadt sei. Mit wurde folgendes gesagt: «Doch, wir haben hier alle eine gute Zeit. Wenn es draussen schön ist, sitzen wir vor den Cafés und trinken» und ich dachte mir nur «Ok, verstanden» (lacht).

 

Die Filmkritik findet Ihr HIER und das Interview mit Christopher Lee HIER.

Tanja Lipak / Di, 05. Mär 2013