«Use a thief to catch a tief»
Am Zurich Film Festival traf Bäckstage «Black Mass»-Regisseur Scott Cooper zum Interview. Der Amerikaner beantwortete sehr freundlich und offen Fragen zu seinem Film. Dabei erzählte er, warum er Johnny Depp für die Hauptrolle besetzte, wen er sich als Gewinner der nächsten US-Präsidentschaftswahl wünscht und für welche Filme er sich privat Zeit nimmt.
Wie kamst du in Berührung mit James «Whitey» Bulgers Story?
Er war mir bekannt und er wurde nicht unweit von meinem Wohnort in Los Angeles gefasst. Das Gerichtsverfahren habe ich dann auch beobachtet und mitverfolgt. Es ist eine sehr gerissene Story. Die Wahrheit ist einmal mehr abstruser als jede Fantasie.
Warum denkst du ist Bulger eine Art Gangster-Ikone?
Er war ein notorischer Krimineller. Und ich denke, es gab selten jemanden mit dieser Liste an Delikten und einem Bruder im Senat. Ein anderer Grund ist vielleicht, dass zuvor kein Gangster die Lizenz zum Töten erhalten hat, wie Bulger. Indem das FBI ihn tun liess, was er wollte und ihn nicht beobachtete, gaben sie ihm indirekt die Lizenz zum Töten.
Konntest du als Vorbereitung zum Film mit Bulger selbst sprechen?
Nein, Johnny und ich haben es versucht, aber er wollte nicht mit uns sprechen. Im Film sieht man jedoch ein, zwei Personen, die ihn kannten und am Set lauerten immer irgendwelche Leute herum, darunter auch ein paar alte Bekannte von Bulger. In Bosten gab es schon ein paar Personen, mit denen ich im Vorfeld der Dreharbeiten sprach, aber sie wollten schlussendlich nichts mit dem Film zu tun haben. Sie hatten Verbindungen zu Bulger und sagten, er habe sich ihnen gegenüber stets korrekt verhalten.
Wie hat das FBI auf deinen Film reagiert?
Bisher gab es noch keine Reaktion. Aber sicher ist, dass sie den Film nicht allzu sehr mögen werden. Es ist der grösste Skandal in der Geschichte des FBI und ihrer tagtäglichen Arbeit. Wie sagt man doch so schön: «use a thief to catch a tief». Informanten werden heute nach wie vor gebraucht, sie sind der Lebenssaft des FBI und anderer Behörden. Zudem ist die Grenze nie ganze klar zwischen Informanten, Gangstern und der Behörde. Das wollte ich zeigen. Als Junge spielten diese Männer «Räuber und Poli» und dann taten sie es erneut als Erwachsene.
Weshalb hast du die Hauptrolle mit Johnny Depp besetzt? Er ist nicht die erste Person, die ich mit einem Mafioso wie Bulger verbinde…
Genau deshalb (lacht)! Weil es eben niemand von ihm erwartet. Ich liebe es, wenn Darsteller in für sie untypische Rollen schlüpfen. «Crazy Heart» habe ich für Jeff Bridges geschrieben und «Out of the Furnace» für Christian Bale. Ich wollte bei Christian Wärme und Verwundbarkeit sehen und das hat funktioniert. Johnny Depp ist eine der liebenswürdigsten und offenherzigsten Personen, die ich kenne. Ihn im Film dann völlig kaltherzig und erbarmungslos zu sehen, war beeindruckend. Und er liebt es schliesslich, echte Persönlichkeiten zu spielen, wie schon Hunter S. Thompson, Ed Wood oder John Dillinger. Seine Verwandlung in Bulger war phänomenal. Bulger hat stahlblaue Augen, die es seinem Gegenüber schwer machen, lange Augenkontakt zu halten. Das Gleiche war dann auch bei Johnny der Fall. Das war wirklich eine meisterliche Verwandlung, sowohl äusserlich als auch innerlich bei Johnny.
Und wie bist du an all die anderen Spitzendarsteller gekommen wie beispielsweise Kevin Bacon, Juno Temple, Joel Edgerton oder Benedict Cumberbatch?
Hollywood-Schauspieler sehnen sich nach Charakterrollen, doch die gibt es zurzeit immer weniger. Blockbuster und Superheldenfilme überwiegen in letzer Zeit. Das ist sehr schade. Ich selbst möchte meine Freizeit primär mit meinen beiden Töchtern und meiner Frau verbringen. Bleibt noch etwas Zeit, schaue ich mir gerne Filme an, aber nur die guten. Solche wie «A Separation», «Amour» oder «Un Prophet». Das sind Filme, die mich faszinieren. Und den Schauspieler geht es da ähnlich. Gute Rollen sind selten, vor allem für Frauen. Denen möchte ich ebenso gerne starke weibliche Figuren präsentieren, so dass jüngere Generationen Vorbilder besitzen. In der Politik gibt es zum Beispiel sehr wenige Frauen. Ausser Angela Merkel - und hoffentlich bald Hillary Clinton (lächelt) – sind nicht viele starke Frauen vertreten.
In «Black Mass» haben die Frauen aber auch eher kleinere Rollen.
Ja, dies stimmt. Aber dies liegt am Mafiageschäft, in das sie häufig nicht involviert waren. Oder aus welchem sie sich bewusst herausgehalten haben wie Connollys Frau. Ich habe wenige weibliche Charaktere, aber ich denke, es sind starke Frauen wie jene von Connolly und Bulger. Sie bilden den moralischen Kompass in der Geschichte.
In deinen Filmen spielen die Themen Familie und Loyalität eine grosse Rolle.
Dies sind Themen, auf die ich immer wieder gerne zurückkomme. Ich glaube Jean Renoir hat einmal gesagt, er drehe immer wieder die gleiche Grundgeschichte, die gleiche Idee mit jedem Film, den er macht (Anmerkung der Bäckstage-Redaktion: «J’ai l’impression, disait Renoir, que, volontairement quelquefois, involontairement souvent, je suis la même ligne depuis que j’ai commencé à faire des films ; au fond, je continue à tourner un film depuis que j’ai commencé, et c’est le même. » (Cahiers du cinéma, n° 15)).
Der Bund zwischen zwei Brüdern fasziniert mich. Deshalb beschäftigte ich mich in «Out of the Furnace» stark damit. Casey Affleck und Christian Bale spielen sehr unterschiedliche Brüder. Und der eine (Bale) springt dann komplett über seinen Schatte, um den anderen zu retten beziehungsweise zu rächen. Was Loyalität anbelangt, finde ich es faszinierend, dass Connolly 40 Jahre im Gefängnis absitzt, während andere von Bulgers Kameraden frei herumlaufen. Diese Loyalität wollte ich in «Black Mass» aufgreifen.
Dein Film wird sicherlich mit «Goodfellas» oder «The Godfather» verglichen. Stresst dich das?
Nein (lacht). Weisst Du warum? Stress bedeutet für mich eine Familie mit Mindestlohn über die Runden zu bringen. Oder von Syrien nach Europa zu flüchten. Das ist wahrer Stress. Im Filmgeschäft kann man von keinem wahren Stress sprechen, uns geht es allen gut. Aber ja, falls ich verglichen werde, dann muss ich damit leben. Auch wenn ich es unfair finde. Ihre Filme waren fiktive Geschichten, die das Gangstertum auch ein wenig romantisiert haben. Und es war nicht ihr dritter Film, wie bei mir (lacht). Meine Geschichte beruht auf wahren Ereignissen und behandelt auch ausserhalb das Mafiageschäft. Aber die Leute sehen halt lieber verklärte Gangstergeschichten, um ein wenig dem eigenen Alltag zu entrinnen. Sie können ein wenig vom verruchten Dasein riechen, ohne jemals selbst wirklich in Gefahr zu kommen. Nach dem Film leben sie ihr Leben munter weiter. Ich hingegen möchte, dass mein Film Spuren hinterlässt. Ich möchte nicht, dass sich die Menschen danach fragen, in welches Restaurant sie Essen gehen wollen, sondern dass sie der Film nicht so schnell loslässt. Gleiches gilt für Filmkritiker. Ich denke, es macht mehr Sinn den Film ruhen zu lassen und danach eine bedachte Kritik darüber zu schreiben. Bei vielen Filmen, beispielsweise «Citizen Kane» oder auch bei einigen von Kubricks Werken, erkannte das Publikum Jahre danach erst, welchen Wert sie tatsächlich besitzen. Und wenn meine Filme gar nicht mehr gefragt sind, wandere ich nach Frankreich aus (lacht).
«Black Mass» läuft in den Schweizer Kinos. Unsere Kritik findet ihr HIER.