«Udo Lindenberg hatte Vertrauen in mich, das war toll»
Hermine Huntgeburth mag Herausforderungen. Mit dem jungen Schauspieler Jan Bülow in der Hauptrolle als Udo Lindenberg, inszenierte sie eine aufwendige, authentische Zeitreise in die 60er- und 70er-Jahre. Was sie mit Udo Lindenberg verbindet, weshalb Jan Bülow die perfekte Besetzung war und wie sie Frauen im Regiestuhl fördern möchte, erzählt sie im ausführlichen Interview.
«Haben Sie mit «Lindenberg!» Ihr Interesse an einem Musikfilm, einem Künstlerportrait oder einer Biografie verfolgt?»
Ich habe mit diesem Film alle drei Interessen verfolgt. Für mich war es reizvoll, einen echten Musikfilm zu machen und gleichzeitig die Autobiografie von Udo zu erzählen. Ich erzähle von seinem musikalischen Werdegang, woher er kommt und welche Musik er gespielt hat. Wir haben als Zentrum Hamburg genommen, das ist nicht nur musikalisch «Rock’n’Roll», sondern auch als Lebenseinstellung «Rock’n’Roll» gewesen. Diese junge Musikszene in Hamburg in den 70er-Jahren steht im Zentrum.
«Wie war die Zusammenarbeit mit Udo Lindenberg?»
Udo hat die Drehbücher gelesen und auch seine Anmerkungen dazu gehabt. Ich habe ihn kennengelernt und wir haben uns lange darüber unterhalten. Dann beim ersten Treffen meinte er nach 1-2 Stunden, «Du machst das schon, Hermine», das war super für mich. Dann hat er – und das rechne ich ihm hoch an – mir freie Hand gegeben, ich war enorm frei und autonom beim Dreh. Es geht um eine innere Wahrheit, wir machten ja keinen Dokumentarfilm. Ich habe versucht ein Zeitgefühl und ein Lebensgefühl dieses jungen Künstlers zu bekommen. Wie er dazu kam, was Neues zu erschaffen in der Musikwelt. Wie es der Titel sagt, sein «Ding» zu finden und durchzuziehen. Er hat uns zwei Mal am Set besucht als wir an der Reeperbahn gedreht haben. Er kam inkognito mit Cappy, statt Hut und Kapuze. Er hatte Vertrauen in mich und ich konnte machen. Das war toll.
«War das Ihre erste Begegnung mit Herrn Lindenberg?»
Ja, meine erste persönliche Begegnung. Ich kannte nur seine Musik, die hat mich auch begleitet ein Leben lang. Ich war ‘77 auch nach Hamburg gereist. Und da war er auch sehr präsent in den Musikklubs. Irgendwann war ich mit Freunden im Atlantik und da ist er einmal vorbeigelaufen, aber wir haben nicht geredet und kannten uns nicht.
«Das heisst Sie kannten die Szene in diesem Jahrzehnt in den 70er Jahren in Hamburg persönlich? Hat das geholfen beim Kreieren des Szenenbildes?»
Ja, aber ich habe auch exzellente Mitarbeitende, man recherchiert, man sieht sich Filme und Fotografien an. Da gab es schon einiges an Underground-Fotografien in Berlin. Iggy Pop und Davie Bowie waren dort. Es gibt Material von diesem Lebensgefühl und der Ästhetik von dazumal. Und das ist gut so, weil unsere Erinnerungen mit uns spielen. Niemand von uns besitzt dokumentarische Erinnerungen. Wir haben für den Film deshalb schon sehr viel recherchiert, zum Beispiel für das Kostümdesign. Das ist eine grosse akribische Arbeit, die auch grossen Spass macht.
«Was waren die Eigenschaften von Jan, die Sie schlussendlich davon überzeugten, dass er der perfekte Udo ist?»
Wir haben ja sehr viele junge Leute gecastet. Der junge Hauptdarsteller musste ein Rocker-Gen haben, gewisse Rampensau-Qualitäten besitzen. Aber dann auch eine gewisse Naivität und Offenheit, Anarchismus ausstrahlen. Gleichzeitig musste er ein komisches Talent haben. Aber auch eine Poesie in sich und natürlich Sexappeal. Und das alles fand ich in Jan Bülow.
«Und er musste rechtzeitig Schlagzeug lernen. Hatten Sie von Anfang an Vertrauen, dass er das in der kurzen Frist meistern wird?»
Ja, er war wahnsinnig fleissig. Er hatte Schlagzeuglehrer in Berlin und auch hier in Zürich, weil er hier im Schauspielhaus Hamlet gespielt hat. Er hatte ebenfalls Gesangsunterricht. Es ist wichtig, wenn man so viel singt, dass einem die Stimme nicht versagt. Er hat sich sehr intensiv auf diese Rolle vorzubereitet.
«Was bedeutet Rock ’n’ Roll für Sie?»
Wie soll ich das beschreiben? (lacht) Rock ’n’ Roll hat immer einen Grad von Exzess und einen Grad von Selbstzerstörung. Es geht darum nicht den normalen Alltag zu leben. Das ist für mich Rock ’n’ Roll. Eigentlich in den Tag hineinleben.
«Was fasziniert Sie an Udo Lindenbergs Musik?»
Bei Udo ist ja das Interessante an seinen Texten, dass es alles autobiografisch ist. Das hat er alles erlebt und in sich aufgesogen. Und er ist irrwitzig fleissig und hat eine bis zwei Langspielplatten pro Jahr gemacht - bis heute. Er ist ein wirklicher Künstler, der einen künstlerischen Output braucht und diesen auch umsetzen kann.
«Im Film sehen wir auch Udos Kampf um seine Musik, die er verteidigt und die er auf Deutsch singt, auch wenn davon abgeraten wurde aus kommerziellen Überlegungen. Hatten Sie in Ihrer Karriere auch Momente wo Sie sich zwischen Kunst und Kommerz entscheiden mussten?»
Ich habe immer nur das gemacht, was ich wollte und nicht aus Kalkül. Das habe ich schon immer gemacht. Stoffe, die mir angeboten werden, muss ich schon wirklich machen wollen. Ich nehme kein Projekt an, nur weil ich viel Geld damit mache oder dieses meiner Karriere hilft. Vielleicht sind Udo und ich uns da sehr ähnlich.
«Wie sehen Sie als weibliche Regisseurin den gerade sehr aktuellen Diskurs, dass weibliche Regisseurinnen zu wenig gefördert werden und daher weniger weibliche Perspektiven im Kino zu sehen sind?»
Wir Frauen können über alles Filme machen. Ich habe mehrere Filme über Männer gemacht. Es wird immer in Schubladen gedacht. Frauen können nur Filme über Frauen und Kinder machen als Beispiel. Zum Glück haben in letzter Zeit sehr viele Frauen grosse, bedeutende und gute Filme gemacht. Es ist eine Schande, dass es sich erst jetzt langsam anfängt aufzuweichen. Dass sich hier endlich, eine Veränderung anbahnt, hat auch viel mit den Frauenbewegungen zu tun. Wir Frauen können alles machen, so wie Männer alles machen können. Leider gibt es aber noch keine Gleichberechtigung.
«Was müsste noch getan werden für die Gleichberechtigung?»
Es ist das Bewusstsein, dass sich verändern muss. Und wir brauchen Quoten. Bis vor paar Jahren gab es im Filmbusiness die ungeschriebene 100%-Männerquote, vielleicht müsste man jetzt die 100%-Frauenquote machen. An Kunsthochschulen gibt es zwar viele Frauen, aber sie kommen nicht zum Job. Das hat dann damit zu tun, dass es schwierig ist Familie, insbesondere Kinder, mit der Filmarbeit zu vereinbaren, wenn der Partner nicht dahintersteht und unterstützt.
«In «Lindenberg! Mach den Ding», geht es darum seinen Weg durchzuziehen. Wann war das letzte Mal, dass Sie Ihr Ding durchgezogen haben?»
Wichtig ist, dass man sein Ding macht, seinen eigenen Film macht. Sonst wird es ein Einheitsbrei und dann wird es nie was. Ich denke, nur in einer richtig freien Situation, wie sie mir von Udo Lindenberg und unserem Filmproduzenten Michael Lehmann gewährt wurde, kann man erst künstlerisch und schöpferisch tätig sein. Und eigentlich habe ich bei diesem Film, aber auch früher, immer mein Ding gemacht (lacht).