Semi Smile: «Ich mag Trilogien sowieso sehr gern»

Interview mit Semi Smile
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Pressebild / ©Semi Smile

Die bekannte Drei-Farben-Trilogie wird im Filmbereich mit dem polnischen Kultregisseur Krzysztof Kieslowski verbunden. Völlig losgelöst davon arbeitet der Schweizer Musiker Semi Smile an einer eigenen Drei-Farben-Trilogie. Und doch spielt Film dabei eine kleine Rolle. Die erste von drei EP‘s ist bereits im Handel und trägt den Namen «Yellow». Was hinter dem Farbenkonzept steckt, war im Gespräch mit dem bestens gelaunten Semi ein Thema. Aber auch seine Arbeitsweise, Vor- und Nachteile der alleinigen Verantwortung, die Suche nach Texten, «Teufel auf Erden» und ein Hauch «Star Wars».

 

 

Deine neue EP heisst «Yellow». Einen Titel mit diesem Namen gibt es aber auf dem Album nicht. Hat der Name einen bestimmten Hintergrund?

 

Es steckt ein Konzept dahinter. Es wird schlussendlich eine Trilogie und jede EP ist nach einer Grundfarbe benannt. Mit «Yellow» habe ich angefangen. Mein visuelles Konzept ist ein comicartiger Style, den ich durch einen Filter jage und dieses Konzept soll in den EP-Titeln genannt werden. Manche neigen dazu, die erste EP nach einem Song zu benennen oder sie nehmen den Künstlernamen. Ich mag Trilogien sowieso sehr gern. Von «Herr der Ringe» bis «Star Wars», mit der ersten und zweiten Trilogie …

 

Die dritte «Star Wars»-Trilogie gefällt dir nicht mehr?

(Lacht laut) Darüber könnten wir stundenlang reden. Aber das ist ein Grund, warum ich dieses Trilogie-Konzept gewählt habe. Einen persönlicheren Bezug ist, dass ich früher in einer Druckerfirma gearbeitet habe und mir von allen Farben Yellow, Cyan und Magenta am besten gefallen haben. Daraus hat sich das Konzept entwickelt.

 

Wie ziehst du das Konzept inhaltlich weiter?

Yellow für mich die glücklichste, die hellste und die schönste der drei Farben. Musikalisch steht die EP im Zeichen von Rock, Punk Rock oder Indie Rock. Mit diesem Genre bin ich grossgeworden, das gefällt mir mega. Das zweite Album wird in Richtung Cyan gehen und Hip Hop etwas mehr in den Fokus setzen. Ich werde ein, zwei Songs rappen und andere Sounds einbauen. Beispielweise wird nicht nur ein echtes Schlagzeug zu hören sein, sondern ich werde dazu mit Drumsamples arbeiten. Das dritte Album wird dann völlig offen. Das Konzept dahinter ist, dass jede Grundfarbe einen Teil meines Musikgeschmacks symbolisiert.

 

Spannend ist, dass man einige Elemente, die du eben angesprochen hast, durchaus hört. Was ich jetzt nicht so klar erkennen konnte, sind die glücklichen und hellen Aspekte. Die Texte sind schon recht hart und düster. Es dreht sich um Betrug und Selbstbetrug, um Freundschaften, die sich verlieren.

 

Es ist ein Verarbeitungsprozess. Dieser wirkt sich positiv auf mich aus, wenn ich damit Erfahrungen in Texte fassen kann. So gelingt es mir, Gedankengänge niederschreiben und sie dadurch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Für mich ist die Möglichkeit, Dinge auf diese Art weggeben zu können, schon ideal und auch glücklich. Es ist eine gute Art der Verarbeitung des Lebens. (lacht)

 

Bemerkenswert ist, dass du offenbar gerne Soli und instrumentale Parts hast. Das zelebrierst du teilweise. Das geht aktuell etwas verloren in der Musiklandschaft.

 

Ja, absolut. Ich finde, das gehört schon ein wenig in die Rock- und Grungeszene, dass mal ein Solo drin ist und gezeigt werden kann, was für Fähigkeiten man besitzt. Bei heutigen Pop- und Trapsachen machst du nur noch zwei Elemente nach 4/4 und dann wieder zwei Elemente rausnehmen, wieder hinzufügen, aber die Hook bleibt konstant gleich. Das ist natürlich sehr eingängig. Wenn sich eine Melodie ständig wiederholt, brennt sich das im Gehör ein und man summt schnell mit. Irgendwie ist das aber langweilig. Selbst wenn ein Beat treibend ist. Mit den Soli bekommt ein Song eine coole Abwechslung. Es ist ähnlich wie beim Texten. Wenn nur mit Hauptsätzen gearbeitet wird, wirkt ein Text irgendwann recht steif. Baut man aber Nebensätze oder andere Ansichten ein, ist ein Text viel lebendiger. Ich finde aber, ein Solo darf nicht zu lang sein. Wenn man etwas sagt, dann muss es interessant und mitreissend sein. Und man kann mit einem guten Solo natürlich auch etwas prahlen.

 

 

Weil ich jetzt nach 15 Jahren Musikmachen die Verantwortung übernommen habe, kann ich selbst sagen, wie ich die Musik will und was ich in einem Song drin haben möchte. Dann ist es auch geil, hinzustehen und zu sagen: «Das ist mein Projekt».

 

 

Du spielst auf dem Album alle Instrumente selbst. Wie viele Instrumente beherrscht du?

 

Bass und Gitarre auf jeden Fall. Der Gesang ist auch komplett von mir. Beim Schlagzeug habe ich ein wenig «bschisse». Ich habe mit Midi-Programmierung gearbeitet. Dazu nutze ich ein elektronisches Schlagzeug, auf dem ich die Idee einspiele. Wenn ich zum Beispiel einen Snare-Schlag mache, wird das analoge Signal des Schlages in ein digitales umgewandelt. Dabei kann ich beeinflussen wie heftig der Schlag ist. Das fängt bei 0 an und geht bis 126. So lässt sich das Signal im Computer nach Schlagstärke anpassen. Dazu gibt es ein Raster, das zeigt, ob der Schlag genau auf den Punkt kommt und allenfalls bietet sich so die Möglichkeit, entsprechend zu korrigieren. Die Idee der Drums habe ich so aufgenommen, wie ich es im Kopf hatte, aber dann sanft nachprogrammiert.

 

Also ähnlich wie das bei Stimmen in der heutigen Popmusik ebenfalls leicht möglich ist.

 

Richtig, das ist das gleiche Prinzip. Um aber noch etwas tiefer zu gehen. Autotune auf der Stimme ist sicher etwas, das man heute machen muss. Die Leute sind so sehr daran gewöhnt und es gibt nicht mehr viele Sängerinnen und Sänger, die so auf den Punkt singen können, also auf den exakten Pitch. Ein Freddie Mercury konnte das früher und heute ist wahrscheinlich Adele fähig, so präzise zu singen, dass sie in einem One Take liefert. Aber dafür muss man jeden Tag 6, 7 Stunden lang üben, damit man so in Form ist. Das ist vergleichbar mit Leistungssport. Wenn man einen Job hat, wird es sehr schwierig.

 

Welche Vor- bzw. Nachteile hat es, dass du alles Instrumente selbst einspielst?

 

Ich kann sagen, was ich will und was nicht. Das ist der grosse Vorteil. Ich war schon in mehreren Bands und oft war jemand der Leader, aber auch nicht so richtig, weil doch alle anderen Mitglieder mitreden wollten. Weil ich jetzt nach 15 Jahren Musikmachen die Verantwortung übernommen habe, kann ich selbst sagen, wie ich die Musik will und was ich in einem Song drin haben möchte. Dann ist es auch geil, hinzustehen und zu sagen: «Das ist mein Projekt». Klar, ich hatte schon Hilfe, wo ich sie benötigte, wenn ich alleine nicht weitergekommen bin. Aber ich konnte vom Albumkonzept über den Internetauftritt bis zu den Interviews selbst bestimmen, wie ich wirken will, ob es lustig sein darf oder eher traurig. So kann ich beeinflussen, wofür ein Projekt steht. Diese Verantwortung selbst zu tragen und mit allen Fehlern der Vergangenheit im Hinterkopf vieles besser zu machen, gibt einem schon einen grossen Schub und viel Motivation, um ein Projekt voranzutreiben. Vielleicht ist ein kleiner Nachteil, dass die Musiker, die live mit mir spielen, sich nicht ganz so ausleben können, wie sie das möchten. Aber auch hier schaue ich sehr genau darauf, dass ich die Leute dabeihabe, die ich sowieso als Menschen sehr gut mag und die mich auch mögen. Ich bin dann sehr dankbar für Vorschläge und bin offen dafür. Aber schlussendlich kann ich «diktatorisch» bestimmen, wie die Musik umgesetzt wird. Wichtig ist mir, dass die Kollegen nicht irgendwann keine Inputs mehr geben, weil sie denken, dass sie eh nichts zu sagen haben. In diese Richtung darf die Waage nie kippen und diese Balance zu halten, ist manchmal nicht so einfach.

 

Semi Smile - «Cold Coffee»

 

Wie bist du zur Musik gekommen?

Bis zum Alter von 15 Jahren hat mich Musik kaum interessiert. An einzelnen Songs hatte ich beim Hören schon Freude. Der Funke ist erst durch einen Oberstufenlehrer übergesprungen, den Stefan Obermatt. Er hat einen so geilen Unterricht gestaltet, dass ich selbst mit Gitarre angefangen habe. Damals ist ein Feuer entfacht worden, das bis heute brennt. Die Schule halt. (lacht)

 

Wie lange arbeitest du an einem Text oder einem Song, bis du zufrieden bist?

 

Das ist sehr unterschiedlich. Manche Songs habe ich schon vor ungefähr zehn Jahren geschrieben. «Too Bad» ist beispielweise innerhalb einer Woche entstanden. In diesem Fall war die Musik innert kurzer Zeit komponiert, inklusive dem Aufnehmen und allem Drum und Dran. Für den Text benötigte ich etwas länger, weil er mehrfach überarbeitet wurde. Ich gebe die Texte jeweils jemandem zum Gegenlesen bzw. Gegenhören. Zudem arbeite ich mit einem Englischlehrer, der mich gerne fordert und nachhakt. Aber grundsätzlich gibt es da keine klare Antwort, da die Arbeit komplett unterschiedlich sein kann. Es kann jedoch Klick machen und dann bis du in einem Lauf und musst dranbleiben, um ihn zu nutzen. Oder du bastelst an einem Song und steckst ihn dann trotzdem in eine Schublade und schaust ihn vielleicht nie mehr an. (lacht)

 

In dem Fall hast du aber eine Schublade mit älteren Songs bzw. Songideen?

 

Absolut. Ich schaue schon regelmässig die alten Ideen an, aber meistens denke ich dann doch: «Komm, das sind alte Sachen, die damals schon nicht funktioniert haben. Zurück in die Schublade damit». Oder anders gesagt, wenn ich eine Idee erneut aus der Schublade genommen habe, bin ich meistens daran gescheitert, diese weiter auszubauen. Mit dem musikalischen Hintergrundwissen von Harmonien, der ganzen Technik, Produktionsabläufen und so weiter, ist es schon möglich, dass ich Songs weiterbauen kann, aber oft ist dann schnell die Luft wieder raus. In solchen Fällen ist es fast besser, eine neue Idee oder gleich ein Konzept aufzubauen.

 

Bei den Texten bis du generell nicht oberflächlich. Du hast meist eine Botschaft in den Lyrics. Woher nimmst du die Inspiration und wie wählst du die Themen aus?

 

Es klingt etwas kitschig, aber ich nehme die Inspiration aus dem Leben. Bei mir läuft es meistens so, dass ich zuerst einen musikalischen Aufbau habe. Oft entsteht dieser auf der Gitarre. Dann gebe ich das Schlagzeug dazu und strukturiere grob. Irgendwann steht das Gerüst und ich habe einen Song von circa 3:30 Minuten. Das ist bei meinem Schema oft die ungefähre Laufzeit der Songs. Danach frage ich mich, was der Song für einen Vibe hat, welche Gefühle er in mir auslöst. Bringt er mich zum Tanzen? Ist er eher nachdenklich? Danach habe ich ein Gefühl im Hinterkopf und mit diesem gehe ich durch das Leben und ständig schwirrt in den Gedanken, dass noch ein Text für diesen Song fehlt. Irgendwann komme ich an eine Situation, die als Thema passen könnten. Also stellt sich die Frage, wie viel ich zum Thema zu sagen habe. Wenn da etwas ist, kann ich dazu einen Text machen. «Cold Coffee» ist so ein Beispiel. Ich war im Bandraum und habe am Song gearbeitet. Plötzlich dachte ich: «Wie würdest du reagieren, wenn ein bestimmter Kollege jetzt anrufen würde?» Durch seine Freundin haben wir seit einigen Jahren keinen Kontakt mehr. Aus dieser Frage ist ein Kopfkino entstanden und diese Situation habe ich im Song beschrieben.

 

 

Ich schaue schon regelmässig die alten Ideen an, aber meistens denke ich dann doch: «Komm, das sind alte Sachen, die damals schon nicht funktioniert haben. Zurück in die Schublade damit».

 

 

Natürlich ist mir «Cold Coffee» aufgefallen, weil das Video aufwändig animiert ist. Wie ist das Video entstanden?

 

Dieses Video ist extern entstanden. Das Drehbuch habe ich selbst geschrieben und die 3D-Bearbeitung dann an die App «Fivrr» gegeben. Dahinter steht eine Gruppe von Freelancern, deren Konzept ich cool fand. Das Konzept zu «Cold Coffee» nimmt den Spruch «Bros before Hoes» auf und will zeigen, dass man sich auch mal auf Kumpels beziehen soll und Frauen, die ganze soziale Konstrukte durchwirbeln können, links liegenlassen darf. In manchen Situationen sind Kollegen halt wichtiger. Dazu hat dieses Bachelor-Ding gepasst. So lässt Semi im Clip die letzte Rose fallen und läuft davon, weil alle Dates schlecht waren. Das ist die Idee, denn «Cold Coffee» behandelt die gleiche Situation. Eine Frau kommt und wirbelt Konstruktion der Freundschaft auf.

 

Ich habe gelesen, dass du seit ein paar Jahren Vater bist. Hat sich das Vatersein auf die Art wie du textest ausgewirkt?

 

Absolut. Der Song «Ideology» behandelt die katholische Kirche und die vielen Vorwürfe der Pädophilie, die in den letzten 5 bis 10 Jahren aufgebracht wurden. Der Text ist etwas älter, das muss ich zugeben, aber ich fand den Punkt trotzdem wichtig. Wenn meinem Kind jemand so etwas antun würde, ich wüsste nicht, wie ich reagieren würde. Als eine Art Ventil dafür, ist dieser Songtext entstanden. Mich hat dieses Thema sehr beschäftigt. Eine Zeile lautet «wondered who the devil’s in person?». In der Kirche wird gerne das Spiel von Himmel und Hölle gepredigt, aber tatsächlich sind sie der Teufel auf der Erde. Nicht alle natürlich, völlig klar.

 

Wie geht es mit dir jetzt weiter? Arbeitest du bereits am Konzept der kommenden EP? Planst du Konzerte, sofern das möglich ist?

 

(Seufzt) Du legst den Finger in die Wunde. Für Konzerte sind Gespräche am Laufen, aber es ist halt einfach eine Scheisssituation. Jeder will, niemand weiss aber so recht, wie weiter und die Unsicherheit ist hart. Im November und Dezember sind viele Konzerte abgesagt worden. Auf die eine Seite finde ich eigentlich gut, dass man absagt und ich plane auch nichts. Irgendwo wird die Pandemie in die Länge gezogen, wenn Leute zusammenkommen. Klar, Schutzkonzepte sind da, aber man weiss ja, dass diese nicht immer eingehalten werden. Das Virus streut sich genauso. Wenn ich als Künstler eine Taufe organisiere oder auf Konzerten und Festivals spiele, fördere ich das indirekt auch. Das Gesundheitswesen ist am Anschlag und jetzt kann man sich fragen, ob man für sich die Entscheidung trifft und auf Konzerte verzichtet oder ab man trotzdem auf die Bühne geht. Es ist, wie es ist. Eine richtige Scheisssituation. (lacht) Es ist eine innere Zerrissenheit da.

 

Und wie weit bist du mit den EPs? Sind dort die Songs schon fortgeschritten?

 

Songs sind da, also in der Vorproduktion. Bei gewissen Songs fehlen noch der Text oder andere Dinge. Es geht jetzt noch darum, die Hauptaufnahmen zu machen, um zu sehen, was mit diesen Songs genau passiert, welche auf der Kippe stehen und vielleicht in der Schublade landen. Wo lohnt es sich, neue Ideen aufzubauen und wo nicht. Aber die zweite EP wird schon wie geplant viele Elemente aus dem Hip Hop drin haben und die dritte Platte wird dann moderner Vollgas-Pop.

 

Vielen Dank für das Interview.

 

 

Bäckstage Redaktion / Do, 06. Jan 2022