Patrice: «Es geht um Musik als Waffe»
An einem verregneten Montag im August sitze ich einem freudestrahlenden Patrice gegenüber. Er bestellt sich erst einmal Kräutertee und schaut, als ob er neugierig auf die Fragen wäre. Im Interview zeigt sich der deutsche Reggae-Sänger als sehr offen und gesprächig, er freut sich über das gelungene Showcase am gleichen Morgen und weiss viel zu seinem neuen Material zu erzählen.
Du hast heute frühmorgens am Bürkliplatz ein Sonnenaufgangskonzert gespielt. Wie war es?
Es hat das erste Mal bei einem der Sunrise-Konzerte geregnet, aber es war trotzdem sehr voll. Die Leute sind einfach näher zusammengerückt. Wir waren unter einem Pavillon und es war wirklich sehr schön. Die Stimmung war grossartig und die Grundhaltung, die mir die Leute bei diesen Konzerten am frühem Morgen entgegen bringen, ist eh schon so positiv, dass die Auftritte oft ganz anders sind als Konzerte am Abend.
Kannst du ungefähr abschätzen, wie viele Leute gekommen sind?
Wahrscheinlich haben viele gedacht, dass ich nicht komme, weil es geregnet hat, aber sonst wären wohl circa dreihundert gekommen. Angemeldet haben sich zweihundert Menschen und jetzt waren es ein bisschen mehr als hundert Leute. Aber es war cool, weil alles so eng und intim war.
Lass uns gleich über das neue Album sprechen. Du hast dir dafür drei Jahre Zeit gelassen. Wieso diese Dauer?
Ich habe immer wieder an dem Album gearbeitet und als es so weit war, habe ich es losgelassen. Es braucht jeweils eine Entwicklung, weil man ja wieder etwas erleben muss, was neu und relevant ist, über das man schreiben kann. Ich schreibe immer Songs, also nicht nur für ein Album, sondern ich schreibe immer. Die Alben sind mehr durch meine Lebensphasen bestimmt. Wenn ich durch eine neue Phase gehe, klingen meine Lieder auf eine bestimmte Art und Weise. Daneben habe ich auch noch mehrere Alben produziert und für andere Künstler geschrieben. Einen Kurzfilm habe ich auch noch gedreht und ich bin Vater. (Lacht). Das heisst, ich bin schon konstant am Arbeiten.
«Old worlds must end, so new suns can rise». Alte Welten müssen enden, damit neue Sonnen aufsteigen können, heisst es im Pressetext zu «Rising of the Son». Klingt nach einer Botschaft. Was willst du mit dem Album bei den Leuten erreichen?
Es ist mein sechstes Studioalbum und um mir selbst treu zu bleiben, muss ich mich entwickeln und muss halt dafür alte Sachen einreissen. Ich muss alte Systeme, alte Verhaltensmuster oder Routinen hinter mir lassen und muss mich in neue Situationen bringen, die nicht so bequem sind und wo ich wieder gefordert werde. Ich muss das Gefühl haben, dass ich mich beweisen muss. Man muss sich das aber trauen. Vor allem, wenn man schon etwas etabliert ist, will man sich nicht unbedingt immer wieder in Frage stellen müssen. Ich denke aber, um lebendig zu bleiben in der Musik, muss man das aber tun. Deswegen hat es bis zum Album gedauert. Ich musste mit vielem abschliessen. Zum Beispiel habe ich mich von der Major-Plattenfirma losgesagt und mache Platten jetzt independant. Für mich ist wichtig, dass alles konsequent ist. Ich habe ein Studio mit altem Analog-Equipement. Wir betreiben das mit sehr viel Liebe und restaurieren alte Instrumente und gehen mit alter Tontechnik an die Sache. Das machen wir mit sehr viel Liebe. Das hört man nicht unbedingt, aber ich hoffe, man fühlt es ein bisschen. Dann will man auch im nächsten Schritt, wenn es von der Plattenfirma weitergetragen wird, dass es mit der gleichen Sorgfalt weitergegeben wird. Ich denke, bei einem Majorlabel ist man aufgehoben wie in einem Bauchladen, wo dann alles verkauft wird, was funktioniert. In dem Punkt bin ich heute viel konsequenter. Aber man muss sich trauen, es ist schon ein Risiko und man ist als Künstler auch in allen anderen Bereichen des Geschäftes stärker gefordert.
Der Refrain von «God Bless You La La La» hat mein Sohn geschrieben. Damals war er sechs Jahre alt.
Ich möchte gerne drei Songs ansprechen. «Cry, Cry, Cry» ist eine Hommage an die Zeit, in der sich Reggae und Punk trafen. War diese Phase der Musikgeschichte für dich als Künstler wichtig?
Total. Weil Bands wie Police es auf den Punkt gebracht haben. Mir war immer wichtig, authentisch zu sein. Ich wollte nie 1:1 jamaikanischen Reggae nachmachen. Weil ich selbst kulturell gemischt bin, habe ich versucht, etwas zu finden, das mir entspricht. Aber es sollte sich nicht als Mischung anfühlen, sondern etwas Eigenständiges sein. Für mich hat es Police, neben anderen Bands, verstanden, Europa und Karibik zu mischen. Ohne, dass es komisch, aufgesetzt oder nicht authentisch klang, sondern sie haben etwas Eigenes geschaffen, das total funktioniert hat. Sowohl Punks, die Rebellen waren, als auch die Rastas, die ähnlich eingestellt waren, und somit waren diese Kulturen immer relativ eng. In meiner musikalischen Sozialisierung waren auch Punks, weil Punk irgendwann mal gross in Deutschland war. Matthias Arfmann, der meine erste Platte produzierte, war beispielsweise Punk. Irgendwann wollten die grossen Plattenfirmen Punkbands haben, aber die Punkbands wollten nicht mit den Plattenfirmen reden. Also haben die ihre Leute in den Plattenfirmen platziert und dann hatte man einen Punk in jeder Plattenfirma, der mit den Punks geredet hat. Als dann Hip Hop gross wurde und aus Amerika die Anrufe kamen, «Arbeitet das in euren Markt ein», wussten die Plattenfirmen nichts damit anzufangen. Also sagten die: «Gibt das mal den Punks. Die sind auch so schräg, vielleicht können die etwas damit anfangen.» So kam es, dass die Punks nahe zum Hip Hop und natürlich auch zu Reggae kamen, als der dann gross wurde. Die ganzen Hip-Hop-Alben, ob von Absolute Beginner oder Bambule, das alles fand in Ex-Punk Studios statt. Mit Ex-Punk-Verlegern und Ex-Punk-Plattenfirmen. Und somit war das auch nahe bei mir, weil ich in dieser Szene musikalisch gross wurde.
Ein weiterer Song heisst «Hippies with Guns». Das ist ein kleiner Widerspruch, da Hippies nicht unbedingt mit Waffen herumlaufen. Wie ist der gedacht?
Es fing so an, dass ich den Titel cool fand. In dem Song singe ich ja «Music is my only weapon, I shoot to kill them with every song», weil man in der Musik ja viel mit diesen Begriffen arbeitet. Ein Hit ist ja auch nichts Schönes eigentlich, wenn man gehauen wird. Oder Hit auch im Sinne von Einschlag. In der Denke ist das quasi weitergesponnen. Es geht um Musik als Waffe. Meiner Meinung nach haben Musiker die Welt massgeblich zum Besseren beeinflusst, mehr als jeder Politiker. Zumindest in der letzten Zeit. Ich finde, dass Bob Marley mehr für den positiven Wandel getan hat als jeder Politiker, der mit jetzt grad einfallen würde.
Beim Song «God Bless You La La La» singst du mit Cody ChesnuTT. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?
Ich habe die letzte Platte von Cody ChesnuTT produziert und so waren wir uns nahe. Witzigerweise ist der Refrain von meinem Sohn geschrieben. Der war damals sechs und ist jetzt sieben Jahre alt. Wir haben uns ein Konzert von Cody bei BBC angeschaut und nach dem Konzert meinte er zu Cody, «you are a good Singer», und Cody sagte, «Thank You», und mein Sohn sagte: «I wrote you a song». Er hatte auf einem Papier stehend «God bless you lalala» und hat das vorgesungen. Dann habe ich Cody ein Instrumental geschickt und gefragt, ob ihm etwas dazu einfalle. Nach zwei Wochen antwortete er und meinte, «Ich habe lange nachgedacht, aber das Einzige, was mir einfällt, ist das Lied von deinem Sohn», und so kam das. Der macht jetzt schon ein bisschen Geld, weil er als Autor angemeldet ist.
Was darf man von Patrice am 4. Dezember erwarten, wenn du in Zürich auf der Bühne stehen wirst?
Wiederauferstehung, wie das Album. «The Rising of The Son» wird natürlich gespielt. Leute, die meine Live-Shows kennen, die wissen, dass es mein Element ist, und ich werde natürlich wieder versuchen, alles zu toppen und das Beste zu geben und wieder zu überraschen.
Patrice - «Cry, Cry, Cry»
- Das Album «The Rising of The Son» erscheint am 30. August.
- Patrice ist am 4. Dezember live in der Härterei zu sehen.
- Ticket gibt es bei Starticket.