Marvin Trummer: Nicht nur ein Pianist
Vor dem Kaufleuten-Klubsaal stehen etliche Menschen, die darauf warten, dass die Türen zum heutigen Konzert geöffnet werden. Im Klubsaal riecht es nach Bier und Menschen, die lange an der kalten Luft gestanden haben. Heute Abend spielt Marius Bear und seine Band, doch um ihn geht es hier nicht. Es geht um Marvin Trummer, den Pianisten und musikalischen Leiter, der Marius schon immer begleitet hat.
Die Lichter gehen aus, die Bühne leuchtet rot und da sitzt er mit seinem schwarzen Haar und voller Elan am Keyboard rechts auf der Bühne. Übersehen kann man Marvin nur schwer, denn er gibt den Takt an, er steht auf, setzt sich, tanzt, hüpft, bouncet und mustert Marius voller Stolz.
Einige Monate später sitzt mir Marvin Trummer gegenüber, virtuell. Es sind schwere Zeiten, vor allem für Musiker wie Marvin Trummer, die von der Kunst leben. Dies ist auch der Grund, warum ich Marvin nur virtuell treffen kann. Denn das Corona-Virus hat uns im Griff.
Der Musical Director Marvin sitzt mit einer roten Mütze und einem weissen Faserpelzpullover vor seiner Handykamera. Oft nippt er an seiner weissen Tasse, worin sich Tee oder Kaffee befindet.
Auf die Frage, ob er im Privatleben ebenso energisch ist wie auf der Bühne, antwortet der Produzent lachend: «Nein, also ein bisschen bin ich schon so, aber nach 32 Jahren wird man ruhiger.» Wer Marvin auf einer Bühne spielen sehen hat, weiss: Still sein kann der Künstler nicht. Wahrscheinlich ist es ein Impuls, welcher aus seinen Emotionen rauswächst. Denn der 32-jährige Keyboarder tut dann genau das, was er in seinem Leben am liebsten tut: auf der Bühne stehen, vor einem breiten Publikum, das ihm zuhört.
«Denen ist es wichtiger das Jetzt zu geniessen, als nach dem Konzert den Freunden ein Handyvideo zu zeigen.»
Ein Publikum, das zuhört, das ist Marvin wichtig. «Ich schätze das Publikum an Marius Bears Konzerten sehr, denn da gibt es wenige, die das Handy zücken und das Geschehen nur durch diesen einen Blickwinkel betrachten, die meisten stehen einfach da, hören zu und geniessen den Moment, das Geschehen. Denen ist es wichtiger das Jetzt zu geniessen, als nach dem Konzert den Freunden ein Handyvideo zu zeigen.»
Marvin lacht viel; wenn er über die Liveauftritte spricht, geniesst er jedes Wort, dass ihm über die Lippen kommt. Open Mic, Seat Music Session, Marius Bear und, und, und - an Bühnenerfahrung fehlt es dem jungen Producer nicht. Doch die Frage, welches der absolute Höhepunkt seiner Karriere sei, scheint er schon erwartet zu haben und antwortet, ohne zu zögern: «Die «Art on Ice»-Tour mit Nelly Furtado». Dann nimmt er noch ein Schluck aus seiner weissen Tasse, schaut zum Fenster, lehnt sich nach vorne und wieder zurück.
Der Pianist und Keyboarder hat eine steile musikalische Karriere hinter sich. Mit nur sieben Jahren setzte sich der kleine Marvin ans Klavier und besuchte den Unterricht. Ein Hobby vieler Kinder im Schulalter, doch Marvin verfolgte dieses Hobby, machte mit 21 Jahren seinen Bachelor-Abschluss und bestand zwei Jahre später die Prüfung «Master of Arts in Music Pädagogik» mit dem Schwerpunkt Jazz. Wahrscheinlich ist es sein Ehrgeiz, den ihn so weit gebracht hat, aber ganz bestimmt auch seine Tatkraft, die bei jedem seiner Bühnenauftritte zum Vorschein kommt.
Marvin ist nicht nur Liveperformer und musikalischer Leiter bei Konzerten von Marius Bear, er ist auch Produzent. Die Frage, was sein grösstes Projekt in Bezug auf die Produktion war, lässt ihn lange nachdenken. Marvin atmet tief ein und aus, verdreht die Augen und dreht sich zum Fenster, das sich direkt hinter ihm befindet. «Das ist meeega schwierig. Das Schönste ist nicht ein Projekt, das Schönste ist eine Vision zu haben und diese Vision zu einem Song oder einem Album zu verwirklichen. Der Prozess an sich, das ist das Schönste.» Erneut erblicke ich dieses Funkeln in den Augen, die Leidenschaft, die sich hinter seinem Lächeln versteckt, wenn Marvin über seine Berufung spricht.
«Aus Emotionen entsteht Schönes»
Der Musiker hat in der Schweizer Musikszene viel erreicht. Doch seinen Traum hat er noch lange nicht ausgeträumt. Marvin fantasiert über eine Produktion für den US-amerikanischen Popmusiker Justin Timberlake. Wieder lacht er.
Marvin Trummer liebt die Bühne, liebt es mit einer Band Musik zu machen. Er mag Menschen um sich herum, doch all das ist auf Grund der Corona-Krise momentan nicht möglich. Er lässt sich jedoch nicht kleinkriegen. Seine Freundin, die Singer-Songwriterin Nina Attal, konnte rechtzeitig vor der Grenzschliessung aus ihrem Heimatland Frankreich herkommen. «In dieser Scheiss-Corona-Zeit haben wir ein ganzes Album geschrieben. Dies wird sie nun in Frankreich aufnehmen und bald veröffentlichen.»
Marvin zieht an seiner Elektrozigarette und denkt darüber nach, was er in den letzten Jahren alles erreicht hat. «Eines ist ganz klar, am liebsten arbeite ich mit Marius Bear, er ist toll, er macht Dinge, die bisher keiner gemacht hat. Musikalisch ist er für mich einer der besten. Vielleicht arbeite ich auch deshalb so gerne mit ihm zusammen, weil wir total unterschiedliche Typen sind und wir elend lange Diskussionen führen können. Diskussionen sind mit Emotionen verbunden und aus der Emotion entsteht Schönes.»
Dieser Artikel ist Teil der Diplomarbeit von Valeria Piediscalzi an der Schule für Angewandte Linguistik im Fachbereich Journalismus.