Der Tod und das Model
In «The Neon Demon» zeigt Regisseur Nicolas Winding Refn («Drive», «Only God forgives») die ersten Schritte eines aufstrebenden Models in Los Angeles, dessen Schönheit den Neid ihrer Konkurrentinnen entfacht. Der Traum von Ruhm wird zusehends zum Alptraum und statt Champagner fliesst Blut.
Man weiss nicht, durch welchen Hasenbau die 16-jährige Jesse (Elle Fanning) gestürzt ist, doch irgendwie ist diese kindlich-verträumte Alice im Wunderland angekommen. Das Wunderland ist in diesem Fall vielmehr ein La-La-Land der waghalsigen Träume und selbstverliebten Stars: Los Angeles, die Stadt der Engel, verzeichnet einen steten Zufluss an jungen Mädchen, die hier ihr Glück als Model versuchen. So auch Jesse, die geradezu schmerzhaft naiv im Neonlicht der Grossstadt herum-flattert.
Alles was zählt
Doch Jesse hat, was alle wollen: Eine Jugendlichkeit und unverfälschte Schönheit, die nicht nur den Hobbyfotographen Dean (Karl Glusman) in seinen Bann zieht, sondern auch die Modelagentin Roberta Hoffman (Christina Hendricks). Sie prophezeit Jesse eine glorreiche Modelzukunft, sofern sie dem Druck des Business standhalten kann. Es folgt das obligate Shooting beim exzentrischen Starfotographen (gekonnt verkörpert von Desmond Harrington) sowie das Vorlaufen in Unterwäsche vor dem noch exzentrischeren Stardesigner (Alessandro Nivola) – quasi «Germany’s Next Topmodel», nur ohne Modelmama Heidi Klum und ohne die schützende Öffentlichkeit der Kameras. Gleichzeitig lernt Jesse die Make Up-Artistin Ruby (Jena Malone) und deren Modelfreundinnen Gigi (Bella Heathcote) und Sarah (Abbey Lee) kennen. Das Trio nimmt die scheue Jesse mit an eine Party, doch der Neid verschleiert mögliche Freundschaften. So fragt Sarah nach einem erfolglosen Casting einmal Jesse, wie es ist, wenn man so schön ist, dass die Menschen glauben, die Sonne gehe auf an einem kalten Wintermorgen, sobald man einen Raum betritt. Darauf antwortet Jesse «it’s everything» – es ist alles, was zählt.
Eine harte Währung
Tatsächlich ist Jesse nicht so hilflos, wie sie scheint. Sie hat sehr wohl verstanden, dass sie mit ihrem Aussehen Geld verdienen kann. In einer alptraumhaft-surrealen Szene realisiert Jesse das Ausmass ihrer Macht: Der Neon-Dämon ergreift Besitz von ihr, fortan ist sie furchtlos im Wissen, dass alle so sein wollen, wie sie. Sie sonnt sich in der Bewunderung von Designern und anderen Models, wohlwissend, dass wahre Schönheit die höchste Währung ist in dieser Industrie. Die unschuldige Liebe, die sich zwischen dem Hobbyfotographen Dean und Jesse anbahnte, ist damit Geschichte, und so geht Jesse eines Abends allein zurück in das heruntergekommene Motel, in dem sie wohnt.
Die schimmernde Modewelt - stylisch inszeniert. (© Impuls Pictures AG)
Dort lauert jedoch der schmierig-aggressive Motelportier Hank (Keanu Reeves), der kaum die Hände lassen will von den minderjährigen Möchtegernmodels, die er beherbergt. Als bösartige Version des verrückten Hutmachers will er Jesse entsprechend nicht helfen, sondern versucht gewaltsam, nachts in ihr Zimmer zu kommen. Als sie die Schreie des Mädchens im Zimmer nebenan hört, zu dem sich Hank erfolgreich Zutritt verschafft hat, ruft Jesse panisch die Make-Up-Artistin Ruby an. Diese hatte ihr zuvor versichert, sie sei jederzeit für Jesse da, falls sie etwas brauche.
Im Auge des Betrachters
Und so kommt Jesse in der Dämmerung erleichtert in der barocken Villa an, die Ruby gerade hütet. Das Verhältnis zwischen den beiden trübt sich jedoch, als Ruby Jesse verführen will und in der Folge sprichwörtlich von der Bettkannte gestossen wird. Wütend macht sich die Make Up-Artistin sodann auf zu ihrem Zweitjob – dem Schminken von verstorbenen Menschen – und erleichtert ihr sexuelles Verlangen an einer Leiche. Ab hier nimmt der Film eine scharfe Wendung: Zwischen Leichenschändung und Baden im Blut wird klar, dass sich die böse Königin in diesem Wunderland dreigeteilt hat: Ruby, Gigi und Sarah machen Jagd auf Jesse. Was in Süskinds «Das Parfüm» der unwiderstehliche Duft war, ist für das skrupellose Trio die Schönheit des aufstrebenden Sternchens am Modelhimmel. Der Film endet mit einem Augapfel, der über den Boden kullert und der Erkenntnis, dass Schönheit nicht nur im Auge des Betrachters liegt, sondern auch in deren Trägerin.
Verliert sich das junge Model in der Glitzerwelt? (© Impuls Pictures AG)
Durch seine surrealen Ohnmachtsträume, den starken Bildern und nicht zuletzt dank des treibenden Soundtracks (Cliff Martinez, der schon für «Drive» und «Only God forgives» komponierte und dieses Jahr in Cannes für «The Neon Demon» als Best Composer ausgezeichnet wurde) ist «The Neon Demon» ein nicht enden wollender Horrortrip, der sich ebenso gut im Kopf eines zugedröhnten Models abspielen könnte. Elle Fanning spielt die Verwandlung vom unsicheren Mädchen zur selbstbewussten Modeldiva bravourös; Nicolas Winding Refn ist damit – trotz einiger Längen – eine abgründige, glitzernde und durchaus auch humorvolle Hommage an die schnelllebige Welt der Schönen gelungen.
In einem Satz: Ein unheilschwangerer Trip durch das abgründige Wunderland L.A. voller starker Bilder, surrealer Szenen und einem mitreissenden Soundtrack.
- The Neon Demon (Frankreich / Dänemark / USA 2016)
- Regie: Nicolas Winding Refn
- Drehbuch: Nicolas Winding Refn, Mary Laws, Polly Stenham
- Darsteller: Elle Fanning, Keanu Reeves, Christina Hendricks, Jena Malone, Abbey Lee, Bella Heathcote
- Laufzeit: ca. 110 Minuten
- Kinostart: 23. Juni 2016