Der Rächer im Hoodie

DVD-Kritik: You Were Never Really Here
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© Praesens Film AG

Joe (Joaquin Phoenix) ist Kriegsveteran, traumatisiert, lebt bei seiner hilfsbedürftigen Mutter und ist nebenbei eine Art ungewöhnlicher Held. Er macht skupellosen Mädchenhändlern das Leben mehr als schwer. Wie ein Hauch der Gerechtigkeit erscheint er und befreit die armen Seelen. Als ein Senator seine minderjährige Tochter aus den Fängen eben jener Mädchen-Bordelöbetreiber befreien möchte, wendet er sich verzweifelt an Joe. Doch beim Auftrag geht etwas komplett schief und der Rächer im Hoodie muss seine akribische Arbeitsweise anpassen, um die Tochter zu befreien. Aber Joe findet noch mehr heraus und eins ist klar: Joe hintergeht man besser nicht.

 

Phoenix‘ Charakter wirkt müde, ausgelaugt und scheint von den Menschen enttäuscht. Der Gang ist schwer, leer der Blick, der grau gezeichnete Bart dient eine als Art Maske und Joe versteckt sich so gut wie immer unter einer Kapuze. Der elektronische Soundtrack passt eigentlich nicht so recht, beisst sich eher mit gemächlichen Inszenierung und ist wohl genau darum gewählt worden. Denn als Kontrast zu Joe unterstützt die Musik den Eindruck. 

 

Ein Mann der Tag

 

Joe ist von Narben gezeichnet und offensichtlich im Leben schon oft durch schwere Zeiten gelaufen. Vieles aus seiner Vergangenheit wird nur kurz angedeutet. Das macht ihn so interessant. Wer ist dieser Mann? Er taucht am liebsten in der Masse unter. Die Brutalität als Einblick in die Psyche und die Vergangenheit. Ein Mann, der leidet und kein Mittel dagegen findet. Phoenix spielt brutal präzise, verschenkt keine Mimik, agiert minimal, was exakt zu seiner Figur passt. Die Rolle von Joe ist eine One-Man-Show, die Phoenix perfekt verkörpert. Er spricht wenig, ist ein Mann der Tat, ist aber beim Anblick der geschundenen Mädchen den Tränen nahe, zeigt in jenen Momenten kurz sein Inneres. Man könnte interpretieren, dass er am Abschaum auf der Welt verzweifelt. 

 

Das erinnert dann an den Klassiker «Taxi Driver», wahrscheinlich zu recht. Denn manche stilistischen Einfälle sind klare Referenzen. Etwas der Regen, der die Strassen wäscht. Oder ein kurzer Dialog mit sich selbst. Allerdings ist «You Were Never Really Here» keine Kopie. Im Gegenteil, der Film ist auf ein Minimum reduziert, schafft aber genau dadurch Platz für Gedanken, für das Sinnieren über sozialem Themen, die der Film anspricht oder über Joe selbst. Zudem spielt der Aspekt der traumatischen Vergangenheit durch Halluzinationen mit. Er ist alleine unter Millionen, ein Held oder doch nur ein Mörder? Wo beginnt Selbstjustiz und wie viel Gewalt rechtfertigt ein Verbrechen?

 

«Psycho» als Symbol? 

 

Regisseurin Lynne Ramsay und ihr Team haben sich viel Gedanken gemacht. So schaut Joes Mutter in einer frühen Szene «Psycho» im Fernsehen und das suggeriert schon viel. Zusätzlich zeigt der Film - genau wie bei Hitchcock - vieles nicht, so manches passiert ausserhalb des Blickfeldes und entwickelt so eine zusätzliche Intension. Der Film ist sicher nicht für alle gedacht, dazu ist er zu ruhig erzählt, greift auf die Gedankenwelt von Joe zurück. Lässt man sich aber auf Joe und seine Welt ein, bekommt man einen bewegenden Film, der einen nicht spurlos zurücklässt. 

 

Stylische Bilder, pragmatische Inszenierung. Eine Indie-Perle, die Lynne Ramsay gelungen ist.

 

  • You Were Never Really Here (UK 2017)  
  • Regie: Lynne Ramsay 
  • Darsteller: Joaquin Phoenix, Ekatarina Samsonov, Alessandro Nicola, Judith Roberts, Dante Pereira-Olson, Larry Canady, Vinicius Damasceno, Neo Randall, John Doman,Frank Pando 
  • Laufzeit: 95 Minuten
  • Im Handel: bereits erhältlich

 

Bäckstage Redaktion / Mo, 24. Sep 2018