Klarer Tim, klarer Struppi
Der belgische Zeichner Hergé perfektionierte in den 1930er-Jahren einen wegweisenden Stil: die «Ligne claire». Sie kennzeichnet eine deutliche schwarze Umrandung, ihr Siegeszug führte sie rund um den Globus. Nun widmet das Cartoonmuseum Basel ihr eine eigene Ausstellung: «Die Abenteuer der Ligne claire – Der Fall Herr G. & Co.»
Um Irritationen von vornherein auszuschliessen: Dieser «Herr G.» im Ausstellungstitel ist niemand anderes als Hergé, natürlich – aus «Copyrightgründen», wie Kuratorin Anette Gehrig verrät. Seine Figuren Tim und Struppi gehören längst zur Allgemeinbildung. Was die Abenteuer des schlauen Reporters und seines treuen Begleiters künstlerisch so bedeutsam macht, stellt die Ausstellung gleich zu Beginn klar. Linkerhand im ersten Raum prangt an der blassgrünen Wand eine knappe Charakterisierung von Hergés Grundidee: «Mit Ligne claire ist eine Art zu zeichnen gemeint, die folgende Prinzipien berücksichtigt: Farbflächen sind durch eine gleichmässige Linie mit klaren Konturen abgegrenzt, sie sind flächig koloriert, ohne Schraffuren und Schattierungen.»
Ausstellungsplakat des Genfer Zeichners Exem mit
Schlüsselfiguren der Ligne claire
Copyright: Exem, 2013
Aufgestellt hat diese Definition der niederländische Comiczeichner Joost Swarte anlässlich einer Hommage an Tim und Struppi 1977. Der Begriff «Ligne claire» geht anachronistisch auf ihn zurück. Der Meister selbst beschrieb seinen Grundsatz pragmatisch: «Ohne überflüssige Details.» Im Vordergrund solle das Leseverständnis stehen. Tim und Struppi waren die Initialzündung.
Tusche, Tipp-Ex und «Tintin»
Den schörkellosen, einfach wirkenden Federstrich hatte Hergé bei puristischen Zeichnern aus den USA entdeckt, er war begeistert. Bei diesen Einflüssen setzt die Ausstellung im Basler Cartoonmuseum an, mit George McManus‘ bekanntem Cartoon «Bringing Up Father» von 1928.
Copyright: Edgar P. Jacobs, «Das Geheimnis der
grossen Pyramide», Magazin «Tintin», Cover, 1950,
Editions du Lombard
Die Exponate im Erdgeschoss illustrieren die Entwicklung der Ligne claire in den Anfangsjahren, darunter natürlich auch Hergé mit einer Tuschezeichnung des Covers von «Tim in Amerika» im Original (1932). Verschiedene Konzept- und Druckseiten aus dem populären Comic-Magazin «Tintin», so der franco-belgische Name Tims, verdeutlichen die Einheitlichkeit des Strichs unter verschiedenen Zeichnern. Herausgeber Hergé prägte also nicht nur einen Stil, sondern gleich eine ganze Schule.
In Bilderrahmen und Vitrinen präsentieren sich die gezeichneten Schätze den Blicken der Ausstellungsbesucher, mit kleinen Infotafeln datiert und ausführlich beschriftet. Behutsam aufgetragene Korrekturen mit Tipp-Ex bei einzelnen Skizzen sind besonders bemerkenswert. Sie zeugen vom Prozess, wie eine illustrierte Seite entsteht, und führen das betrachtende Auge förmlich an den Zeichentisch heran. Allein wegen dieser Exponate lohnt sich ein Besuch in der Basler St. Alban–Vorstadt.
«Herr G.» und seine Nachfolger
Im ersten und zweiten Obergeschoss beschäftigt sich die Ausstellung mit der Nachwirkung Hergés. Epigonen vor allem aus Benelux, Frankreich und England nahmen die Ligne claire auf und entwickelten sie weiter – Edgar P. Jacobs, Yves Chaland oder eben Joost Swarte. Auch die bekannte Figur Globi des Schweizer Künstlers Robert Lips hält sich, seit ihrer Entwicklung in den 1930ern bereits, an diese neue Ästhetik der Einfachheit.
Copyright: Robert Lips, Zeichnung für den Jubiläums-
band «10 Jahre Globi», Tusche auf Papier, Globi Verlag,
1941, Globi-Archiv, Zürich
In der traditionsreichen US-Cartoon-Szene fand die Ligne claire ebenfalls ihren Platz. Von Chris Ware, einem preisgekrönten Illustrator aus Illinois, ist eine Tuschezeichnung von «Rusty Brown» aus dem Jahr 2005 zu sehen. Hervorstechend hier ist die unregelmässige Seitenaufteilung. Mit «Jimmy Corrigan» über eine komplexe Vater-Sohn-Beziehung hatte er in den 90ern seinen Durchbruch gefeiert. Ware zählt heute zu den wichtigsten Vertretern des Stils.
«Die Abenteuer der Ligne claire – Der Fall Herr G. & Co.» zeichnet eindrucksvoll die Stationen von Hergés Grundsatz der klaren Kontur nach. Belege zu allen Epochen sind dank der Initiative zweier Comic-Experten, Ariel Herbez und Jean-Marie Derscheid, in ausreichender Fülle vorhanden, Werke von etwa 50 Künstlern insgesamt. Gleichzeitig gewährt die Ausstellung über die Ligne claire einen interessanten Einblick in die Rezeptionsgeschichte, von der Hochphase in den 50ern dank des Magazins «Tintin» über das Abflauen nach der 68er-Revolte bis zur Renaissance in den 80ern. Nicht nur für Anhänger der gezeichneten Geschichte sehr sehenswert!
Die Ausstellung läuft noch bis zum 9. März 2014 im Cartoonmuseum Basel: www.cartoonmuseum.ch