Das Wunder von Basel

Kritik: Dalai Lama @St.Jakobshalle, Basel
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Bäckstage / © Dominique Rais

Text von Tenzin Khangsar und Dominique Rais

 

Vergangenes Wochenende beehrte der 14. Dalai Lama das Basler St. Jakobsstadion für eine zweitägige Unterweisung in buddhistischer Religion und Ethik. 7600 Menschen aus 40 Ländern lauschten voller Ehrfurcht den Lehren des Friedensnobelpreisträgers. Ein Rückblick über die ewige Suche nach Erleuchtung und dem unerschütterlichen Glauben an Wunder.

 

Das Hotel «Les Trois Rois», in dem der Dalai Lama während seines Aufenthaltes in Basel residiert, trägt den passenden Namen: die drei Könige. Faktisch gesehen besitzt er zwar weder den Titel eines Monarchen noch hat er die Funktion eines offiziellen Staatsoberhaupts, dafür aber umso königlicher ist der Empfang, den ihm die Stadtregierung zum zweiten Mal bereitet. Dutzende tibetische Flaggen schmücken alle öffentlichen Gebäude und es wimmelt nur so von Sicherheitskräften und Polizisten.

 

Für rund 7 Millionen Tibeterinnen und Tibeter ist «Kundün» – so die tibetische Bezeichnung für den Dalai Lama - weit mehr als nur ein König. Er gilt als die lebendige Verkörperung eines «Bodhisattva», eines erleuchteten Wesens, das aus Mitgefühl zu allen leidenden Lebewesen in diese Welt zurückgekehrt ist, um das Elend derer zu lindern, die in Not sind.

 

Redaktor Tenzin im Gespräch mit dem Dalai Lama an der Pressekonferenz. 

 

An der Pressekonferenz am Samstagmorgen erscheint «Seine Heiligkeit» in bester Laune. Offen spricht er darüber, dass es ihn immer wieder freut, Journalisten aus aller Welt zu begegnen und ihnen Rede und Antwort zu stehen. Und fügt hinzu, dass Medienschaffende bis zu einem gewissen Mass auch eine grosse Verantwortung haben, denn sie können Einfluss auf die Gedanken und die Meinung sehr vieler Menschen nehmen.

 

Verlust der eigenen Identität im Ausland

 

Auch auf persönlichere Fragen, die seit längerer Zeit vor allem jüngere Generationen von Tibetern - die hier in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind - beschäftigen, nimmt er simpel Stellung: «Es muss nicht sein, dass ihr nach Tibet zurückkehrt, falls wir eines Tages wirklich die Freiheit erlangen. Wichtig ist aber, dass ihr euch das Bewusstsein und die kulturelle Mentalität Tibets im Herzen bewahrt. Dann spielt es keine Rolle, wo man lebt.»

 

Er, der sich selbst als einen einfachen buddhistischen Mönch bezeichnet und nunmehr seit 56 Jahren im indischen Exil lebt, hat sich trotz aller Widrigkeiten seine buddhistisch-optimistische Lebensphilosophie beibehalten. Und sich damit weltweit Respekt und Hochachtung als ein Symbol für Gewaltlosigkeit und Frieden verschafft. Ähnlich wie bei Mahatma Gandhi oder Nelson Mandela ist um den Dalai Lama ein massiver Personenkult entstanden, der Millionen von Menschen in den Bann zieht. Auch hier im Stadium sind bei weitem nicht alle Besucher der Veranstaltung Buddhisten oder tibetischer Herkunft. Er ist nicht nur ein Vorbild für seine eigenen Landsleute, sondern seit mehreren Jahrzehnten auch für die westliche Gesellschaft zu einem Massenphänomen geworden. Seine ungebrochene Popularität stellt jede Musikgrösse, jeden Filmstar oder Sportler weit in den Schatten. Zehntausende strömen auf allen fünf Kontinenten an seine Unterweisungen zusammen. Er bietet eine Projektionsfläche, auf der man seine ureigenen Sehnsüchte und Wertvorstellungen widerspiegeln lassen kann; und einen an das Gute im Menschen glauben lässt. Vor allem aber ist es seine Authentizität: er predigt nicht nur Weisheiten aus dem Buddhismus, sondern lebt sie selbst vor.

 

Komplexe Lehren – einfache Antworten

 

Und diese sind selbst für praktizierende Buddhisten teilweise sehr komplex. Beispielsweise geht es in einer Vorlesung um die acht Verse des tibetischen Meisters Langri Thangpa (ca. 11.-12. Jh.). Diese gelten als eine der zentralen Übungen im tibetischen Buddhismus, die als eine Art „Geistesschulung“ bekannt ist. Das Ziel ist, sein Bewusstsein zu erweitern, dass man sich selbst nicht im Vordergrund stellt, sondern sich davon löst. Der Dalai Lama rezitiert die Schriften nicht nur starr nach Protokoll, sondern ergänzt sie teilweise mit praktischen Beispielen aus dem Alltag, um sie leichter verständlich zu machen.

 

 

Doch für die breite Allgemeinheit wird es spätestens bei seinem Vortrag über «Säkulare Ethik in der heutigen Welt» sehr einfacher, seinen Worten zu folgen. Er sprach darüber, dass in einer Welt, die in großen Teilen säkular ausgerichtet ist, Religion nicht mehr die einzige Grundlage für moralische Werte liefern kann. Gleichzeitig seien menschliche Werte in unserer materiell ausgerichteten Gesellschaft wichtiger denn je.

 

Zeitgleich brachte sich eine Schar von rund 500 Leuten auf der anderen Seite der Halle in Stellung. Was man im ersten Augenblick für ein persönliches Begrüssungskomitee hätte halten können, stellte sich als das Gegenteil heraus: Banner mit der Aufschrift wie «Give religious freedom to Shugden Practitioners» prangern den Dalai Lama als Lügner und Diktator an. Bei den Demonstranten handelte es sich um Anhänger des Dorjee Shugden, einer «aggressiveren» Schutzgottheit im tibetischen Buddhismus, von deren Verehrung der Dalai Lama lediglich abrät, aber keineswegs verbietet. Diese Bewegung, so erläutert er, zeichne sich vorwiegend durch fundamentalistische Züge aus, die mit der religiösen Friedfertigkeit der tibetischen Exilgemeinschaft nicht mehr vereinbar seien.

 

Aus diesem Grund vermögen selbst die mantraartigen Parolen, welche die Befürworter lauthals zum Besten geben, nicht darüber hinwegzutäuschen, dass sich hier lediglich eine kleine Randgruppierung sehr medienwirksam und äusserst berechnend in Szene setzt. Denn auch rational betrachtet erscheint es weder glaubwürdig noch sehr realistisch, dass auf der anderen Strassenseite über 7‘500 Menschen zu ihrem religiösen Tyrannen pilgern sollten.

 

Ungeachtet dessen verlaufen die zwei Tage in vollkommener Harmonie. Und begeistern nicht nur die Buddhisten unter den Teilnehmern. Nach Beendigung der Vorträge am Sonntagnachmittag gibt eine Dame aus Frankreich zu Kommentar: «Für mich ist es jedes Mal ein kleines Wunder, wenn ich den Worten des Dalai Lama lausche. Denn Wunder geschehen oft ganz unauffällig im Alltag, ohne dass man es merkt.» Einmal mehr eine buddhistische Lebensphilosophie.

 

Bildquelle: Bäckstage / © Dominique Rais

Dominique Rais / Mo, 16. Feb 2015