Wie ein illustriertes Hörbuch entsteht
Der Zürcher Autor Mike Mateescu hat seinen Roman «Heldenstadt» in aufwendiger Kleinarbeit in ein audiovisuelles Werk verwandelt. Wie der Schriftsteller im Gespräch erklärt, war dabei der Einsatz von künstlicher Intelligenz entscheidend.
Knapp zwei Jahre ist es her, dass der Zürcher Autor Mike Mateescu seinen Roman «Heldenstadt» veröffentlich hat. Jetzt hat er das Buch mithilfe künstlicher Intelligenz in einen Film verwandelt. «Heldenstadt» bezeichnet einfach gesagt eine Stadt, die sich in der Verteidigung des Vaterlandes besonders verdient gemacht hat. In Mike Mateescus neustem Projekt gebührt Dietikon dieses Label.
Der Autor verknüpft den Begriff mit Napoleon, der einst im Limmattal aktiv war. Auch wenn der Begriff «Heldenstadt» nicht direkt auf den Feldherren zurückzuführen ist, funktioniert er als Titel wunderbar. Die Figuren in der Geschichte sind auf ihre Art durchaus heldenmütig. Ein herrlicher Aspekt an «Heldenstadt» ist jedoch, dass die fünf Freunde eben keine Helden im klassischen Sinne sind, sondern durchaus Fehler machen – unnötige Fehler sogar. Der Story verleiht dieser Aspekt elegant eine Art von Glaubwürdigkeit. Wer kann schliesslich von sich behaupten, Zeitreisen auf Anhieb zu beherrschen?
Künstliche Intelligenz im Einsatz
Ein seltsames Treffen bildet den Anfang der Geschichte. Jerry, dessen Vorfahre an der Seite Napoleons gekämpft hatte, lädt sich alte Freunde ein: Rebecca, Damaso, Sandra und Rico. Rasch wird klar, dass hier ein grosser Elefant im Raum steht. Siebzehn Jahre ist es nämlich her, dass die Gruppe als Teenies eine kleine Party feierte, während die restliche Stadt ihr Jubiläum zelebrierte. Urplötzlich wurden die Freunde in jener Nacht gestört und alle rannten in verschiedene Richtungen davon. Nachdem etwas Ruhe eingekehrt war, fanden sie sich wieder, aber es fehlte Jenny. Was mit ihr passierte, blieb für immer im Naturschutzgebiet an der Limmat verborgen. Im Jahr 2013 präsentiert Jerry der Gruppe eine Möglichkeit, mit der Vergangenheit ins Reine zu kommen und gleichzeitig Jenny zu retten. Er war unsterblich in Jenny verliebt und schaffte es nie, mit ihrem Verschwinden abzuschliessen. Durch einen mystischen An-hänger gelingt es ihm, ein Tor in die Vergangenheit zu öffnen. Aber nur linear und ins Dietikon in der Zeit kurz bevor Jenny verschwand.
Spätestens seit Filmen wie «Zurück in die Zukunft» wissen wir, dass an der Zeit herumdoktern Konsequenzen hat. Diese Regel gilt auch hier, denn mit jedem Zeit- sprung zeigen sich neue Baustellen. Als illustriertes Hörbuch funktioniert «Hel- denstadt» hervorragend, sofern man sich auf den Stil einlassen kann. Die Illustra- tionen wirken wie ein Comic, der vorgelesen und gleichzeitig mit stimmungsvoller Musik verstärkt wird. Zwar flacht im Vergleich zu einem Roman das Kopfkino etwas ab, aber als audiovisuelles Konzept ist «Heldenstadt» durchwegs gelungen.
Ein blau schimmerndes Amulett ermöglicht Jerry und der Gruppe das Reisen durch die Zeit. (©Mike Mateescu)
«Die Idee entstand in mehreren Schritten. Zunächst schrieb ich den Roman. Ein Jahr später stolperte ich über die 3D-Software Blender, mit der sich jede gewünschte Umgebung basteln lässt. Ich spielte damit herum und baute zur Übung Sets aus dem Roman nach», erzählt Autor Mike Mateescu. Nach ersten Spielereien verstrich viel Zeit, bis das Projekt wieder aktuell wurde. Künstliche Intelligenz wurde zunehmend ein Thema. «Es tauchten KI-Anbieter auf, die plötzlich ein Projekt ermöglichten, für das man üblicherweise viel Budget und Mitarbeitende bräuchte», ergänzt er. Wobei hier kaum etwas per Knopfdruck entstanden sei. «Diese Anbieter lieferten lediglich Ele- mente nach meinen Vorlagen, die hinterher in kleinster Handarbeit zusammengefügt werden mussten», so Mateescu.
Diese aufwendige Arbeit verschlang Stunde um Stunde. Die Software erwies sich dabei als grosse Hilfe und kleiner Spielplatz. «Ich konnte Kamerawinkel und Lichtverhältnisse frei wählen. Nun musste ich diese Welten nur noch bevölkern – mit ausgeschnittenen 2D-Bildern der Charaktere. Gefiel mir eine Perspektive, wurde das Bild ausgerendert», sagt Mateescu. So entstanden etwa 750 Frames, einzelne Bilder, von denen es am Ende 650 ins fertige Projekt schafften.
Synthetisch generierte Stimmen
Im nächsten Schritt wurden die Figuren gestaltet. Hier nutzte Mateescu die Software Scenario. Der sanfte Touch von Manga-Comics bei der Optik der Charaktere ist bewusst gewählt. Dieser Stil sagte Mateescu am meisten zu. Zusätzlich fügten sich die Figuren mit diesem Stil am besten in die Grafiken ein. «Ich hatte konkrete Vorstellungen davon, wie die Figuren und ihre Kleidungen aussehen sollten, und selbst bei über 3000 generierten Bildern waren hinterher viele Anpassungen in Photoshop notwendig. Ich kann zwar anständig zeichnen, aber ich hätte gefühlt 400 Jahre dafür gebraucht», sagt Mateescu und unterstreicht damit, wie hilfreich die Software für sein audiovisuelles Werk war.
Neben den Grafiken war auch die Sprache ein wichtiger Faktor. Mateescu entschied sich für Englisch als Erzählsprache in Kombination mit verschiedenen Untertiteln. Sämtliche Stimmen generierte er synthetisch mit der Software Elevenlabs. «Ich wählte meine ‹Sprecher›, gab den Text in Kurzetappen ein und feilte an den Resultaten herum, bis ich die gewünschten Emotionen und Betonungen erhielt.» Dabei entstanden so viele Schnipsel, dass Mateescu die einzelnen Downloads sauber «nach Charakteren und Frames katalogisieren» musste, um nicht den Überblick zu verlieren. Als äusserst aufwendig kristallisierte sich ein anderes Problem heraus. «Die eigentliche Arbeit bestand aus dem Zusammensetzen unzähliger Dateien auf der Zeitlinie meiner Audio-Software – in diesem Fall Logic X. Allein die Anpassung der verschiedenen Lautstärken dauerte ewig, weil Elevenlabs keine einheitlichen Werte liefert», ergänzt er.
Die Zeitreisenden treffen in der Vergangenheit auf ihre jüngeren Versionen, was für schräge Situationen sorgt. (©Mike Mateescu)
Bei der Wahl der Sprache war ein massgeblicher Aspekt, dass die Geschichte durch das Englisch mehr Menschen zu- gänglich gemacht werden kann. Das ist dem Autor sehr wichtig. Besonders, weil der Film kostenlos bei Youtube verfügbar ist. Andererseits bietet die Software Elevenlabs, die zum Einsatz kam, auf Englisch eine viel grössere Auswahl an synthetischen Stimmen. «Das bedeutet mehr Dialekte und Kolorierungen und hilft, Dialoge beim Schauen besser zuzuordnen, da keine Lippenbewegungen vorhanden sind», ergänzt der Autor.
Mike Mateescu hat bei «Heldenstadt» alles selbst gemacht: Regie, Drehbuch, Musik und die Grafiken. Das war für ihn eine ungewohnte Erfahrung und ein Prozess, den er schon immer mal durchlaufen wollte. «Letztendlich ist Film die Fusion aller erdenklicher Kunstformen», betont er. Die Geschichte in ein Drehbuch zu fassen, war Neuland für Mateescu. «So fielen kleinere Handlungselemente weg und die Dialoge gewannen an Bedeutung. Atmo- sphären wurden nicht mehr durch Worte, sondern durch Musik und Bilder beschrieben», erklärt er.
Ein Budget von nur 250 Franken
Nicht zuletzt war die Herausforderung, die Geschichte von einem Roman in ein audiovisuelles Gefäss zu konvertieren, sehr intensiv. «Man muss es sich als gewal- tiges Puzzle vorstellen, das ausschliesslich dem Erzählen einer Geschichte dient. Daher musste ich mich komplett neu mit meinem Roman und seinen Motiven aus- einandersetzen, was am Ende ein paar neue Blüten trieb.» Gekostet hat «Helden- stadt» nicht annähernd so viel, wie man vielleicht denken könnte. «Das Budget be- trug tatsächlich nur 250 Dollar. Oder Franken. Ist derzeit ja fast dasselbe», betont Mateescu. «Es deckte sämtliche Kosten bei KI-Dienstleistern. Meine eigenen Arbeits- stunden sind natürlich nicht einberechnet, denn dann wäre der Betrag weit höher ausgefallen.»
Bleibt zum Schluss noch die Frage, worin die grösste Herausforderung bei der Umsetzung von «Heldenstadt» bestanden hat. «Die Ungewissheit, ob ich so ein kom- plexes Projekt zum Abschluss würde bringen können. Sowie die Gewissheit, dass sich gewisse Leute am Animationsmangel und dem Einsatz von KI stossen würden. Aber man sollte nie versuchen, es allen recht zu machen. Für mich war es jedenfalls eine steile Lernkurve, mit einem Endresultat, für das ich dankbar bin», schliesst Mike Mateescu seine Reise zufrieden ab.
- «Heldenstadt» kann bei Youtube kostenlos angeschaut werden.
- Link zum Film
* Dieser Artikel ist Teil einer Textpartnerschaft mit den Lokalzeitungen von zuerich24.ch. Einmal im Monat schreibt die Bäckstage-Redaktion einen Artikel, der bei zuerich24 erscheint.