Stilistisch breit und voller Liebe

Kritik: Broilers - Puro Amor
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Albumcover / ©Broilers

Gute 25 Jahre ist es her, dass eine euphorische Gruppe Jugendlicher in Düsseldorf entschied, eine Punkband zu gründen. Oi!-Punk wollte unter die Leute gebracht werden und der Spass sollte im Vordergrund stehen. Die Band heisst Broilers und spielt inzwischen locker vor über 20‘000 Menschen. Bis heute sind sowohl die Euphorie als auch der Spass noch immer da, der Punk ist immer noch die grosse Liebe, aber nicht mehr pickelhartes Credo. Geändert hat sich über die Jahre das musikalische Verständnis der Band, was man dem neuen Album «Puro Amor» sehr gut anhört. Die Band ist stilistisch viel breiter geworden. Das liegt einerseits an den verbesserten spielerischen Fähigkeiten. Andererseits hat sich mit der Zeit der Anspruch an das Equipment gesteigert und die grosszügigere Aufnahmezeit, die sich die Band heute erlauben kann, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, wie Gitarrist Ron Hübner uns im Interview verraten hat.

 

Zwischen Selbstironie und sich treu bleiben

 

Zuerst fällt der spanische Titel auf. Er wurde aber eher gewählt, weil das Äquivalent in Deutsch weniger gut klingen würde. Hier schimmert erstmals die feine Selbstironie durch, die die Broilers pflegen. Pure Liebe ist das Album aber sowieso. Es ist die Liebe zu den eigenen Wurzeln, die - trotz Fankritik im Vorfeld, die Band würde ihre Herkunft vergessen -, immer noch tief im punkigen Erdreich wachsen und gedeihen. Es sind Songs wie «Nicht alles endet irgendwann», die das sauber unterstreichen und wütende Online-Kritiker, die im Vorfeld «Das ist kein Punk mehr!» schrien, irgendwie den Spiegel vorhält. Wenn man so will, gerade auf der textlichen Ebene: «Wir bleiben die, die wir waren».

 

Broilers - «Gib das Schiff nicht auf»

 

 

Taucht man aber tiefer in das inzwischen achte Studioalbum ab, führt die Strömung zur Hymne «Gib das Schiff nicht auf», einem Song über Freundschaft und Durchhaltewillen. Der Text könnte aber mühelos auf die aktuelle Corona-Pandemie übertragen werden. Interpretieren liesse sich der Text bestimmt noch anders. Das liegt durchaus im Interesse von Sprachkünstler Sammy Amara, der die Texte schreibt und singt. Ebenfalls einen Bezug zur derzeitigen Lage liesse sich bei «Alles wird wieder ok!» finden. Der Mid-Tempo-Song ist zwar nicht explizit für Corona gedacht, sondern soll generell Hoffnung geben. Das passt aber völlig auf die Pandemie, auch wenn der Song deutlich vorher geschrieben wurde. Darum war er als zweite Single gut gewählt. Hier zeigt sich auch, dass unter den Broilers jemand Filme mag, denn die Zeile «Wir liebten nie den Geruch von Napalm am Morgen, haben uns nur damit arrangiert» bezieht sich klar auf den Anti-Kriegsfilm «Apocalypse Now».

 

Auffällig ist bei «Puro Amor» die Liebe zur Musik, zu den eingängigen Melodien. Etwa der Refrain zur punkigen Nummer «Niemand wird zurückgelassen». Oder wenn bei «Alice und Sarah» das Thema Rechtsradikalisierung mit sehr viel Bläsern unterlegt wird. Auffällig ist, wie mühelos «Trink mich doch schön» mit Reggae und Ska flirtet und «Schwer verliebter Hooligan» hauchdünn im Pop grast. Das zeigt die stilistische Breite, die sich die Broilers bewusst bewahren.

 

Mehr Zeit für die Aufnahmen

 

Um abschliessend noch einmal auf die fein geschliffenen Texte zu kommen, noch zwei Anspieltipps. «Da bricht das Herz» gewinnt mit bildstarken Zeilen wie «Du trägst den Brustkorb voller Splitter» viel Tiefe und wird nach ruhigem Einstieg deutlich schneller und passt so zum progressiven Herzschmerz. Der zweite Song sind die «Dachbodenepisoden». Mit bedeutungsschwangerem Klavier startet der Song, während Sammy vom Rumpeln über ihm singt und mit jeder Zeile, die mehr in den geheimnisvollen Text führt, intensiviert sich auch die Musik. Der Song ist ein weiteres Beispiel für die Feinheiten in den Texten, die man auf «Puro Amor» unbedingt beachten sollte. Die einfachste Interpretation ist natürlich, dass sich der Text um den eigenen Kopf dreht, der Dachboden eine Metapher für abgelegte Erinnerungen, längste verblasste Ängste und Heimat von verflossenden Lieben ist. Vielleicht ist das aber deswegen viel zu einfach. Es zeigt auf jeden Fall, wie offen die Broilers ihre Texte gestalten und wie gut diese funktionieren.

 

Als die Corona-Pandemie die Welt in den Würgegriff nahm, war das neue Album noch nicht ganz fertig im Kasten. Andere Themen waren verständlicherweise wichtiger. Es galt beispielsweise Tourneen zu verschieben. So wurden die Aufnahmen sistiert. Der Plan war, das Album vor Sommer 2020 zu beenden. Durch die Pandemie war aber plötzlich mehr Zeit da. So wird man den Verdacht nicht los, dass die Broilers diese neu gewonnene Zeit bei den Aufnahmen optimal genutzt haben. Jedenfalls würden der Klang und die stilistische Breite des Albums dafürsprechen.

 

«Puro Amor» ist mehr purer Punk, sondern zeigt eine Band, die feine Facetten pflegt, den Punk aber nie vergessen hat. Der Spagat zwischen den eigenen Wurzeln und verschiedenen anderen Genres funktioniert gut. Die Broilers halten entspannt, was ihr Ruf verspricht.

 

  • Band: Broilers
  • Gerne: Oi!-Punk, Punk, Ska
  • Album: «Puro Amor»
  • Ab sofort im Handel

 

Bäckstage Redaktion / Do, 22. Apr 2021