Im Gespräch mit William Fitzsimmons
William Fitzsimmons ist nicht nur einer der atemberaubendsten Singer-/Songwriter unserer Gegenwart, sondern auch einer mit dem man sich gerne mal auf ein Bierchen trifft. Bei einem Bier und der ein oder anderen Zigarette hat sich William Fitzsimmons ungewöhnlich viel Zeit genommen für ein Interview mit bäckstage. Wir haben vor seinem Konzert im Komplex Klub mit ihm über sein neues Album, seine Familie und seinen Job als Psychotherapeut geredet. Aber auch über das Leben und sein Rezept gegen Liebeskummer philosophiert.
Du bist endlich wieder zurück in der Schweiz. Im Dezember hast du ein Konzert im Bogen F in Zürich gespielt…
Ja, genau. Aber stimmt, davor war ich glaub zweieinhalb oder drei Jahre nicht hier. Aber es ist immer wieder schön in die Schweiz zu kommen. Ich finde es toll hier. Ich mag deutschsprachige Länder, weil ich selber auch ein bisschen Deutsch sprechen kann (lacht).
Aber Deutsch zu lernen ist ja nicht ganz einfach, oder?
Hmm. Findest du? Ich weiss nicht. Also fliessend Deutsch zu sprechen ist bestimmt nicht einfach. Also mit den Artikeln hab ich immer so meine Probleme. Shit. Also ich weiss jetzt nicht… (Anm. d. Red.: zeigt auf den Mülleimer) … heisst das jetzt der Papierkorb?
Ja, stimmt. Perfekt.
Ja, aber warum heisst das denn zum Teufel DER Papierkorb?
Hahaha. Ja, das macht es doch so kompliziert. Im Englischen heisst es einfach immer THE…
Stimmt, da hasst du Recht. Warum zum Teufel braucht man denn so viele unterschiedliche Artikel (lacht)? Aber es ist toll andere Sprachen zu lernen, da bekommt man auch immer was von der Kultur mit. Später möchte ich auch, dass meine Töchter noch andere Sprachen ausser Englisch lernen.
Deine Musik ist wie ein emotionaler Schlag ins Gesicht…
(schmunzelt) Find ich gut, wie du das beschrieben hast. Das gefällt mir (lacht).
Ich hab mir dein Album angehört und auch noch Stunden danach konnte ich den Herzschmerz in deinen Songs spüren. Ist das deine Absicht, wenn du Songs schreibst?
Ja, sicher. Das ist meine Hauptabsicht, ich möchte mit meinen Songs ein Gefühl auslösen. Der Rest ist für mich nicht so wichtig, ob die Akkorde jetzt abwechslungsreich genug sind oder ob der Song jetzt sechs Minuten oder nur drei Minuten lang ist, spielt keine Rolle. Wenn ich einen Song schreibe, dann muss ich das Gefühl irgendwie auch selber spüren können und mich da reinversetzen können. Manchmal muss ich sogar selber weinen, wenn ich einen Song schreibe. Aber das heisst jetzt nicht, dass alle meine Songs traurig sind. Aber für mich müssen sie halt irgendein starkes Gefühl transportieren.
Das Ding ist einfach, dass sich Menschen von Natur aus zu viele Gedanken darüber machen, was andere denken oder denken könnten. Das schwirrt uns, glaub ich, immer so durch den Kopf. Das ist ein bisschen wie, wenn man sich zum Date verabredet. Du gehst auch nicht dort hin und redest über deine tiefsten Ängste, sondern versucht einfach möglichst cool, interessant und ausgeglichen zu sein. Das ist auch völlig in Ordnung, aber bei der Musik sollte das eben genau umgekehrt sein und es sollte eben genau um so Gefühle gehen.
Du hast Psychologie studiert und dann eine Weile als Psychotherapeut gearbeitet. Dabei hast du Menschen geholfen sich mit ihren Problemen auseinanderzusetzen.
Ich liebe deine Formulierungen, die sind echt super. Auch der «emotionale Schlag ins Gesicht», das gefällt mir wirklich. Aber du hast es absolut richtig erkannt. Es geht nicht darum die Probleme der Leute zu lösen, sondern ihnen zu helfen sich mit ihren Problemen auseinanderzusetzten. Viele Leute denken, man geht zum Psychotherapeuten, sagt ihm was falsch läuft und der bringt es dann wieder in Ordnung. Aber eigentlich sollte es eine Interaktion geben.
Es gab Zeiten, da war ich ziemlich niedergeschlagen und hab viel Musik von Nick Drake gehört, das hat meine Probleme zwar nicht gelöst, aber ich hab mich einfach nicht mehr so allein gefühlt, dem ging es ja auch so. Leute haben manchmal einen falschen Anspruch an die Musik.
Das heisst, einfach jemand, der da ist und zuhört?
Absolut. Es geht nicht darum, schlaue Ratschläge zu geben. Ich hab nie jemandem gesagt, was er machen soll. Man hat sonst schon genügend Leute um sich rum, die einem immer erklären, was man zu tun und zu lassen hat. Auch dann, wenn man gar nicht danach gefragt hat. Therapie soll einem die Möglichkeit geben selber reden zu können.
Ist die Musik für dich denn eine Art Selbst-Therapie?
Ja, schon, aber es ist viel weniger Selbst-Therapie als ich noch am Anfang gedacht habe. Ich hab damals gedacht, es würde ausreichen. Aber ehrlich gesagt hat mir nicht die Musik, sondern erst die Therapie geholfen mit einigen Dinge aus meiner Vergangenheit klar zu kommen. Die Musik war aber immer auf eine Art hilfreich. Musik ist für mich wie eine Lupe. Sie hilft Dinge wahrzunehmen, aber Probleme kann sie nicht lösen.
Es gab Zeiten, da war ich ziemlich niedergeschlagen und hab viel Musik von Nick Drake gehört, das hat meine Probleme zwar nicht gelöst, aber ich hab mich einfach nicht mehr so allein gefühlt, dem ging es ja auch so. Leute haben manchmal einen falschen Anspruch an die Musik. Musik ist Musik und sie macht genau das wofür sie geschafften wurde – Kunst zu sein. Aber die Musik ist bestimmt kein Ersatz für gescheiterte Beziehungen.
Denkst du manchmal darüber nach wieder als Psychotherapeut zu arbeiten?
Ich hab die Möglichkeit nie ausgeschlossen. Es gibt so viel, das ich an meinem Job geliebt hab. So wie das jetzt. Einfach zusammen zu sitzen und zu reden. So was bedeutet mir extrem viel. Mit meinen Freunden rede ich auch mal über totalen Blödsinn, aber am Schluss sind es die intellektuellen, tiefgründigen Gespräche, die uns verbinden. Ich denke, in meinem Leben hat alles seinen Grund. Ich glaube, ich bin jetzt genau da, wo ich hingehört und wirklich dankbar dafür. Aber ich schliesse nicht aus, irgendwann wieder in meinem Beruf als Psychotherapeut zu arbeiten.
Zu etwas ganz anderem. Deine Haare und dein Bart…
Naja, also Haare hab ich momentan ja nicht wirklich (lacht).
Stimmt, aber dafür um so mehr Bart…
(lacht) Ja, ich schneide meinen Bart von Zeit zu Zeit mal, aber nie ganz. Den hab ich jetzt, glaub, seit zwei Jahren so. Was das angeht, bin ich ein ziemlich haariger Typ. Und wenn ich jetzt mein T-shirt ausziehen würde … der totale Urwald (lacht).
Was bedeutet dir denn dein Bart?
Puuh. Keine Ahnung (lacht). Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der die Männer immer schon Bärte hatten. Wenn man als Junge in einer Familie aufwächst, in der der Vater dein grosses Vorbild ist … für mich war das damals das, was einen richtigen Mann ausmacht. Also habe ich ihn einfach wachsen lassen. Für mich ist es normaler einen Bart zu haben als keinen. Hmm, hast du Tattoos?
Nein, gar keine (lacht).
Ok, also ich hab ja einige Tattoos.
Genau, du hast einen Anker auf deinem Unterarm. Hat der eine spezielle Bedeutung für dich?
Josie ist meine Tochter und der Anker steht für meine Familie, meine Frau, meine Kinder.
Also ist deine Familie dein Anker im Leben?
Absolut, das hast du ziemlich treffend gesagt. Ich hab zwar Tattoos, aber ich selbst denk gar nicht gross drüber nach, die sind halt einfach da. Das ist wie bei dir. Du trägst ein Armband, aber du denkst da ja auch nicht gross drüber nach. Und mit meinem Bart ist es das Gleiche. Ohne Bart würd ich mich ziemlich komisch fühlen. Und die Leute sagen mir auch immer wieder: Schneid bloss nicht deinen Bart ab (lacht).
Lassen wir deinen Bart und reden über deine Musik. Deine Songs sind alle irgendwie autobiografisch, oder?
Ja, grösstenteils. Wobei die neue Platte «Lions» am wenigsten autobiografisch ist. Aber dieses Mal bin ich, glaub ich, mehr der Begleiter als der Hauptdarsteller. Auf den Platten davor war immer Motto jeweils: Ich, ich, ich und nochmal ich (lacht). So der klassische Singer-/Songwriter-Bullshit halt.
Ich habe kürzlich ein Interview mit Mark Kozelek von Sun Kil Moon und Red House Painters bei Pitchfork gelesen. Er ist mittlerweile 47 Jahre alt und seine Musik ist extrem autobiografisch und er wurde da gefragt, warum? Er meinte einfach: Irgendwie muss man das Zeug, was man erlebt, ja verarbeiten. Einige Leute reden mit Freunden über ihre Probleme, andere lesen, schreiben oder ignorieren es einfach oder nehmen Drogen. Es gibt tausende Wege damit umzugehen und für mich ist die Musik und Songs darüber zu schreiben der richtige Weg.
Was sind denn deine grossen Themen, über die du schreibst?
«Lions» ist eigentlich über zwei starke gegensätzliche Gefühle, die du zur gleichen Zeit empfinden kannst.
Du hast mal gesagt, es geht einerseits um Güte und andererseits um Grausamkeit.
Genau, das Gefühl von grosser Freude aber auch schon Schmerz. Meine beiden Töchter sind adoptiert. Vor zwei Jahren war ich im Krankenhaus. Vor der Geburt haben meine Frau und ich viel Zeit mit der leiblichen Mutter von Josie verbracht und sie wurde ein wichtiger Teil unseres Lebens. Aber als Josie auf die Welt kam … wir waren alle dabei, aber von dem Moment an gehörte Josie zu uns. Ich hatte davor noch nie so gegensätzliche Emotionen gespürt. Natürlich haben wir uns riesig über Josie gefreut und waren glücklich, aber ich war auch extrem traurig, da Josies leibliche Mutter ihre Tochter an uns weggegeben hatte.
Handelt «Josie’s Song» davon?
Ja, in «Josie’s Song» geht es um die Beziehung zwischen Josie und ihrer leiblichen Mutter. Für mich ist es auch der persönlichste Song, weil meine Tochter mit einer Herausforderung gross wird, die ich selber nie verstehen kann. Sie ist jetzt erst zwei Jahre alt, aber irgendwann wird der Punkt kommen, an dem Josie verstehen wird, was passiert ist und lernen muss, damit zu leben, dass ihre leibliche Mutter sie weggegeben hat, weil es ihr nicht möglich war, für sie zu sorgen.
Deine Eltern sind beide blind. So wurde die Musik, schon in deiner Kindheit, zu einem wichtigen Bestandteil in deinem Leben.
Das Augenlicht ist die wichtigste Sinneswahrnehmung unter Menschen und wenn das nicht mehr da ist, ist da ein riesiges Loch. Wir sitzen hier zusammen und reden, aber man weiss, dass eigentlich 70 Prozent unserer Kommunikation über die non-verbale Ebene funktioniert. Und wenn das nicht mehr da ist, muss man es mit etwas anderem ersetzen. So wurde in meiner Familie die Musik sozusagen zum Ersatz dafür.
Wenn man einen Lehrer nimmt, der immer dann, wenn die Klasse unruhig ist, anfängt zu schreien, dann wird das nichts. Aber wenn da einer ist, der, sobald es unruhig wird, selbst ganz leise wird, dann irritiert das und auf einmal werden die Schüler wieder aufmerksamer. Genau das versuche ich auch mit der Musik.
Würdest du sagen, dass das der Grund ist, weshalb du heute Musiker bist?
Auf jeden Fall. Ich verdanke dieser Tatsache meine Liebe für und mein Verständnis von Musik. Vielleicht wäre ich auch mit nicht-blinden Eltern Musiker geworden, aber die Art mein Umfeld wahrzunehmen, wurde definitiv durch die Umstände, in denen ich aufgewachsen bin, geprägt.
Wenn man sich deine Musik anhört, dann merkt man gleich, dass deine Songs von den leisen Tönen leben. Du bringst die Menschen so dazu besser hinzuhören…
Du versteht mich so viel besser, als ein Grossteil der Leute mit denen ich sonst zu tun hab. Du hörst die Kleinigkeiten raus und hast ein richtiges Gespür dafür. Danke dir, das zu spüren tut echt gut. Wenn man einen Lehrer nimmt, der immer dann, wenn die Klasse unruhig ist, anfängt zu schreien, dann wird das nichts. Aber wenn da einer ist, der, sobald es unruhig wird, selbst ganz leise wird, dann irritiert das und auf einmal werden die Schüler wieder aufmerksamer. Genau das versuche ich auch mit der Musik. So haben es Nick Drake, Mark Kozelek und Elliott Smith, meine Lieblingsmusiker, auch gemacht.
Als ich deine Musik zum ersten Mal gehört hab, hat mich das an Dallas Green bzw. City and Colour erinnert…
Oh, danke dir. Das ist ein echtes Kompliment. Er ist ein grossartiger Singer/Songwriter, bei dem man die Ehrlichkeit raushören kann, und er hat eine ganz bezaubernde Stimme.
Trauer und Herzschmerz sind immer wieder ein wichtiges Thema in deinen Songs. Was ist dein Rezept gegen Liebeskummer und für Leute mit einem gebrochenen Herz?
Sich damit auseinandersetzen, sich mit der Situation bewusst konfrontieren, auch wenn man das meistens gar nicht will. Auch wenn man im Schmerz zu ertrinken droht, muss man beginnen zu schwimmen und alles geben, um oben zu bleiben. Das ist der Punkt an dem man sich an seine Freunde und Familie wendet oder wenn es nicht anders geht, professionelle Hilfe holt. Sigmund Freud hat das ganz gut erkannt. Viele denken, irgendwann komm man drüber weg. Was wirklich passiert, wenn man sich nicht damit auseinandersetzt, man verlagert das Problem einfach nur und irgendwann holt es einen ein, auf welche Art auch immer. Ein Alkoholiker zum Beispiel, der trinkt vielleicht nicht mehr, ist dafür aber jetzt spiel- oder sexsüchtig. Man stürzt sich so einfach in eine andere Abhängigkeit. Irgendwo ist da auch unsere heutige Gesellschaft daran schuld, denn die Bibel der Psychologen, das Diagnostische und Statistische Handbuch psychischer Störungen, besagt zum Beispiel, dass nur drei Monate Verarbeitungszeit für einen Trauerfall vorgesehen sind. Wie bescheuert ist denn das, so etwas zu behaupten. Das macht keinen Sinn, das ist doch von Mensch zu Mensch und von Situation zu Situation unterschiedlich.
Danke, dass du dir Zeit genommen hast für das Interview. Wir könnten wohl noch Stunden so weiter philosophieren, über das Leben und die Musik.
Danke dir, es war mir eine Freude mit dir zu reden. Hoffentlich sieht man sich bald wieder.
William Fitzsimmons - «Fortune»