Wohnzimmerband für grosse Stadien

Konzertkritik: Coldplay im Letzigrund
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Nach ziemlich genau zwanzig Minuten ist klar, wieso Coldplay so erfolgreich sind. Chris Martin setzt sich ans Klavier, beugt sich ähnlich krumm über sein Instrument wie es Beethoven bei den «Peanuts» tut, beginnt mit «The Scientist» und singt sich direkt in die Herzen der Besucher. In solchen Momenten vermögen es Coldplay, in einem Stadion, das nahezu 50’000 Menschen fasst, das Gefühl zu vermitteln, sie würden für jede einzelne Person exklusiv spielen. Coldplay, die Wohnzimmerband für grosse Stadien. 

 

Das treibt aber auch die Erwartungen in die Höhe. Während rund eine Stunde früher die Türen der Toi-Toi-Häuschen auf Hochbetrieb «gschletzt» werden und auf dem Dach ein einsamer Techniker an irgendwelchen Vorrichtungen schraubt, sind die Fans längt bereit für ihre Helden. Zwei Teenager mit Tour-Shirts heben ihre Hände in die Höhe. Ein kleines Mädchen, die Hand der Mutter als Sicherheit haltend, guckt sich die Szenerie aufmerksam an und folgt dann mit strahlenden Augen dem Hungergefühl, dass der Geruch nach Pommes Frites von einem der Essenstände auslöst. Die Vorfreude beim Publikum ist riesig. Vielleicht gehen Coldplay darum kein Risiko ein. Die Setlist ist sauber abgestimmt, enthält Hits aus allen fünf Alben und ändert sich bei den Konzerten jeweils nur wenig. Coldplay geben den Leuten genau das, was sie wollen. 

 

Dann eröffnet ein wenig Nostalgie die Show. Das Thema aus dem Film «Zurück in die Zukunft» dient als Intro. Ab jetzt bieten Coldplay eine perfekte Show. Konfetti zu «In My Place», Ballons mit Zürich-Schrift bei «Lovers In Japan». Aufblasbare Schmetterlinge, Herzen und andere Symbole blinken bei «Don’t Let It Break Your Heart» in allen Ecken des Stadions um die Wette und die fünf riesigen Screens, die die Bühne säumen, drehen sich bei «Clocks» sogar um die eigene Achse. Die Band begibt sich für die erste Zugabe, «Us Against The World» und eine reduzierte Version von «Speed Of Sound», sogar auf eine Bühne in der Mitte des Stadions. Chris verspielt sich bei «Speed of Sound». Auch das kam in früheren Konzerten schon vor. Teil der Show? Macht nichts, denn wenn bei «Every Teardrop Is A Waterfall» das ganze Stadion ein letztes Mal zum Lichtermeer wird, sind fast alle Zuschauer zufrieden. Der Tenor nach der Show ist jedenfalls durchwegs positiv. 

 

Nicht nur die Show ist bunt, auch auf Fotos sind Coldplay voller Farbe. (Quelle: emimusic.ch)

 

Besonders witzig ist die Art, wie das Publikum zum Teil der Show wird. Jeder Besucher bekommt beim Betreten des Stadions ein Armband ans Handgelenk gestreift. Dies kann im passenden Moment – wohl von einem Techniker der Band – aktiviert und zum Blinken gebracht werden. So verwandelt sich das Letzigrund immer wieder in ein Feld aus Lichtern, fast so, als ob tausende bunte Glühwürmchen tanzen würden. Überhaupt ist Farbe das elementare Thema der Show. Die Instrumente sind mit Neonfarben bemalt, der Cat-Walk ebenso, an den Beleuchtungstürmen sind zusätzliche Lichtquellen montiert und natürlich flirren immer wieder Laser durch die Luft. Zusätzlich ist hinter der Bühne ein Tuch über die gesamte Südkurve gespannt, auf dem Miami, Hannover, Calgary und noch viele weitere Städte in Neonschrift geschrieben sind. Irgendwo wird auch Zürich stehen, denn vermutlich sind es bisherige Tourstädte.  

 

Coldplay könnten mit ihrem natürlichen und vor Freude sprudelnden Auftritt ein brillantes Konzert liefern. Menschen aller Altersklassen hängen im Letzigrund an ihren Lippen, singen und klatschen, freuen sich an der Lichtershow und feiern eine grosse Party. Bei einem Konzert ist aber der Sound ebenso wichtig wie der Showaspekt und bei Coldplay ist an diesem Samstagabend die Abmischung einfach zu unsauber für ein Konzert in dieser Preisklasse. Chris Martin ist zum Teil nur ganz schwach zu hören und beispielsweise das Gitarrenriff bei «Paradise» geht fast komplett unter. Irgendwann nach der Hälfte wird der Ton etwas besser, ist aber noch immer weit von früheren Konzerten der Engländer entfernt. Der nicht optimale Ton trübt den Genuss etwas, aber in Sachen Show macht Coldplay trotzdem so schnell keiner was vor. 

Patrick Holenstein / So, 27. Mai 2012