Multiple Orgasmen und 2 Coitus Interrupti

Konzertkritik: Cigarettes After Sex
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Handyfoto © Tanja Lipak

Sphärisch, flüchtig, leicht und doch tiefgründig, das ist die Musik von Cigarettes After Sex. Das Trio um Leadsänger Greg Gonzales machte gestern Abend Halt in der Basler St. Jakobshalle. Überraschenderweise bestand das Publikum hauptsächlich aus Gen Z Besuchenden. Also jener Generation, die in den 00er Jahren geboren und mit Smartphones aufgewachsen ist. Die Generation, welche alles schnell, neu, spontan und kurzfristig will. Genau das Gegenteil der Musik von Cigarettes After Sex. Es war deshalb keine Überraschung, dass der Konzertbeginn um 15 Minuten verschoben wurde, da viele Besuchende immer noch an der Garderobe oder vor der Konzerthalle in der Reihe standen, als eigentlich der Hauptact, ohne Vorband, seine Show beginnen wollte. 

 

Viertel nach Acht, oder ein paar Minuten später, war es endlich soweit, die drei Musiker - selbstverständlich in schwarz gekleidet - betraten die Bühne. Bandlead Greg Gonzalez mit klassischer Ray Ban Wayfarer auf der Nase, als wäre er nicht ohnehin schon cool genug. Und hier folgt der zweite Widerspruch des Abends. Obwohl Greg hauptsächlich durch die Musik zum Publikum sprach und wenn, dann nur die plakativen «We love you», «it’s good to be here»-Sätze fallen liess, funktionierte es. Genauso minimalistisch schien zunächst die Show. Die dominierenden Farben waren schwarz und weiss und dazu mehr als 50 verschiedene Grautöne. Aber was das Show-Team hier herausholte, muss man mit eigenen Augen gesehen haben. Passend zu jedem Song, erfanden sich die Lichteffekte, Hintergrundanimationen und Videoübertragungen immer wieder neu, zeigten ein unglaublich breites, ergreifendes Spektakel, auch wenn sie aus nur wenigen Elementen bestanden. Weniger ist mehr wurde noch nie besser unter Beweis gestellt. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Songs. Alle Lieder beschreiben Romanzen, die kleinen wie auch die grossen. Und die dazugehörigen Gefühle, Momente und Beziehungen, die - wie sagte Sofia Coppola anlässlich der «Lost in Translation»-Promo so schön - «…might not last, yet stay with us forever». 

 

Fein, filigran sind die Songs. Das Publikum dementsprechend die meiste Zeit zurückhaltend. Nur zu Beginn der Songs, ganz früh, wenn nur die ersten Töne erklangen, aber viele schon die Songs erkannten, fielen jeweils Jubelschreie und es wurde geklatscht. Mitgesungen wurde auch nicht, bis auf «K.» und «Apocalypse». Bei letzterem wurde auch klar, wofür der schwarze, hängende Quadrant da ist, als dieser oberhalb des Mischpults eine riesige Diskokugel entblösste und diese die ganze Halle ins Leuchten brachte. Einer der vielen Gänsehaut-Momente, die vor allem die Songs der Alben «Cigarettes after Sex» und «Cry» brachten. Die Lieder des neusten Albums «X’s», das diesen Sommer erschien, sind - der Publikumsreaktionen nach bewertet - weniger bekannt. Jedoch wurden alle Songs musikalisch makellos umgesetzt, der Sound der Studioalben wurde sehr gut getroffen.

 

Obwohl die Interaktionen mit dem Publikum während der Show minimal ausfielen, liess Bandoberhaupt Greg keine Sekunde verstreichen, wenn er via Handyblinken S.O.S.-Singale aus dem Publikum wahrnahm und die Show abbrechen liess - auch mitten während den Songs. Sobald die Situation geklärt war und alle «safe», setzen Cigarettes after Sex weiter fort, auch wenn sie den Song erneut von Beginn ab spielen mussten. Dies natürlich ganz zur Freude der Fans. Es gab insgesamt zwei solcher Coitus Interrupti während der ca. 95-minütigen Show, die multiple Orgasmen auslöste, um bei der Metapher zu bleiben. Die wohlverdiente Zigarette danach musste sich nach der Show aber gedulden. Statt nach draussen, stürmten die jungen Wilden zu den Merchandising Ständen. Ein CaS Hoodie war das meistverkaufte Item des Abends und das bei allen Ständen ausverkaufte. Ein guter Deal für die bevorstehende Winterzeit, wir sprechen hier von 100% Baumwolle, also effektiv eine kluge Investition. Ja, 65 CHF sind eine Investition für Teenies und Studierende und diese mussten manchmal sogar den netten Verkäufer anflehen, die Rechnung in Cash und Karte zu splitten, weil man von je zu wenig hat, um es mit einer Zahlungsmethode zu tilgen. Ja, es schien überlebensnotwendig, die Halle mit einem Hoodie zu verlassen. 

 

 

Cigarettes after Sex kamen, sahen und siegten. Sie hinterliessen mit ihrer Show und ihren Songs viel bitter benötigte Wärme nach den U.S. Wahlergebnissen. Und sollte die Show-Wärme nach ein paar Tagen ausklingen, so hat man immer noch den tollen CaS Hoodie, der wärmt.

 

Tanja Lipak / So, 10. Nov 2024