Blind Date ... mit zwei Söhnen Mannheims
Die Söhne Mannheims sind regelmässig Gast auf Schweizer Bühnen. Kurz vor dem umjubelten Auftritt der Band im Hallenstadion letzte Woche namen sich Henning Wehland und Michael «Kosho» Koschorreck sehr viel Zeit für bäckstage.
Beim entspannten Musikhören plauderten Henning und Kosho über ihre Erfahrungen beim MTV-Unplugged, erzählten einiges aus den jeweiligen Nähkästchen und lüfteten das Geheimnis, was die Söhne Mannheims mit Grönemeyer gemeinsam haben. Daneben spielten UFO‘s und eine deutsche Soulgrösse, die in Afrika für Sightseeing gut ist, eine Rolle.
- Song: Wir werden uns wiedersehen von Selig
- Album: Und endlich unendlich (2006)
Henning:Ah. Was ist das gleich? (Gesang beginnt) Selig, logischerweise. Geil. Wie heisst die Nummer noch mal?
«Wir werden uns wiedersehen».
Henning: Von der aktuellen Platte, gell?
Nein, vom Comeback-Album «Und endlich unendlich».
Henning: Ja, genau. Die fand ich gar nicht schlecht. Sie schreiben halt nach wie vor sensationell gute Songs und sie haben Plewka (Jan Plewka, Sänger von Selig. Anm. d. Red.), der ist einer der grössten deutschen Sänger und Texter ist, wie ich finde.
Und auch nach zehn Jahren Pause sind sie noch top.
Henning: Die haben ja auch alle weiter viel Musik gemacht. Der Gitarrist von Selig, Christian Neander, hat die ersten beiden Platten eines Freundes von mir, von Ingo Pohlmann, produziert. Deshalb hatte ich mit ihm relativ viel zu tun.
- Song: Ich wollte wie Orpheus singen von Reinhard Mey
- Album: Ich wollte wie Orpheus singen (1967)
Kosho: (Nach zwei Sekunden) Reinhard Mey. «Ich wollte wie Orpheus singen»!
Henning: Das hast du jetzt sofort gehört?
Kosho: Ich kenne das Stück, seit ich sechs Jahre alt bin. (Lacht vor Freude laut) Meine Eltern haben die Platte, auf der das Stück ist, nach einem Reinhard-Mey-Konzert mit nach Hause gebracht.
Henning: Hat Reinhard Mey eigentlich mitbekommen, dass wir die Nummer gecovert haben?
Kosho: Jaja. Er fand das gut und hat sich darüber gefreut. Ich liebe diesen Song und habe mich total gefreut, als Xavier gesagt hat, dass wir ihn bei MTV-Unplugged spielen würden. Ich habe mir schon immer gedacht, dass er gut passen würde.
Henning: Es war ja die allererste Single von Reinhard Mey.
Kosho: War es sogar? Die erste deutsche, oder? Hatte er nicht vorher schon in Frankreich Erfolg oder lief das parallel?
Henning: Als er nach Frankreich ging, war er in Deutschland, glaube ich, schon ein Star.
Kosho: Ja, phänomenal. Also Reinhard Mey ist halt … Reinhard Mey. Der hat eine Doppelbegabung, ähnlich wie Stephan Eicher. Das ist total selten. Es gibt, abgesehen von Ute Lemper, nur wenige Leute, die in Deutschland und Frankreich gleichermassen bekannt oder beliebt sind. Zumindest bei den Sängern, bei Schauspielern ist es vielleicht nochmals anders.
Henning: Patrice.
Kosho: Patrice?
Henning: Ja, der ist riesengross in Frankreich.
Reinhard Mey wurde anfangs von den Kritikern gelobt und mit zunehmendem Erfolg stärker kritisiert. Wie erlebt ihr das bei den Söhnen Mannheims?
Kosho: Bei uns war es irgendwie andersrum. Am Anfang hatten wir es sehr schwer in den Medien. Es wurde zwar berichtet, aber die Kultursparten haben uns eher gedisst. Zumindest diejenigen, die mit Xaviers Stimme oder Musik nichts anfangen konnten. Wir haben uns aber trotzdem durchgeschlagen und bekamen erst Jahre später eine Akzeptanz bei bestimmten Medien. Aber grundsätzlich ist es normal. Wenn etwas gepusht wird, wird es oft erfolgreich, also zum Selbstläufer, und die Medien müssen halt trotzdem wieder irgendwas schreiben.
Ich möchte nochmals kurz auf das MTV-Unplugged-Album kommen. Wie war es für euch, unplugged zu spielen?
Henning: Es war anfangs gar nicht so einfach, weil alle Bands, die vor uns bei MTV-Unplugged mitgemacht hatten und auch die, die danach gekommen sind, ja alles Bands waren, von denen man nicht unbedingt ein Unplugged-Album erwarten würde. Also Leute wie Die Toten Hosen, Ärzte oder Die fantastischen Vier. Für uns war es anders, da unsere Songs zum Teil bereits ein akustisches Feeling haben. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass wir jemals davor und danach wieder so intensive Proben hatten. Wir hatten alle den Ehrgeiz, dass es knallen muss. Zu den Dingen, auf dich ich am stolzesten bin oder über die ich mich am meisten freue, zählt, wie wir das gemacht haben. Es war schon eine grosse Herausforderung, die wir angenommen und gut gemeistert haben, finde ich.
Kosho: Stimmt.
Henning: Grad bei einem Album wie dem Unplugged ist man so nahe dran am Endprodukt. Bei einem normalen Studioalbum wird das, was du machst, halt bearbeitet und geschnitten oder dies und das fällt raus. Hier waren wir nicht so entfremdet vom Endprodukt. Man ist hautnah dran und kann sich damit identifizieren oder auch nicht.
- Song: Respekt von Jazzkantine
- Album: Jazzkantine (1994)
Henning: Ah, Respekt ist unsere Aufgabe … Jazzkantine. War das 93 oder 94?
Es war 1994.
Henning: Mit Smudo. Die haben eine legendäre Backingband.
Kosho: Dirk Erchinger ist sicher mit dabei.
Henning: Ja? Jedenfalls sind die gerade dabei, eine neue Platte zu machen und haben mich gefragt, ob ich Bock hätte, da mitzumachen.
Machst du mit?
Henning: Wahrscheinlich ja. Es ist allerdings ein ziemlich abgefahrenes Projekt, von dem ich erst dachte, dass die mich verarschen wollten. Ich bin jedenfalls gespannt.
Kannst du mehr davon erzählen?
Henning: Ich werde lieber nichts verraten. Das sollen die mal selber machen. Aber vor drei, vier Jahren haben sie mal ein Projekt rausgebracht, bei dem sie mit verschiedenen Sängern Rockklassiker gecovert haben. Das fand ich auch super.
Unter anderem mit Xavier.
Henning: Genau, er war beteiligt. Jazzkantine ist halt eine geile Band. Die waren von Anfang an dabei und haben immer weitergemacht. Da sind grosse Hip-Hopper dabei rausgekommen. Wie hiessen sie noch?
Kosho: Cappuccino.
Henning: Wie hiess der eine Farbige denn noch? Ich komme nicht auf den Namen. (Gemeint ist Aleksey, Anm. d. Red.) War Bürger Lars Dietrich auch mit dabei?
Kosho: Nein, das ist eine ganz andere Ecke.
Jazzkantine ist ähnlich wie die Söhne Mannheims eine Band mit vielen Mitgliedern. Wie passiert der kreative Prozess bei so einer grossen Band? Wie entstehen bei euch Songs für ein neues Album?
Henning: Wichtig ist halt immer, dass man eine Idee hat – und Ideen hat jeder von uns. Die Vision kommt eigentlich immer von Xavier Naidoo und Michael Herberger, die dann sehr stark durch den Prozess der Produktion leiten. Wir haben mal probiert, uns eine Platte zu erjammen oder zu erspielen, aber es ist unglaublich schwierig, dann mit den Ideen auf den Punkt zu kommen. Am Ende des Tages sind wir wieder darauf zurück gekommen, dass wir einen Produzenten haben, der die Produktion leitet und begleitet und natürlich auch die Entscheidung trifft, was auf die Platte kommt. Aber wir können alle Ideen einreichen, wie wir grad lustig sind. Bei der Jazzkantine ist das aber nochmals etwas anders, weil sie zwar die komplette Band haben, aber keine festen Sänger, so weit ich weiss.
- Song: Nur noch kurz die Welt retten von Tim Bendzko
- Album: Wenn Worte meine Sprache wären (2011)
Henning: Ach du Scheisse. Tim Bendzko.
Kosho: (Lacht amüsiert) Dein Freund.
Henning: Mit Tim Bendzko verbinde ich eine ganze Menge und er verbindet wahrscheinlich mit uns auch viel. Ich habe ihn über seinen damaligen Manager kennen gelernt, der ihn anfangs relativ stark gepusht hat. Wir haben dann das Projekt «Söhne gesucht» gemacht und es war relativ schnell klar, dass Tim die Stimme von Xavier machen würde. Er hat das auch sensationell gut gemacht. Er hat natürlich totalen Erfolg und alle reden davon, dass er der neue Xavier sei. Ich finde, es ist ein schwieriges Thema. Bombensong, super erste Single. «Nur noch kurz die Welt retten» ist ja momentan der Soundtrack zu jedem Bericht, der im Fernsehen über die Bankenkrise läuft. Das ist sehr geschickt gemacht. Ich finde, dass er unfassbar viele Parallelen zu Xavier aufwirft, was mir nicht so gut gefällt. Ich bin mal gespannt, wie er sich entwickeln wird. Die Platte klingt sehr berechnet, aber nach so einem Erfolg hat er natürlich alle Möglichkeiten, eine Persönlichkeit aufzubauen, die nachhaltiger ist und das sehe ich momentan noch nicht so.
- Song: Durch die Nacht von Silbermond
- Album: Verschwende deine Zeit (2004)
Henning: (Nach einer Sekunde) Silbermond.
Kosho: Du kennst unsere Geschichte.
Henning: Wieso?
Silbermond waren mal Support der Söhne Mannheims.
Kosho: Die waren Support, genau. Ich glaube sogar auf der Tournee mit der Glasbühne, wenn mich nicht alles täuscht. 2004 oder 2005?
Genau.
Henning: «Durch die Nacht“ ist das, gell?
Ja.
Kosho: Auf der Tour damals waren sie dabei und das war total nett mit ihnen unterwegs zu sein. Wir waren echt alle begeistert von denen. Sie haben eine super Stimmung gemacht. Man hat gemerkt, dass das Publikum angenehm berührt und bereit für uns war. Es wird ja viel darüber geredet, dass der Support die Hauptband an die Wand spielen könnte. Natürlich gibt es dieses Risiko, wenn die Hauptband schwächelt, aber normalerweise hat es die Vorband sauschwer und wird oft ignoriert oder bei Hardcore-Fans sogar ausgebuht.
Henning: Wie sind denn Silbermond damals ins Vorprogramm gekommen? Weisst du das? Die waren ja nicht bei der gleichen Plattenfirma.
Kosho: Ich weiss es gar nicht genau. Über Four Music (Plattenlabel der Fantastischen Vier, Anm. d. Red.) liefen die ja nicht.
Henning: Nein, die waren immer bei BMG.
Kosho: Nein, das weiss ich eigentlich nicht, wie der Kontakt kam. Meistens ist es ja so, dass der Support schon einen persönlichen Kontakt zu jemandem von uns hat, meistens zu Xavier oder Michael. Aber es war schön und ich habe mich gefreut, dass sie danach so einen Erfolg hatten.
Henning: Es ist aber auch eine geile Band. Der Thomas Stolle ist ein unfassbarer Songwriter. Man muss mal sehen, wie viele Hits die Band in so kurzer Zeit geschrieben hat. Das ist schon der Wahnsinn. Da finde ich, ist viermal eine tolle Persönlichkeit vorhanden. Es ist eine klasse Band und ich mag sie sehr gern.
Wenn man sich mit den Söhnen Mannheims beschäftigt, tauchen immer wieder Verbindungen und Kontakte in der Musikszene auf wie eben Silbermond. Täuscht der Eindruck oder kennt in Deutschland wirklich jeder jeden?
Henning: Ich würde mal sagen, untereinander kennt man sich oberflächlich. Wir sind ja auch alle schon zehn oder zwanzig Jahre dabei und da kreuzen sich die Wege doch immer mal wieder. Jetzt müssten nur noch Tokio Hotel kommen.
Nein, die kommen nicht!
Beide lachen amüsiert.
Henning: Die waren nämlich auch mal im Vorprogramm.
Kosho: Oder Seeed. Nein, das waren ja Culcha Candela.
- Song: Mit dir von Freundeskreis feat. Joy Denalane
- Album: Nur auf Compilations oder als Single erhältlich (1999)
Henning: Joy Denalane, «Mit dir». Eine Diva halt, im positivsten Sinne des Wortes. Wobei das ja nicht Joy Denalane alleine ist, sondern zusammen mit Max Herre. Ich war ja total schockiert, als ich gehört habe, dass die Beiden getrennt waren und dementsprechend froh, dass sie wieder zusammengekommen sind. Max ist ein geiler Sänger und sehr, sehr gebildeter Texter und Joy ist, finde ich, eine der ganz wenigen grossen Soulstimmen, die wir in Deutschland haben. Lustigerweise war ich kürzlich in Südafrika und wir sind dann so durch Soweto gefahren. Plötzlich sagte der Guide «This is the home of a very famous German singer. She’s called Joy Denalane.» und ich dachte mir: Wie bitte? Das war beim Haus von Joys Eltern.
Kosho: Wie krass.
Henning: Sightseeing.
- Song: Blaulicht und Zwielicht von Element of Crime
- Album: Damals hinterm Mond (1991)
Henning: Das klingt alt.
Kosho: Element of Crime.
Henning: Sven Regener. Gut, zu denen muss man nicht viel sagen. Das ist ähnlich wie bei Reinhard Mey.
Kosho: Die liebe ich. Ich hatte Platten von denen, als sie noch auf Englisch gesungen haben.
Henning: Ich erinnere mich noch, was das für ein Aufstand war…
Kosho: … stimmt, als sie sich entschieden haben, Deutsch zu singen. Das war «Damals hinterm Mond», das Album habe ich mir auch gleich gekauft und war völlig hin und weg. Ich kenne den Produzenten von Element of Crime, den David Young, der aktuell auch Bass spielt, schon sehr lange und habe auf der privaten Schiene ein wenig mitbekommen, was die so machen.
Henning: Sven war ja vor kurzem auch bei «Inas Nacht» (Talksendung von Ina Müller bei der ARD, Anm. d. Red.), als wir da waren. Es war das erste Mal seit fünfzehn Jahren, dass ich ihn wieder getroffen habe. Mit seiner Frau habe ich gelegentlich zu tun, weil sie Beratungen für Filmmusik macht. Ich mag auch die Bücher, die er gemacht hat und er ist ein tierischer Performer. Wenn du nach über zwanzig Jahren noch immer riesige Hallen voll kriegst, das ist Wahnsinn.
Er hat auch eine starke Ausstrahlung auf der Bühne.
Kosho: Ja, der hat echt Charisma. Die ganze Band war halt sehr reduziert, in der Art wie sie spielen. So rau und kantig. In mir hat es Assoziationen an ganz alte deutsche Musik geweckt, Kurt Weill oder so. Das hatte was ganz Deutsches, aber auf eine ganz faszinierende Art und Weise.
Henning: Sie haben halt von Anfang an ihren total eigenen Stil durchgezogen, waren stets independant, und das zeigt eben auch wieder, was ich vorhin zu Tim Bendzko meinte, nämlich wie wichtig es ist, sich eine Persönlichkeit zu entwickeln, lange bevor du gute Songs hast. Das ist das, was ich an der Entwicklung der Musikbranche wirklich gut finde, dass die flachen Acts keine wirkliche Zukunft in der Musik haben. Es geht nicht nur um Singles, sondern um das Gesamtpaket und das ist bei Element of Crime ein Kracher.
- Song: Nur zu Besuch von den Toten Hosen
- Album: Auswärtsspiel (2002)
Henning: Die Toten Hosen. «Nur zu Besuch» müsste das sein, die Single über seine Mutter. Das wurde im Studio von «Principal» produziert, aber das wusstest du jetzt auch?
Nein, das wusste ich nicht.
(Kosho lacht amüsiert)
Henning: Wir haben mal in Münster aufgenommen, weil ich aus Münster komme und dort regelmässig in einem Studio arbeite. Dem Produzenten der Toten Hosen, Vincent Sorg, gehört das Studio.
Schon wieder eine Verbindung. Jeder kennt wirklich jeden.
Henning: Ja.
Ich habe den Song gewählt, weil er Die Toten Hosen von ihrer nachdenklichen Seite zeigt.
Henning: Campino ist ja auch eine sehr vielschichtige Persönlichkeit. Der kann brutal und zärtlich zugleich sein. Ein krasser Typ. Die ganze Band besteht ja aus lustigen Vögeln. Ich bin mal mit meiner anderen Band (H-Blockx, Anm. d. Red.) zusammen mit den Hosen durch Europa getourt und die hatten immer was zu feiern und etwas zu lachen.
Dann habe ich jemanden der ganz Grossen.
- Song: Mensch von Herbert Grönemeyer
- Album: Mensch (2002)
Henning (bevor der Song startet): Grönemeyer. Ich habe es aber nicht im Computer gelesen. Nur weil du meintest, es sei ein ganz Grosser.
Kosho: «Mensch»? Das ist ein Song, der mich wirklich von Anfang an begeistert hat. Ich bin nicht von Natur aus ein Grönemeyer-Fan. Er hat mich irgendwie nie so sehr berührt, bis auf wenige Stücke vielleicht. Seine Verdienste und die Begeisterung, die er in den Leuten für deutschsprachige Musik entfacht hat, kann man einfach nicht ignorieren. Stimmen sind natürlich immer Geschmackssache. Das erlebe ich persönlich als Sänger und ich kriege es mit, wenn mir Leute auf der Strasse sagen, dass sie Xavier nicht hören mögen. Andere flippen völlig aus, wenn sie uns hören und genau das ist das Schöne an Stimmen. Sie können anziehend, aber auch abstossen.
Grönemeyer steht für tiefgründige Texte, genau wie die Söhne Mannheims. Gibt es Themen, die ihr in Texten nicht anfassen würdet?
Henning: Nein, auf gar keinen Fall. Ganz im Gegenteil.
Kosho: Wir reden sogar über UFOs.
Henning: Da gibt es überhaupt keine Berührungsängste. Interessant wird es ja dann, wenn Alltäglichkeiten oder Banalitäten plötzlich einen tieferen Sinn bekommen. Das muss man sich zum einen trauen und zum anderen muss man es beherrschen, daraus Texte zu machen. Wobei das Beispiel hier von Grönemeyer natürlich nichts mit Banalitäten zu tun hat, logischerweise. Aber mich hat die Platte zum Beispiel nur wenig berührt.
Kosho: Das ganze Album, auf dem «Mensch» ist, meinst du?
Henning: Ja. Als die dritte Platte von ihm rauskam, «Bochum», habe ich mir sofort die beiden Platten zuvor geholt. Ich habe auch viele Konzerte von ihm gesehen und war früher ein absoluter Fan. «Kinder an die Macht» war grossartig und man braucht sich gar nicht lange darüber zu unterhalten, was er für eine Bedeutung für die Musik und die Texterei hat. Es ist total geil. Wenn du dich mit Leuten unterhältst, die ihn von Anfang seiner Karriere an begleitet haben, dann erzählen die, dass bei den ersten Platten alle Plattenfirmen gesagt haben: «Boah, den kannst du nicht verstehen.» Oder: «der schreit ja nur rum», «Was schreibt denn der für Texte?», «Will ja keine Sau hören». Alle haben ihn abgeschrieben und das ist genau das, was ich jungen Musikern immer wieder zu sagen versuche. Du musst deinen Weg finden, etwas, womit du glücklich wirst und das du dann umso mehr beherrschst und mit umso mehr Pathos rüberbringen kannst, dann bleibt es ehrlich und wird zu einem tiefgründigeren Projekt. Das Problem dabei ist natürlich, dass man nie weiss, ob man damit Geld verdienen kann oder nicht. Den Erfolg sollte man nicht planen, weil sonst jeder Musiker so unglücklich wird wie Roy Black.
Kosho: Kleine Anekdote am Rande. «Bochum» hin oder her, die Band von Grönemeyer, die ihn von Anfang an begleitet und unterstützt hat, das sind alles Heidelberger und Mannheimer, was man nie gedacht hätte.
Henning: Er hat ja bei Edo Zanki in Heidelberg die ersten Platten produziert. Da haben die Söhne Mannheims ja auch ihr erstes Album produziert. Und Edo war ja auch Teil der Söhne am Anfang, oder nicht?
Kosho: Nein, er war Gast, also hat einfach mitproduziert am Anfang.
Henning: Aber bei «Geh davon aus» ist er auch im Video.
Kosho: Stimmt, jaja.
- Song: Spieglein, Spieglein von Gisbert zu Knyphausen
- Album: EP (2006)
Henning: Gisbert zu Knyphausen.
Kosho: Was?
Henning: Gisbert zu Knyphausen.
Kosho: Machst du Witze?
Henning: Kennst du den nicht?
Kosho: Nein.
Henning: Ich kannte ihn wegen diesen schiefen Tönen, die er eingebaut hat. Den würden wir beide lieben, weil seine Eltern ein riesiges Weingut besitzen. Zu Knyphausen ist ein total bekannter Wein und Gisbert bringt irgendwie zu jeder Flasche Wein eine CD raus.
Ausserdem wird er als neuer Reinhard Mey gehandelt.
Henning: Ich würde ihn fast eher wie Rio Reiser sehen. Was ich ja übrigens eine Unverschämtheit finde, ist, dass man Philipp Poisel als neuen Rio Reiser bezeichnet hat.
Kosho: Nein, das ist doch eher Max Prosa. Kennst du den?
Henning: Ja, natürlich. War der auch mal bei euch im Studio?
Kosho: Ja, der war im Rock-Camp letztes Jahr. Den haben wir gecoacht. Der ist tierisch.
Henning: Die Platte ist diese Woche erschienen.
Kosho: Echt, dann drücke ich ihm schon mal die Daumen.
Dann kennt ihr den nächsten Song natürlich auch.
- Song: Junimond von Rio Reiser
- Album: Rio I. (1986)
Beide sofort: Rio Reiser!
Henning: So bin ich ja zu den Söhnen Mannheims gekommen. Wir hatten eine Rio-Reiser-Tribut-Platte gemacht, also daran teilgenommen, mit «Mein Name ist Mensch». Aber «Junimond» wurde erstaunlicherweise sehr, sehr gut gecovert von einer der tollsten Popbands, die ich in Deutschland kannte, nämlich von Echt. Kim Frank ist ein sensationeller Sänger, der mit knapp 30 Jahren eine Laufbahn hingelegt hat, die wirklich atemberaubend ist, mit allen Höhen und Tiefen. Jetzt ist er Videoregisseur und hat auch schon legendäre Produktionen gemacht. Ich glaube, für Laith Al Deen hat er mal ein Video gemacht. Man gibt ja immer vorher Treatments (Kurzdrehbücher, Anm. d. Red.) ab und Kim hat seinen Vorschlag, wie das Video aussehen soll, abgegeben, aber den Dreh komplett anders gemacht als ihn die Plattenfirma haben wollte und hat gesagt, das sei künstlerische Freiheit. Mit meiner anderen Band waren wir bei einer Plattenfirma, deren Chef der Manager von Rio Reiser war. Über den hat Rio auch ein Lied geschrieben, das «Manager» heisst. Der hat Rio damals aufgebaut, als er solo war und hat aus ihm diesen drohenden Popprinzen gemacht, bevor er sich wieder auf seine Wurzeln besonnen hat. Dieses «König von Deutschland» war dann ja quasi die Blasphemie in Tüten. Obwohl ja die wenigsten Leute wissen, dass er damit einen unglaublichen Wuchs an Schulden bezahlt hat, die nicht nur er, sondern hauptsächlich seine Band (Ton Steine Scherben, Anm. d. Red.) verursacht hat.
«Junimond» hat dabei auch geholfen.
Kosho: Stimmt. Ein guter Freund von mir hat «Junimond» mit ihm geschrieben …
Henning: Quatsch!
Kosho: Ja, der Martin Paul, der ja auch bei Ton Steine Scherben gespielt hat.
Henning: Nein, das ist ja nicht wahr, oder?
Kosho: Als ich mit meinem Soloprojekt angefangen habe, hat der mich eine Weile lang gemanaget.
Henning: Echt?
Kosho: Martin Paul alias Martin Hartmann.
Henning: Das ist ja geil. Das ist aber nicht der, über den Trio «Los Paul» gemacht haben?
Kosho: Über was?
Henning: (Singt) Los Paul, du musst ihm voll in die Eier hauen.
Kosho: Oh, das kann sein. Aber ich weiss noch genau, wie ich die Scherben anfangs der 70er als 10-, 11-Jähriger auf Partys der älteren Brüder meines besten Freundes gehört habe. Das war das erste Mal, dass ich Rockmusik auf Deutsch gehört habe, also noch vor Lindenberg. Die Platte «Lindenberg» kam kurz danach raus. Da waren Ton Steine Scherben schon vorne weggeritten.
Henning: Ich habe mit der alten Scherbenband auch mal zusammen gespielt auf der Krone.
Kosho: Der Andreas Bayless auch. Unser Gitarrist hat ja auch «Erben der Scherben» gemacht, ein Tributalbum. Da gibt es viele, die das weiter tragen. Rio war echt ein geiler Typ. Auch ein Dichter und ich glaube auch ein trauriger Mann.
Zum Schluss möchte ich ein Cover ansprechen, das ihr mal gemacht habt. Hier ist aber das Original.
- Song: Ein ehrenwertes Haus von Udo Jürgens
- Album: Als Single und auf diversen Samplern veröffentlicht (1971)
Henning: Klar, «Ein ehrenwertes Haus».
Kosho: (Lacht laut) Jetzt holt uns die Vergangenheit ein.
Das war bei Udos 70. Geburtstag.
Kosho: Genau. Da waren wir eingeladen. Ich weiss noch, wie wir im Tourbus dahin das Arrangement für unsere Version von «Ein ehrenwertes Haus» gemacht haben.
Henning: Was willst du zu ihm sagen. Er ist natürlich auch eine Grösse und seit gefühlt 50 Jahren dabei. Der ist ja Österreicher oder inzwischen sogar Steuerschweizer?Inzwischen hat er auch den Schweizer Pass.
Kosho: Ach, echt? Da kann der ja mit Rappen und Schilling telefonieren.
(Beide lachen)
Henning: Ja, das war lustig. Gute Songauswahl, fand ich.
Es hat auch mir Spass gemacht. Ich danke euch vielmals, dass ihr euch so viel Zeit genommen habt.
Das aktuelle Album der Söhne Mannheims ist bereits erschienen. «Barrikaden von Eden ist in den meisten Plattenläden erhältlich. Die aktuelle Single heisst: FREIHEIT.
Bildquelle: Pressebilder / www.söhne-mannheims.de