U2 ist keine Band, die «Musikermusik» macht
Für die dritte Ausgabe unserer Serie hat sich Adrian Stern Zeit genommen. Im lockeren Gespräch hat der charismatische Künstler einiges von sich erzählt, aber auch sein Musikwissen unter Beweis gestellt, er hat seine Anfänge beleuchtet und erklärt, wie sich seine Wahrnehmung einiger Bands über die Jahre hinweg verändert hat.
Künstler: Young Rebel Set
Titel: Won’t Get Up Again
Album: Curse Of Our Love (2011)
(Hört aufmerksam zu)
Das sind Young Rebel Set. Die Band hat gerade ihre Debüt-CD veröffentlicht.
Es ist witzig. Das Lied hat mich gerade an meine Ferien in Schottland erinnert. Dort konnten wir nur einen Radiosender empfangen, Radio One, der zur BBC gehört. Auf dem Kanal wurden viele junge Bands vorgestellt und bei dem Song musste ich gerade wieder daran denken.
Kann gut sein, dass Young Rebel Set auch gespielt wurden.
Vielleicht. Ich finde, der Sänger hat eine schöne Statementstimme und so kommt auch der Song daher. Die Band macht nicht einen auf leise anschleichen, sondern stellt sich hin, nach dem Motto «Hallo, hier sind wir und machen unser Ding.»
Künstler: Chuck Berry
Titel: Johnny B. Goode
Album: Berry Is On Top (1959)
(Lacht) Mal sehen, ob man es hört. Kannst du etwas spulen?
Klar.
Das reicht, danke. Ja, man hört es, ich komme gleich drauf zurück. Zu «Johnny B. Goode» kommen mir zwei Sachen in den Sinn. Als in mir der Wunsch, Musiker zu werden, geboren wurde, sass ich im Kino und sah «Back To The Future», den Kinofilm mit Michael J. Fox. Es muss anscheinend der erfolgreichste Film im Jahr 1985 gewesen sein. Ich habe ihn sieben Mal im Kino gesehen, wahrscheinlich war er wegen mir so erfolgreich in der Schweiz. (Lacht laut). Nein, natürlich nicht, aber jedenfalls ist mir «Johnny B. Goode» richtig eingefahren. Michael geht da im Film einfach auf die Bühne, rockt das Haus und spielt Gitarre wie ein Weltmeister. Seither spiele ich den Song oft, auch wenn ich unter Kollegen Musik mache.
Das Zweite, was mir in den Sinn kommt, ist eher musikalischer Natur. Ein berühmter Musiker hat mal erzählt, dass ihn bei Chuck Berry so fasziniere, dass das Klavier swingt, während Gitarre und Schlagzeug gerade spielen. Das mache für ihn den wahren Zauber von Chuck Berrys Rock `n`Roll aus, diese Mischung aus zwei eigentlich verschiedenen Rhythmen. Darum habe ich dich gebeten, zu spulen und es ist tatsächlich in der Mitte schön zu hören.
Wer hat dich denn nach Chuck Berry beeinflusst?
Lange Zeit habe ich nur alte Musik gehört, Sachen wie Santana, Eric Clapton, Joe Cocker, Pink Floyd oder Supertramp und wegen meiner Schwester auch Chris DeBurgh. Bis ich ungefähr 16 war, habe ich nur Musik gehört, die aus der Zeit vor den 80er-Jahren stammt. Erst mit Blood, Sugar, Sex, Magic von den Red Hot Chili Peppers kam die Wende und ich habe mich plötzlich total für aktuelle Bands interessiert.
Künstler: Wilco
Titel: Hate It Here
Album: Sky Blue Sky (2007)
Wer ist das?
Wilco.
Uihh, hab ich gar nicht erkannt.
Der Song stammt vom «Album Sky Blue Sky».
Hätte ich nicht erkannt. Ich wusste gar nicht, dass die auch so soulig sind. Es ist eine faszinierende Band. Ich habe mal eine DVD darüber gesehen, wie Wilco, als sie ihr Album «Yankee Foxtrott Hotel» aufgenommen haben, ihren Plattenvertrag verloren und dann schlussendlich von einer Unterfirma des gleichen Labels einen neuen Vertrag bekommen haben. Die Firma, die ihnen den Vertrag gekündigt hat, musste für die Aufnahmekosten aufkommen und so hat das Mutterhaus quasi doppelt für die Platte bezahlt.
Stimmt, es ging damals darum, dass sich Band und Label nicht über die musikalische Richtung der Platte einig wurden. Aber das Label hat dann gemerkt, dass die Musik ein Erfolg wird.
Genau, das zeigt der Film schön. Ich schaue eh gerne Musikfilme. Du siehst jeweils hinter die Kulissen. Für mich ist Wilco eine «Bandband», in der jeder etwas dazu beiträgt, obwohl ja Jeff Tweedy (Sänger von Wilco, Anm. d. Red.) der Mastermind ist. Der Gitarrist hat Wilco ja vor einiger Zeit verlassen, aber der neue ist natürlich auch super. Solche Entwicklungen zu sehen ist einfach spannend und erinnert mich natürlich an meine Teenager-Band-Zeit. Was haben wir damals Diskussionen gehabt! Es war eine richtige Psychologieschulung darin, wie man miteinander umgeht.
Künstler: Ben Folds Five
Titel: Mess
Album: The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner (1999)
(Sofort) Ben Fold, mein grosser Held.
Was macht Ben Folds für dich aus?
Ich liebe seine Musik, weil ich bei ihm etwas entdecke, was ich auch ein wenig habe: Ich liebe melodiöse Musik. Ich mag es auch, wenn es einfach schön ist und überhaupt nicht cool sein will. Er hat das immer konsequent durchgezogen und nur gemacht, was er gern hat. Seine Songs dürfen mal voll rocken, dürfen aber auch theatralisch und ironisch sein, aber auch einfach nur schön. Diese Bandbreite ist der Grund, weshalb ich Ben Folds seit der ersten CD mit Ben Folds Five mag und sehr oft höre.
Wie gehst du an eine neue CD heran? Wie arbeitest du?
Es gibt eine Phase, wenn ich viele Konzerte gespielt habe, dann kommt plötzlich der Punkt, an dem ich für etwas Neues bereit bin. Dann richte ich mir die Tage sehr strukturiert ein und nehme mir vor, dass ich jeden Tag ins Studio gehe, um zu schreiben. Manchmal bin ich inspiriert, dann entsteht etwas in drei Sekunden und manchmal ist eine Idee auf dem Diktafon, die nirgends hinführt. Manchmal ist es ein Megakampf, aber vielleicht muss ich mich jeden Tag hinsetzen, damit es vorwärts geht.
Das neue Album klingt sehr ruhig. Hast du dich bewusst dafür entschieden oder hat sich das im Arbeitsprozess ergeben?
Es war im Fall des neuen Albums Herz eine bewusste Entscheidung. Wobei sich die Weichen schon vorher gestellt haben. Mir liegt es immer mehr, einfach nur noch zu singen und Gitarre zu spielen und nicht mehr grosse E-Gitarren-Bretter zu schichten. Ich habe ganz natürlich eine Lust bekommen, mich nicht mehr hoch zu produzieren. Auch Produzent Roman Camenzind, der es ja opulent mag, hat mich da voll unterstützt. Es war dann sein Job, darauf zu achten, dass wir es auch durchziehen.
Künstler: Carole King
Titel: You’ve Got A Friend
Album: Tapestry (1971)
(Beim ersten Ton) «You’ve Got A Friend». Das müsste die Version von Carole King sein. Wunderschön!
Das Album dazu gilt ja heute als eines der wichtigsten des letzten Jahrhunderts.
Es stammt von «Tapestry», oder? Die Platte kann man mit gutem Gewissen jedem schenken. Darauf sind einfach nur schöne und zeitlose Songs. Egal, welches Musikgenre du bevorzugt, Carole King wird dich berühren.
Darauf sind ja auch Welthits, die man gar nicht von ihr kennt wie «(You make me feel like A) Natural Women».
Stimmt.
Oder «You’ve Got A Friend», das ich erst durch die Brand New Heavies kennen gelernt habe.
Ich kenne es von ihrem Mann.
Genau, James Taylor hatte damit den einzigen Nummer-1-Hit in seiner Karriere.
Carole King hat einfach eine wunderschöne Stimme und lustig ist, dass man nicht sagen kann, dass sie singen kann wie eine Christina Aguilera. Das geniale an King ist, dass sie ganz natürlich und einfach singt und das hat mich immer schon berührt. Ich habe in Zürich eine Sängerin kennen gelernt, Valeska Steiner. Vor vielen Jahren, da war sie vielleicht 14 oder 15 Jahre alt, da hat sie «You’ve Got A Friend» gesungen und da war ich hin und weg. Ich finde, auch Valeska hat im Ansatz eine schlichte Stimme und das finde ich megaschön in einer Musiklandschaft, in der alle wie Weltmeister klingen wollen.
Künstler: Shout Out Louds
Titel: Tonight I Have To Leave It
Album: Our Ill Wills (2007)
(Hört lange zu) Was ist das? Ziemlich wilder Mix.
Die Band stammt aus Schweden.
Ok, offensichtlich haben die sehr viel The Cure gehört. Krass, mit den Kastagnetten, Nylonsaitengitarren und Streichern, die lassen echt nichts anbrennen. Die klingen für mich wie ein opulent ausgemaltes kleines Schloss, in dem ein Kronleuchter hängt. Ich kenne die Band nicht, aber faszinierend ist schon, dass aus Schweden immer wieder so tolle Bands kommen, die super klingen, aber auch einen charismatischen Sound haben, der dich einfach anspringt. Das fehlt in der Schweiz oft ein bisschen. Irgendwie kommen aus Schweden ständig Bands mit geilen Sängerinnen und Sängern.
Vor kurzem haben mir Friska Viljor erklärt, dass ein Grund dafür die gute Musikschulung in Schweden sei. Ein weiterer aber auch, dass Bands wie ABBA oder Mando Diao vorgemacht haben, dass man durch die Musik ausbrechen kann.
Das hat was, die Optionen, quasi die Hoffnungen sind dadurch grösser. Was ich zusätzlich feststelle ist, dass die Schweden ein megagutes Englisch haben. Das liegt daran, dass im schwedischen Fernsehen keine synchronisierten Filme laufen. Für mich ist es extrem essentiell, dass du, wenn du in einer Fremdsprache singst, diese beherrscht, sodass die Texte auch zwischen den Zeilen glaubhaft wirken. Ich bin der Meinung, dass, auch wenn ein Zuhörer nicht auf den Text achtet, man spürt, ob jemand meint, was er singt.
Künstler: Ray LaMontagne
Titel: Three More Days
Album: Till The Sun Turns Back (2007)
Das ist aber nicht Ray LaMontange?
Doch.
Denn habe ich auch in Schottland entdeckt. Da lief einer seiner Songs in einem Cafè und es war so schön, ich habe einfach nur noch ihm zugehört. Ist es ein neueres Stück?
Es ist von 2006.
Ich finde, er hat eine grossartige Stimme und sehr viele Leute, die ihn hören, werden sagen, dass ist doch James Morrison. Aber LaMontagne hat noch mehr Kern. Was bei Morrison manchmal beinahe ins Stimmlose kippt, weil er so heiser ist, ist bei ihm immer ausgefüllt mit dem «Real Deal». Ich hoffe, der kommt bald mal in die Schweiz, da müssten wir hingehen. Gefällt mir megagut, geile Stimme, ich würde so weit gehen und behaupten, dass er fast eine Jahrhundertstimme besitzt.
Künstler: Hello Saferide
Titel: San Francisco
Album: Introducing … Hello Saferide (2005)
Wie heisst die Band?
Hello Saferide.
(Lacht) Auch die Schweden träumen von Amerika…
Du ja auch.
Ich habe als kleiner Knabe für zwei Jahre mit meiner Familie in Amerika gewohnt und seit wir zurück gekommen sind, zieht es mich immer wieder dorthin, vor allem in die Bay Area.
Du hast ja auch schon in «San Francisco» aufgenommen, oder?
Genau, aber nicht für das aktuelle Album, sondern für das vorhergehende. Das war für mich natürlich ein Bubentraum, mal in den Staaten aufzunehmen.
Du sprichst das ja auch mit Amerika, deiner aktuellen Single, an. Bist das du? Haus auf dem Land, Kinder…
Das ist natürlich eine Momentaufnahme. Es ist jene Sekunde, morgens um sechs, wenn du aufstehen und zur Arbeit musst, obwohl du so gar keine Lust hast. Da gibt es bei mir manchmal diesen Moment, wo ich denke: «Jetzt mit meiner Freundin an den Flughafen, einfach weg und ein neues Leben beginnen!» Dann werde ich sehr romantisch und sehe es für eine Sekunde richtig vor mir.
Sind das jeweils auch Songs, die innert Kürze geschrieben sind?
Was ich im Song singe, sind tatsächlich die Gedanken, die in der Sekunde da sind und die wahrscheinlich schon immer da waren und einfach mal raus mussten, um zu einem Song zu werden. Wieso es effektiv so lange gedauert hat, weiss ich nicht, aber vielleicht hat das Konzept der akustischen CD einfach perfekt zu meinen Fernwehgedanken gepasst.
Künstler: U2
Titel: All I Want Is You
Album: Rattle And Hum (1988)
Das ist von 1988.
Das ist ein U2-Song - sind es sogar U2? (Bono beginnt zu singen) Ah ja. Das ist irgendwie auch wieder Fernweh-Sehnsucht in Reinkultur. Da ruft gleich das klassische Filmbild hervor. Jemand sitzt im Zug, Bus oder sonst wo und alles zieht an der Person vorbei. Einfach verreisen, das wär es. (Seufzt sehnsüchtig). U2 sind halt irgendwie schon die Grössten.
Waren U2 für dich auch ein Thema?
Ich war nie ein Fan, der sämtliche CDs kauft. Ich war auf U2-Konzerten und viele meiner Freunde waren und sind U2-Fans. Als ich angefangen habe Musik zu machen, haben mich Sachen interessiert, die handwerklich gut waren, Jeff Beck oder auch Slash. U2 ist keine Band, die «Musikermusik» macht und es hat eine Zeit gedauert, bis ich auf die Essenz der Band achten konnte, einfach auf ihre Musik und ihre Genialität als Farbklangmaler. Wenn du mich heute fragen würdest, wer der grösste Gitarrist sei, würde mir heute The Edge in den Sinn kommen, weil kaum jemand so viele neue Sounds auf der Gitarre erschaffen hat.
Er macht sich sehr viele Gedanken zu seiner Musik.
Und vor allem nicht virtuos, sondern mit ganz einfachen Ansätzen. Er nutzt wie kaum jemand sonst die Mittel, die sich einem E-Gitarristen bieten.
Wie zum Beispiel, dass er bei einigen Songs von Joshua Tree die Terz weg lässt, um das Gefühl von Ungewissheit beim Hörer zu erzeugen.
Hast du den Film «It Might Get Loud gesehen? Der ist doch super und zeigt genau diese Dinge schön. Für alle Musikermusiker, die es immer wieder gibt, ist nur zu empfehlen: Hört U2.
Ich höre aber auch immer wieder, gerade von Musikern, dass U2 technisch zu wenig anspruchsvoll seien.
Ja, das sagt man so, aber um das geht es hier nicht. Denn in der Song-Musik geht es um die Intensität und um die Emotionen und wenn das stimmt, dann hast du gewonnen und gerade U2 machen das vor wie keine andere Band.
Künstlerin: Caitlin Rose
Titel: Dead Flowers
Wir beenden diese Interviews jeweils mit einem Cover.
Ok. Wieso kenn ich das und kann es nicht einordnen? Wie heisst das Original?
«Dead Flowers».
Das Lied auch?
Ja, das Stück ist von den Rolling Stones.
Siehst du, jetzt oute ich mich als Beatles-Fan. Ich kenne deutlich mehr Songs der Beatles als von den Stones. Aber davon abgesehen, ich bin ein grosser Country-Fan. Ich bin aber der Meinung, dass man Country nur in Amerika richtig hören kann. Wenn ich in Amerika bin und irgendwie von San Francisco nach L.A. fahre, der Küste entlang, und es laufen Country-Songs im Radio, dann ist das wunderschön. Die Songs sind perfekt, die Stimmung ist perfekt, die Landschaft, einfach alles. Wenn ich dann die CD kaufe und in der Schweiz höre, dann stimmt es leider einfach nicht.
Man sagt ja auch, dass Wein im Urlaub anders schmeckt, als wenn man einige Flaschen mitnimmt und zuhause trinkt.
Ja, es geht ein bisschen in diese Richtung. Country ist halt schon eine uramerikanische Musikform.