Atemberaubender Hochglanz-Trip mit Seele
Wahrscheinlich ist «Drive» einer jener Filme, den sich Cineasten unbedingt ins Regal stellen sollten. Edel-Indie-Kino, das für Diskussionen sorgte. Wieso? Weil der Geheimtipp bei den Oscars sträflich vergessen wurde. Mindestens eine Nominierung für «Best Movie» sowie für Carey Mulligan und Ryan Gosling wären ein Zeichen für Klasse gewesen. Andererseits aber auch, weil «Drive» schlicht diebisch gelungen ist. Nun erscheint die Reminiszenz an das coole Hochglanz-Kino der 80er endlich für das Heimkino.
Mit Erwartungen ist es so eine Sache. «Drive» ist eine Enttäuschung. Aber nur, wenn man sich wie kürzlich jene Frau in Amerika, die das Filmstudio verklagen wollte, weil der Trailer zu «Drive» falsche Erwartungen hervorgerufen habe, auf einen Actionfilm à la «Fast And The Furious» freut. «Drive» ist eher das Gegenteil, interessiert sich für die Psyche der Figuren und ihre Emotionen und entwickelt sich zu einem grossartigen Stück Independentkino.
Bild 1: Irene weiss nicht so genau, zu wem sie gehört. / Bild 2: Ein Blick von Carey Mulligan spricht Bände. (Mit Maus über Bild fahren)
Der Einstieg in den Film zeigt den namenlosen und wortkargen Driver (Ryan Gosling, «The Ides Of March» , «Stay»). Sein Leben dreht sich um Autos. Er liebt sie, er pflegt sie, er fährt sie. Tagsüber arbeitet er gelegentlich als Stuntman oder repariert Autos. Nachts versinkt der zurückgezogen lebende Autonarr in der von Neonlicht geschwängerten Kulisse der anonymen Großstadt, droht sich selbst zu verlieren und fungiert als Fluchtfahrer für Kriminelle. Bis er eines Tages Irene (Carey Mulligan, «Wall Street 2», «An Education») trifft und sich rasch in sie verliebt. Als Irenes Mann aus dem Gefängnis entlassen wird, sind sie und ihr kleiner Sohn plötzlich in Gefahr. Driver zögert keine Sekunde.
«Drive» besitzt etwas, was ähnlichen Filmen oft fehlt: eine Seele.
Die Prämisse ist schnell klar und doch überrascht «Drive». Zuviel darf aber nicht verraten werden. Eine Stärke des Streifens ist die Optik. Schon mit den grossen, in leuchtendem Pink gestalteten Credits wird deutlich, dass der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn («Bronson», «Walhalla Rising») seinen Film als Referenz an die 80er verstanden haben will. Drive ist cooles Kino mit einer farbgesättigten Hochglanz-80ties-Retro-Ästhetik und feinen Anleihen an den Film Noir, zumindest bei der Inszenierung des städtischen Niemandslands und des Drivers, der in Nuancen an Travis Bickle aus Taxi Driver erinnert. Der Film, dessen sehr langsamer, stoischer Schnitt und seine schwebenden, teilweise in Zeitlupe gezeigten Kamerafahrten, die als Gegenpol zum rastlos wirkenden Driver wunderbar funktionieren, basiert auf einem Groschen-Krimi von James Sallis. Schweigen ist bei «Drive» das Credo. Vieles bleibt unausgesprochen und dadurch erzeugt der Film eine extreme Kraft. Mut zur Lücke nennt man das wohl, wenn das Assoziieren dem Zuschauer überlassen wird.
Bild 1: Der väterliche Freund von Driver. / Bild 2: Sogar als Fluchtfahrer wirkt Driver cool.
Tadellos sind die Schauspieler. Allen voran das Hauptdarsteller-Pärchen. Besonders schön ist, wie deutlich sich die fortschreitende Geschichte in den Gesichtern von Cary Mulligan und Ryan Gosling spiegelt. Inmitten des Strudels, einer unaufhaltbaren Spirale der Ereignisse, transportieren sie extremen Kontext, ohne viel zu sprechen, nutzen gar Blicke als Synonyme. Carey Mulligan könnte mit einem einzigen Lächeln Steine erweichen und ihr Blick scheint direkt in die Seele von Driver schauen zu können – manche werden jedoch kritisieren, dass sie wie schon so oft bloss traurig in die Kamera blicken darf. So dauert es nicht lange, bis er ihrem Charme erliegt. Mehr noch, seine Gefühle gegenüber Irene werden zum Antrieb für sämtliche seiner Taten. Daneben ist Mr. «Breaking Bad», Bryan Cranston, in einer Nebenrolle als endlos plappernder Garagenbesitzer und Vaterfigur für Driver jeden Gagendollar wert und ihm zuzuschauen ist wie gewohnt ein Genuss. Für Lacher sorgt Ron «Hellboy» Perlman als trotteliger Kleinganove, der die Mafia beraubt.
Brillante Schlusseinstellung
Die Bilder faszinieren, bleiben noch lange nach dem Verlassen des Saals im Kopf hängen und die Reminiszenzen an Klassiker sind zahlreich. So konsequent Goslings Figur seinen Weg geht, so kompromisslos ist der Film inszeniert. Die packende Geschichte steuert ebenso ihren Teil zum stylischen Gesamteindruck bei, vom ersten, einsamen Bild des Drivers über die stringente Erzählweise und die zeitweise gnadenlos brutal, aber stets zweckorientiert dargestellte Gewalt, bis zur brillianten Schlusseinstellung. «Drive» ist ein atemberaubender Hochglanztrip, der etwas besitzt, das vielen ähnlichen Filmen fehlt: eine Seele.
- Drive (USA 2011)
- Regie: Nicolas Winding Refn
- Darsteller: Ryan Gosling (Driver), Carey Mulligan (Irene), Bryan Cranston (Shannon)
- Laufzeit: 95min
- Kinostart: ab sofort im Kino
Bildquelle: „Im Verleih der ASCOT ELITE“