James Dean hat auch solche Typen gespielt
Interview von Patrick Holenstein und Tanja Lipak
Es ist kurz nach sieben Uhr, eine Stunde vor der Vorpremiere von «Oh Boy» im Riffraff, als Regisseur Jan Ole Gerster und Schauspieler Tom Schilling Bäckstage in ihrem Hotel an der Langstrasse empfangen. In lockerer Atmosphäre erzählen sie wieso der Film in Schwarz/Weiss gedreht wurde, wieso er in Berlin spielt und wieso beinahe jeder Beteiligte sein eigenes Butterbrot mitgebracht hätte.
«Oh Boy» lief inzwischen auf verschiedenen Festivals, auch am Zurich Film Festival. Wie sind so die Reaktionen beim Publikum?
Jan Ole Gerster: Von Zürich kann ich nur Gutes berichten. Es hat total Spass gemacht und wir haben uns gut aufgehoben gefühlt. Sehr durchorganisiert, man hat schon Wochen vorher Ablaufpläne bekommen, inklusive Besichtigung der Lindt & Sprüngli Manufaktur. Wie man sich das so von der Schweiz vorstellt. Überall gab es tolles Essen und Schokolade. Die Screenings waren toll, die Leute sehr interessiert. Wir hatten lange und sehr intensive Gespräche. Und eigentlich ist das insgesamt meine Erfahrung mit dem Film, dass man auch ausserhalb Deutschlands Leute findet, die etwas damit anfangen können. Es macht Spass, mit dem Film unterwegs zu sein.
Jan Ole, wieso hast du dich für Schwarz/Weiss als Stilmittel entschieden?
Jan Ole Gerster: Das war wie so vieles ganz am Anfang eine intuitive Entscheidung, die mir, glaube ich, dabei geholfen hat, ein bisschen Abstand zu meinem eigenen Leben, zu meiner eigenen Wirklichkeit zu schaffen, die ja durchaus da ist. Und diese abstrakte Stilisierung hat mich da schon etwas mutiger gemacht, auch persönlicher zu sein, die Stadt neu zu entdecken und das Ganze in ein zeitloses Gewand zu packen, weil ich nicht unbedingt wollte, dass es nur als Generationenporträt des neuzeitlichen Berlins gesehen wird.
Woher hattest du die Idee zum Film? Basiert das auf persönlichen Erlebnissen?
Jan Ole Gerster: Es ist nicht alles so direkt 1:1. Aber eine Phase hatte auch ich, in der man vielleicht nicht mehr so ganz zielgerichtet nach vorne geht, anfängt die Menschen, die man früh in seinem Leben, getroffen hat, nochmals in Frage stellt und überlegt, ob es vielleicht auch noch eine andere Richtung gibt. Das nennt man, glaube ich, Sinnkrise. Als ich da raus war und es mit etwas Ironie und Distanz betrachten konnte, habe ich angefangen, darüber zu schreiben. Eigentlich erst zu notieren, wahrzunehmen und solche Situationen zu sammeln. Was sind die Momente, die einem das Gefühl geben, dass man fremd ist und nicht andocken kann? Was sind die Momente mit Freunden, Familie? Und so weiter und so fort. Da ich schon immer eine Vorliebe für so passive Charaktere, wie Niko im Film, hatte und das Ganze auch episodisch erzählen wollte, liess sich das einigermassen schnell und spontan schreiben. Zumindest in der ersten Fassung.
Wie bist du, Tom, an diesen passiven Charakter herangegangen?
Tom Schilling: (Überlegt lange). Ich weiss gar nicht genau, was damit gemeint ist.
Wie hast du dich auf die Rolle vorbereitet? So war es gemeint.
Tom Schilling: (Lacht). Das ist ja im Grunde auch das Gleiche. Ich wollte nur Zeit gewinnen.
(Beide lachen).
Jan Ole Gerster: Genau so mache ich das auch immer. Erst mal eine Gegenfrage.
Tom Schilling: Eigentlich habe ich mich kaum vorbereitet. Ich bin, muss ich feststellen, auch gar nicht so sehr ein Vorbereiter. Ich habe eine Idee zu einer Figur und die kommt meistens schon beim Lesen des Drehbuchs. Also mein Gefühl sagt mir, dass ich Lust habe diese Figur zu spielen. Dann unterhält man sich natürlich mit dem Autor und versucht sich ein wenig abzugleichen, guckt Filme. Viel mehr ist es nicht.
Niko wird oft von den Figuren um ihn herum abgeholt. Wie sehr war die Interaktion mit den anderen Schauspielern wichtig?
Tom Schilling: Ich glaube, dass die anderen Schauspieler einen grossen Anteil daran haben, dass diese Figur gelungen ist. Sie spiegeln diese Figur und erklären Niko, was er in seiner Passivität selber nicht macht. Insofern war das total wichtig, dass alles Hand und Fuss hat und tolle, talentierte Schauspieler mit dabei waren.
Jan Ole Gerster: Niko ist ja passiv, aber trotzdem reagiert er in seiner Passivität und das macht, glaube ich, die Figur erst sichtbar.
Tom Schilling: Richtig.
Du wolltest diese Rolle unbedingt und hast Jan Ole Gerster einen Brief geschrieben. Was hat dich an der Rolle gereizt?
Jan Ole Gerster: Geld. Die hohe Gage. (lacht)
Tom Schilling: Spass beiseite. (lacht) Abgesehen vom Geld, war es das Drehbuch, das mich überzeugt hat. Die Figur, die ich gelesen habe, war jemand, mit dem ich etwas anfangen konnte. Die Person war im Drehbuch schon so scharf umrissen war, dass ich eine Figur gesehen habe, mit der ich gerne befreundet wäre. Vielleicht auch eine Figur, die so ist, wie man gerne wäre. Eine Figur, deren Probleme, Ängste und Zweifel ich nachvollziehen kann. Ganz viele Sachen haben mich mit dieser Figur identifizieren lassen. Es gab eine Grundsympathie, aber vielleicht auch eine Intuition, dass es eine gute Figur für mich sein könnte. Ich wollte in diesem Film mitspielen.
Wie sehr unterscheidet sich denn das Endprodukt vom damaligen Drehbuch?
Jan Ole Gerster: Ich glaube, im Geist ist es immer noch dasselbe. Also den Spirit, denn wir wollten, diese Balance aus Tragik und Komödie, dieses Treiben, die Begegnungen mit Leuten. Film entsteht ja trotzdem immer dreimal. Beim Schreiben, beim Drehen und beim Schneiden. Man wird auch älter und macht dann im Schnitt Sachen anders, als man sie sich beim Schreiben vorgestellt hat. Es bleibt dynamisch bis zum Schluss, aber wichtig ist natürlich, dass es in der Sache, also im Kern gleich bleibt. Ich finde, es ist immer ein gutes Zeichen, wenn man nach so langen Prozessen immer noch Freude an dem hat, was das Drehbuch einmal ausgemacht hat. Es ist im Grossen und Ganzen immer noch im Geiste des Drehbuchs, hin und wieder etwas ausführlicher, aber es ist fast so, wie ich mir das vorgestellt habe.
Tom Schilling: Fast so heisst… Was hast du dir besser vorgestellt?
Jan Ole Gerster: Den Hauptdarsteller hätte ich am liebsten nochmals ausgetauscht. (lacht) Nein, es gibt ja schon immer wieder Überraschungen.
Tom Schilling: Hattest du eine ganz klare Vorstellung vor dem Dreh, wie der Film aussehen könnte?
Jan Ole Gerster: Die grösste Überraschung für mich, um aus dem Nähkästchen zu plaudern, ist, dass ich ihn beim Schreiben nie mit Jazzmusik gesehen habe. Zwar habe ich ihn in Schwarz/Weiss gesehen, aber ich habe nie einen Film mit Jazz vor Augen gehabt, sondern von Soundtracks geträumt wie «The Graduate“ von Simon & Garfunkel. Jemand, der ganz tolle Songs dafür schreibt und eigentlich auch eine Hauptfigur wird in diesem Film. Das Einzige, was von dieser Idee übrig geblieben ist, ist, dass der Soundtrack mit Musikern entstanden ist und nicht mit klassischen Filmkomponisten. Es sind Jazzer, die noch keine Filmmusik gemacht haben. Aber der Jazz ist erst ganz spät, um die Frage zu beantworten, in den Schnitt gekommen, als Idee. Der Jazz hat mir aber immer besser gefallen und ist dann im Film geblieben.
Du hörst den Begriff «Berlinfilm» nicht so gerne und doch funktioniert «Oh Boy» wie eine filmische Liebeserklärung an die deutsche Hauptstadt. Wieso hast du die Geschichte in Berlin angesetzt?
Jan Ole Gerster: Ich habe gar nichts gegen den «Berlinfilm», ich wollte «Oh Boy» nur nicht darauf limitieren oder den Film als Berliner Lebensgefühl verkaufen. Ich wollte einen Grossstadtfilm machen und wenn er jetzt als Berlinfilm gesehen wird, dann freut mich das auch, weil ich die Stadt mag. Deswegen habe ich ihn auch dort gedreht. Da kenn ich mich aus, da glaube ich, gehört der Film auch hin. Die Geschichte in Stuttgart oder Leipzig zu erzählen, kam für mich nicht in Frage. Ich habe schon grosses Interesse gehabt, die Stadt zu zeigen, aber einfach, weil ich sie so gut kenne und alles, was ich aufgeschrieben habe, sofort mit Motiven und Bildern vor Augen hatte. Es wäre für mich umständlich gewesen, in irgendeiner anderen Stadt eine Motivsuche für den Film zu machen. Zudem glaube ich auch, dass viele Begegnungen und auch eine gewisse Mentalität schon an Berlin gebunden ist.
Nikos Trip erinnert an einen Zoobesuch, bei welchem er unter anderem auf aggressive Exemplare, wie den Psychologen, aber auch auf Gefangene wie Julika trifft. Ist Niko durch seine passive Beobachtungsgabe ein Stück weit selbst gefangen?
Jan Ole Gerster: Ja. Er versucht das im Film sogar zu formulieren. Es gibt diesen Moment, in dem er sich versucht zu öffnen und darüber reflektiert, wie er das alles wahrnimmt und auch welche Rolle er darin spielt. Wenn er Julika fragt, ob sie das Gefühl kennt, dass einem die Welt so vorkommt, als wären alle um einen herum verrückt und merkwürdig und irgendwann fragt man sich, ob man nicht selbst derjenige ist, der sich etwas merkwürdig verhält. So ähnlich sagt es Niko im Film. Das ist die Szene, die für mich wichtig war, um zu zeigen, dass er sich schon auch wahrnimmt und dass alles nicht nur auf ihn wirkt, als wären alle andern nur Tiere im Zoo und er ist der Besucher, sondern ob er vielleicht nicht doch auch hinter einem Gitter sitzt und nicht rauskommt.
Wie wichtig ist für die Geschichte der Zeitpunkt? Könnte sie 20 oder 30 Jahre in der Zukunft noch immer funktionieren?
Jan Ole Gerster: Ich glaube ja, um mal zu spekulieren. Man spricht ja schon von einer Entfremdung und Kommunikationsstörung. Vielleicht wird diese Entfremdung in der Zukunft noch schlimmer. Aber ich wollte den Film auch gar nicht so sehr einer Zeit zuordnen. Es gibt viele Vorbilder aus der Literatur und aus Filmen, die mich inspiriert haben, und die sind dann Beweis dafür, dass es solche Figuren, die sich verloren fühlen, schon immer gegeben hat und wohl immer geben wird. James Dean hat ja auch oft solche Typen gespielt, wenn ich recht drüber nachdenke. Oder Antoine Doinel. Das waren so Figuren, die mich schon immer begeistert haben
Wie hast du den Film finanziert? Er ist ja im positiven Sinne gemeint schon aussergewöhnlich.
Jan Ole Gerster: Als ich das Drehbuch geschrieben habe, bin ich losgezogen und habe einen Produzenten gefragt, ob er Interesse an meinem Film hätte. Klar, hatte ich Bedenken, wie wohl Geldgeber auf eine passive Figur reagieren, die keinen klassischen Läuterungsprozess durchmacht. Dazu das Ganze in Schwarz/Weiss. Aber das war kein Problem, dem Produzenten gefiel das Buch. Ich muss aber gestehen, dass ich zu dem Zeitpunkt so gerne einen Film machen wollte, dass ich über das Budget gar nicht so sehr reflektiert habe. Ich habe gesagt: «Ich kann versuchen es für 100‘000 zu machen, aber ich mache es auch für 500‘000. Was auch immer zusammen kommt, lass uns einen Film machen. Der Marcos (Kandis, Anm. d. Red.) hat es ein bisschen gesteuert, denn er muss als Produzent auch schauen, dass man einen Film realistisch umsetzen kann. Also haben wir es mit Fernsehgeldern und einem kleinen Beitrag der Berliner Filmförderung finanziert. Es war nicht viel. Obwohl mit weitaus weniger Geld auch Spielfilme gemacht werden.
Tom Schilling: Es war nicht üppig. Aber es stimmt, wir hätten den Film auch für 50‘000 Euro gedreht.
Jan Ole Gerster: Es gab schon Absprachen, dass sich jeder selbstgeschmierte Brote und eine Thermoskanne mitbringt. Dass wir im Sommer drehen und es das Catering im Park gibt. Und um das nochmals abzuschliessen, es gab natürlich keine fette Gage. Für niemanden. Alle haben das Gleiche bekommen, von den Schauspielern, oder?
Tom Schilling: Ja.
Jan Ole Gerster: Halt eher symbolische Gagen.
Dafür gab es die Erfahrung am Filmset.
Jan Ole Gerster: Ja, die braucht Michael Gwisdek noch. Der muss noch Erfahrungen sammeln. Das war auch mein Argument: «Da kannst du noch was lernen.» (Alle lachen).
Bäckstage hat auch den Film gesehen. Unser Kritik findet ihr HIER.