«Ich schreibe, ohne das Ende der Geschichte zu kennen»

Interview mit Stefan Millius
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© Stefan Millius

Am Tag vor der Schweizer Premiere von «Himmelfahrtskommando» traf Bäckstage Schriftsteller und Drehbuchautor Stefan Millius im Berner «Lehrerzimmer» zum Gespräch Ebenfalls anwesend war Regisseur Dennis Ledergerber. So erzählte uns Stefan von seinen Erfahrungen am Filmset, dem Drehbuchschreiben und was ihn sonst so inspiriert.

 

Stefan, was hat dich dazu bewogen die Novelle «Himmelfahrtskommando» zu verfassen?

Stefan: Alle meine Geschichten spielen auf dem Land. Ich glaube, ich habe noch nie eine Geschichte geschrieben, die sich in der Stadt ereignet, weil ich die These habe, dass die Stadt schnell, laut und grell ist. Aber hinter den Kulissen läuft meiner Meinung in einem Dorf viel mehr ab. Auch in Bezug auf die Doppelmoral. Denn in der Stadt sind sowieso schon alle cool und böse. Auf den Land ist die Lücke, wie die Leute sind und wie sie sich geben, viel grösser und deshalb finde ich das spannender. Wie genau ich nun auf diesen Plot gekommen bin, kann ich nicht mehr genau nachvollziehen. Aber ich finde es halt spannend, wenn man diese heile Welt nimmt, ihr irgendeine Begebenheit hinzufügt, und sie dann auf den Kopf gestellt wird.

 

Wie arbeitest du deine Geschichten aus?

 

Stefan: Ich plane nicht, das heisst ich mache keine Mind Maps. Ich kenne das Ende der Geschichte noch nicht, wenn ich mit ihr beginne, sondern schreibe einfach mal drauf los. Deshalb brauche ich eine sehr gute Ausgangslage, die die Story vorantreibt. Ich kann nicht einfach zwei Figuren in eine Wüste stellen und dann loslegen. Ich brauche ein Dorf, dann circa 20 Figuren, ein ausserordentliches Ereignis, wie etwa die Sekte, und dann schreibt es sich und endet wie von alleine.

 

Und wie war das nun mit dem «Himmelfahrtskommando»? Weshalb sollte dieses deiner Werke verfilmt werden?

Stefan: Du hast das sicher schon von Dennis gehört, dass wir uns getroffen haben, er nach einer Idee gesucht hat und ich von dieser Geschichte bereits einen groben Entwurf hatte. Aber schon mein erster Roman war sehr filmhaft. Und man hätte sicher schon meine vorherigen Werke leicht verfilmen können. Ich beschreibe nicht viel. Das heisst,  ich beschreibe keine Menschen in ihrem Dreiteiler, dem Bart und der goldbesetzten Brille, sondern ich glaube, es ergibt sich schnell ein Bild von der Person, durch die von mir beschriebene Handlung. Beim Gemeindepräsident zum Beispiel. Durch die Art, wie er die Gemeindeversammlung führt, denkst du vielleicht, dass er aussieht wie Beat Schlatter. Und für einen Filmemacher ist es deshalb wohl auch spannend, weil er sich bei meinen Texten nicht mit tausend Details auseinanderzusetzen braucht. Er bekommt die Handlung und die Figuren und kann was daraus machen.

 

Frage von  Dennis an Stefan: Wie ist eigentlich für dich der Unterschied zwischen den Dialogen im Drehbuch, - (wendet sich an mich) denn er hat ja alle Dialoge geschrieben – im Unterschied zur Prosa in der Novelle?

Stefan: In meinem ersten Roman gibt es keine Gänsefüsschen. Dort ist alles indirekte Rede. Ich verwende oft Schlangensätze mit Formulierungen wie «habe doch gewollt», «habe doch versucht…», weil das irgendwie mein Stil ist. Und beim Film, beim Drehbuch, ist es etwas völlig Anderes, weil 1:1 jemand so reden soll. Das ist eine komplett andere Ausgangslage. Dort kann ich viel mehr auf den Punkt kommen. Aber ich denke lustigerweise schon, dass der Humor der Figuren dann doch bei Buch und Film gleich ist.

 

Du hast auch eine kleine Rolle im Film übernommen, wie kam es dazu?

Stefan: Das war ziemlich unspektakulär. Wir hatten ein Casting und für diese Rolle haben sich nicht grad hundert Personen interessiert. Es ist eine kleine Nebenrolle und die Figur ist nicht so klar gezeichnet, wie zum Beispiel der Gemeindepräsident. Wir hatten dort, glaub ich, wirklich niemanden beim Casting, bei dem wir gefunden hätten, dass er es ist. Also meinte Dennis, dass ich, rein so vom Typ her, den auch verkörpern könnte. Daraufhin sagte ich ihm, dass ich das gerne probieren würde, aber er mir sagen muss, wenn es peinlich werden sollte, weil ich nun mal keine Schauspieler bin. Das war der Deal. Nein, halt, ich musste ihm auch ein paar Probeaufnahmen zusenden.

 

Dennis: Genau, du hast mir noch Videos zugeschickt. Mir hat halt rein die Idee gefallen, dass der Schöpfer der Geschichte und Figuren quasi auch der Bauführer im Film ist. Der Bauführer ist der Drehbuchautor und umgekehrt. Und im Finale erwischt es ihn am Schluss am härtesten, die Figur die er kreiert hat, schlägt ihm windelweich. Das ist halt so eine Egosache, ein Ding das wir noch amüsant fanden.

 

Stefan: Genau, das sind die kleinen Spielereien, die sonst Niemanden gross interessieren, aber uns eine grosse Freude bereiten (lacht).

 

War es schön, dass du Stefan dadurch auch am Set mit dabei warst, was vielleicht sonst wohl eher untypisch ist für die Autoren?

Dennis: Nein, nein, er wär auch sonst dabei gewesen. Für meinen nächsten Dreh ist Stefan schon voll eingeplant, denn er strahlt eine besondere Ruhe aus. Und wenn es halt an einem Drehtag regnet, obwohl im Drehbuch Sonnenschein beschrieben wird, muss schnell umgeschrieben werden. Oder es gibt Schauspieler, die Fragen zu den Figuren und den Dialogen haben und wie vorhin im Interview erklärt, sind es dann Sachen bei denen ich blindes Vertrauen in Stefan habe und die ich ihm gerne abgebe.

 

Ich habe vorhin von Dennis erfahren, wie er die Stimmung und den Zusammenhalt am Set empfunden hat. Jetzt wäre es interessant, von dir, Stefan, zu hören, wie es du empfunden hast. Hier in Anwesenheit von Dennis (Dennis lacht).

Dennis: Ich muss grad sowieso schnell aufs WC (alle lachen).

 

(Dennis ist verschwunden und Stefan erzählt): Ich habe natürlich keine Vergleichsmöglichkeiten, ich war noch nie bei einem Filmdreh dabei und habe zuvor noch keinen Regisseur bei der Arbeit beobachtet. Aber ich habe das Feedback von den Profischauspielern gesehen und gehört. Wenn Dennis die ganze Zeit unter Laien gewesen wäre, hätte ich eine gewisse Unsicherheit gespürt, ob das nun gut kommt oder nicht. Aber wenn Schlatter, Müller, Zogg und die anderen ihm jeden Tag super Feedback geben, gibt mir das auch ein gutes Gefühl. Und ich habe gemerkt wie sie ihm zuhören, ihn ernst nehmen, mit ihm arbeiten und alles machen, was er ihnen sagt und nie Zweifel an seiner Kompetenz aufkommen lassen. Deshalb hatte ich auch immer das Gefühl, dass das gut kommen muss. Er macht das, als hätte er noch nie was anderes gemacht. Und es ist etwas, bei dem ich ihm nie reinreden würde, weil ich das nie könnte. Ich denke das Wort und er sieht dann das Bild, macht irgendwelche Retouchen und ich bemerke gar keinen Unterschied zu vorher. Ich bin halt eher zweidimensional, oder eindimensional gestrickt (lacht).

 

Und wie war die Zusammenarbeit mit den anderen Schauspielern? Haben sie dir Tipps gegeben, habt ihr euch ausgetauscht?

Stefan: Es war ja so, dass die Dialoge in Hochdeutsch verfasst waren und die Darsteller mit den Dialogen noch arbeiten konnten. Sie haben sich aber schon sehr eng daran gehalten, weil sie Freude daran hatten und die Dialoge funktioniert haben. Natürlich gibt es Schauspieler, die stark mit dir über die Dialoge reden möchten, wie beispielsweise Peter Holliger, der den Pfarrer im Film spielt. Er wollte immer wissen, ob er eher so oder so spielen sollte, oder was wir von ihm haben wollten. Weil er ja doch keinen typischen Pfarrer verkörpert, sondern eine leicht dubiose Person. Und andere sagten, es sei ihnen alles klar, wenn sie das Drehbuch und ihre Dialoge kennen. Das war schon sehr unterschiedlich. Aber eigentlich musste ich eben gar nicht viel mit den Leuten machen, ich war dort, weil ich es miterleben wollte.

 

Denkst du, die Erfahrungen mit dem Drehbuch, oder allgemein den Dreharbeiten, beeinflussen die Art und Weise wie du deine nächsten Bücher schreibst?

Stefan: Kommt jetzt natürlich sehr drauf an, wie es läuft. Wenn ich ab jetzt etwas schreibe, bei dem ich weiss, das ist der nächste Film, den der Dennis macht, dann ist das Schreiben schon ein völlig Anderes. Dann muss ich aufpassen, dass ich nicht von Anfang an probiere, den Film zu schreiben. Bei «Himmelsfahrtskommando» ist das Ergebnis wahrscheinlich auch deshalb so gut, weil ich ein Buch, eine Novelle, habe schreiben wollen, also eine Story erfunden habe, die als Geschichte funktioniert. Wenn ich schon beim Schreiben probieren würde so zu denken wie ein Filmer, würde ich mich selbst ans Messer liefern. Weil im Prinzip muss ich fähig sein, über Dinge zu schreiben wie einen Meteoritensturm und nicht schon im vornherein überlegen, wie das filmisch überhaupt umgesetzt werden könnte. In dieser Phase muss ich noch völlig frei sein und Dennis kann dann immer noch vorbeikommen und sagen «Weg mit den Meteoritensturm, wir haben kein Geld dafür». Aber wir müssen, wenn wir uns wieder für einen gemeinsamen Film entscheiden, absprechen, ob er wieder von mir eine Novelle möchte, oder ob wir wirklich von Anfang an zusammen an einem Drehbuch schreiben möchten.

 

Du hast bereits angesprochen, dass du über das Dorfleben schreibst. Und doch ist es beim «Himmelfahrtskommando» nicht irgendein Dorf, es ist ein Schweizer Dorf. Du lebst in Appenzell - Wie sehr, denkst du, prägen dich die Dinge, die du dort siehst und erlebst?

Stefan: Ich bin auch in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Und es ist schon so, dass ich die Orte, die ich kenne, geographisch vor dem inneren Auge habe, wenn ich schreibe. Weil du gewisse Anhaltspunkte brauchst, wenn du dir einen Dorfplatz vorstellst, eine Schule oder eine Dorfbeiz. Sicher haben mich die Erlebnisse und Begegnungen als Kind geprägt. Ab einem gewissen Alter lernst du zum Beispiel die Doppelmoral kennen. Am Anfang denkst du, der Pfarrer ist der Heilige, die Kühe sind am Grasen, der Bauer arbeitet immer fleissig, die Ministranten sind immer brav und irgendwann merkst du, dass nicht alles so ist. Und das prägt dann schon auch. Vielleicht sogar mehr als in einer Stadt. Wenn du zum Beispiel in New York lebst, wo du im Prinzip nackt über einen Platz laufen kannst, ohne aufzufallen, wo ist da noch der Reiz? Von daher hat mich das Dorfleben sicherlich geprägt. Aber wichtig ist für mich, dass ich keine anklagende Perspektive einnehme, ich rede nicht von der bösen Landbevölkerung. Es geht mir um die Menschlichkeit, die dort herrscht und mir sind die Leute auch sympathisch. 

 

Was war die grösste Herausforderung bei der Produktion für euch? An was seid ihr am meisten gewachsen?

Dennis (Ist inzwischen zurückgekehrt): Das Schwierigste am Dreh waren für mich all die Künstler, vom Beleuchter bis zum Schauspieler, dazu zu bringen, dass alle schön miteinander zusammenarbeiten. Ob ich daran gewachsen bin, weiss ich nicht, aber es war mit Sicherheit das Schwierigste. Jeder hat eine Meinung und dadurch, dass alle Filme machen, egal ob es der Toningenieur ist oder die Beleuchtungs-Crew, haben alle eine Ahnung von der Materie. So hast du dann theoretisch 30, 40 Meinungen am Set, denen du standhalten musst. Ich muss alle Meinungen berücksichtigen und dafür sorgen, dass niemand traurig ist oder zu kurz kommt. Auch in der Postproduktion empfinde ich das immer noch als das Schwierigste und das Anstrengendste. Alles andere ist ein Klacks (alle lachen).

 

Stefan: Beim Dreh war das Schwierigste für mich, dass ich ständig Zigarillos rauchen musste. Als Nichtraucher war das ein grosser Kampf. Die allergrösste Schwierigkeit lag für mich aber beim Dialoge-Schreiben während der Vorproduktion. Ich hatte ein paar Vorurteile und dachte, wenn ein Mensch allein die Dialoge schreibt, hört sich dann nicht alles gleich an? Reden dann nicht alle gleich? Rede ich dann nicht permanent mit mir selbst und funktionieren die Dialoge dann überhaupt? Ich hocke dann ja vielleicht da und grinse über den Dialog, über den ausser mir niemand lacht? Bis zum letzten Donnerstag, bis zur Weltpremiere, war für mich eigentlich ungewiss, ob es funktionieren wird.

 

Dennis: Dadurch, dass die Dialoge auf Hochdeutsch verfasst wurden, hatten die Darsteller einen relativ grossen Spielraum bei der Interpretation. Mit englischsprachigen Drehbüchern ist das anders, denke ich. Wenn ich an Tarantinos Sachen denke. Die sind in Stein gemeisselt, weil er so ein Genie ist. Zum einen sind wir halt nicht solche Genies (alle lachen) und zum anderen bleibt mit dem Hochdeutschen nur eine Schablone der Dialoge übrig, die jeder einzelne Schauspieler zum Leben erweckt. Erst wenn die Schauspieler dazu kommen, weißt du eigentlich, was du gemacht hast. Und dann ist da noch sehr viel Zufall mit im Spiel, wie gut der Schauspieler jetzt diese Figur annimmt. Es hätte nämlich auch ein anderer Darsteller kommen können und der hätte vielleicht etwas völlig anderes daraus gemacht. Deshalb bleibt da eine gewisse Willkür haften.

 

Was war nun das Einfachste an der ganzen Produktion? Wo lief alles glatt, auch wenn ihr Bedenken hattet?

Dennis: Beim Regie führen. So einfach ist es nicht. Aber es ist enorm befriedigend, wenn du das Vertrauen der Leute hast. Auch ich habe nicht immer die Antwort auf alle Fragen, aber wenn sie mir dann vertrauen und das Ganze vorwärts geht, dann ist das ein tolles Gefühl.

 

Stefan: Bei mir war’s wieder das Schreiben. Über Monate hinweg haben Dennis und ich nur über Telefon und Mail miteinander kommuniziert. Plötzlich kam wieder eine leere Seite mit der Struktur der Handlung von Dennis und ich musste die Dialoge einbauen. Dort hatte ich, ehrlich gesagt, auch mit viel mehr Reibungsfläche gerechnet, also dass es vielleicht nicht immer funktioniert. Theoretisch hätte das ganze nach zwei Tagen vorbei sein können. Wenn er meine Sachen bekommt und denkt «Nein, das ist nicht der Film, den ich machen möchte - sorry“. Aber das ist überraschenderweise sehr gut gelaufen.

 

Wenn ihr in ein Paar Sätzen den Film oder einen Grund, um den Film zu sehen, nennen müsstet, wären dies:

Dennis: Wenn Dir grundsätzlich Schweizer Filme gefallen, dann geh ihn Dir ansehen. Es geht um Sex, Drugs und Rock’n’Roll.

 

Stefan: Es ist der unschweizerischste Schweizer Film, den es je gegeben hat. Er ist dermassen Schweizerisch wie ein Film nur sein kann und zugleich so Unschweizerisch wie ein Film eben sein kann.

 

Die Filmkritik findet ihr hier und das Interview mit Dennis Ledergerber hier.

Tanja Lipak / Do, 28. Mär 2013