«Ich lerne mit Tragödien des Lebens umzugehen durch Filme»

Interview mit Felix Van Groeningen
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Tanja Lipak

Am Zurich Film Festival konnten wir mit dem Belgischen Regisseur Felix Van Groeningen («Cafe Belgica», The Broken Circle») über seinen neusten Film «Beautifiul Boy» sprechen. Darin behandelt er die wahre Vater-Sohn Beziehung von Nick (Timothée Chalamet) und David (Steve Carell), welche durch Nicks Drogensucht auf die Probe gestellt wird. Der Film erzählt authentisch, schnörkellos und unverblümt über das stetige Auf- und Ab zwischen Entzugskliniken und Rückfällen. Chalamet und Carell brillieren als Vater-Sohn Gespann, das nicht ohneeinander, aber auch nicht miteinander den Weg schafft. Für diese Leistung wurde Chalamet just für den Oscar als bester Nebendarsteller nominiert. Im Interview erzählte uns Felix wie es zu der Besetzung kam, was ihn an der Geschichte fasziniert, weshalb er auf einen Score verzichten konnte, aber nicht auf Nirvana-Songs und wie er selbst seine Filme als Therapie nutzt. Der Film läuft in den Schweizer Kinos.

 

Was hat dich am Material des Films fasziniert?

 

Ich fühlte eine innere Verbundenheit auf vielen verschiedenen Ebenen. Das Epos an dieser Geschichte. Der Vater, der den Sohn versucht zu retten und zu verstehen. Aber der Vater muss zugleich von seinem Sohn los lassen um sich selbst zu retten, resp. Nicht zu gefährden. Dies hat mich sehr bewegt. Ich fühlte mich Nick sehr verbunden, der Familiendynamik, auch wenn ich nicht zu ihnen gehöre, fühlte ich mich ihnen nach. Die Bücher (Nick und David schrieben je Bücher über ihre Erlebnisse) lernten mich ausserdem anders auf Menschen zu blicken, die von einer Suchtkrankheit betroffen sind. Die Bücher zeigten mir auf wie komplex die Sache ist und weshalb es keine einfachen Lösungen gibt. Diese Erkenntnisse möchte ich teilen, in meinem Film thematisieren und dadurch einem grösseren Publikum, Filmpublikum,  zu Verfügung stellen.

  

Fiel es dir einfacher oder schwerer eine reale Geschichte zu verfilmen? Einfacher, da mehr Material verfügbar war, oder schwerer weil diese Personen wahrhaft existieren und du ihnen gerecht werden wolltest? Inwiefern beeinflusste es deine künstlerischen Entscheidungen?

 

Nein, es war Teil der Herausforderung.  Es gab einem auch Halt. Ich bin Guillermo del Toro, oder sonst ein Regisseur mit stark ausgeprägter visueller Vision. Ich fange mit einer Story und einer Umgebung an, die mich fasziniert. Meist ist es etwas Wahres, das mich festhält, eine universale Wahrheit, die mich fesselt. Ich möchte es sehr, die Recherche zu diesem Film zu machen, zu sehen wo David & Co. Leben, wie ihre Umgebung aussieht in der sie sich bewegen. Ich erhielt grossen Einblick in ihr Privatleben, weshalb es  mir dann sehr einfach fiel den Film zu visualisieren. Es ist aber trotzdem kein Bio-Pic, weshalb ich vielleicht nicht so verkrampft war. Die Menschen kennen diese Personen nicht persönlich, es sind nicht Personen des öffentlichen Lebens, wir konnten mit ihnen dermassen herumspielen, bis wir den Film so im Kasten hatten damit er funktioniert.

  

Wie bist du mit dem Casting vorangegangen? Steve und Timothée haben eine irrsinnige Chemie.

 

Vielen Dank. Steve ist ein herausragender Darsteller, als wir diesen Film in Angriff nahmen, war klar dass nur er David spielen konnte. Und als er zusagte, musste ich dann weinen. Seine Ehrlichkeit, er ist ein sehr engagierter Familienvater und deshalb sah ich ihn sofort als David vor meinem inneren Auge. Das war unsere erste Besetzung und von dort ging es dann weiter zu Nick. Es gab ein normales  Castingverfahren und bei Timothée sahen wir, dass er unglaublich charmant war aber auch eine sehr dunkle Seite besitzt. Und beide zusammen, Timothée und Steve, es funktionierte.

  

Wenn ich «Beautiful Boy» mit deinen vorherigen Filmen vergleiche, so scheint mir sehe ich eine Verbindung. Es geht um Liebe, Familienbanden, ein tragisches Schicksal… Ist das beabsichtigt oder reiner Zufall?

 

Ich glaube es gibt da eine Verbindung. Ich komme aus einer sehr liebevollen Familien, aber diese ging durch viel, musste viel durchstehen. Ich habe immer noch dieses Familienidyll nach dem ich mich sehne. Aber welches zu Bruch ging (lacht verlegen). Ich finde Frieden durch all die Filme, die ich drehe.  Die Protagonisten machen sehr viel mit, aber sie realisieren dadurch was im Leben wichtig ist, was zählt. Sie erhalten eine besseres Verständnis fürs Leben dadurch. Ich mache diese Filme und ich lerne dadurch mit den Tragödien des Lebens umzugehen. Ich lerne von ihnen.

 

Was bei deinem Film auch besonders hervorsticht, ist dass auf eindrückliche Weise gezeigt wird, was mit dem Umfeld eines Drogensüchtigen passiert. Nicht die Sucht und der Süchtige sind im Zentrum, sondernd essen Umfeld und was diese durchgehen muss.

 

Ja absolut. Das macht diesen Film einzigartig. Und es ist deshalb umso wertvollen diesen Film zu sehen, weil er einem dadurch näher rückt. Nicht alle haben eine Suchtproblem, aber viele kennen Menschen, die süchtig sind und finden vielleicht ein wenig Trost in diesem Film.

  

Wie hast du die Musik zum Film gewählt? Ich denke deine exquisite Musikwahl besticht in jedem deiner Filme.

 

Einer der Gründe, weshalb ich von den Büchern fasziniert war, ist das beide David und Nick, viel Musik darin erwähnen und einsetzen. David führte als Journalist viele Interviews mit Musikern fürs Rolling Stones Magazine. Deshalb fand die Musikwahl sehr organisch ihren Weg ins Drehbuch. Wie bspw. Die Nirvana Szene oder wenn David seinem Sohn «Beautiful Boy» vorsingt. Mir war ein handverlesener Soundtrack deshalb sehr wichtig. Mit der Musik wollte ich ihre Verbundenheit und Beziehung reflektieren. Aber wirklich spannend wurde es im Schnitt, als wir uns dafür entschieden keinen andere komponierte Musik für den Film einzusetzen. Und mein Editor war es dann, der mir dazu riet, wagemutiger zu sein und lediglich einen Soundtrack zu hinterlegen, aber keinen Score. Stylisch wirkt die Musik sehr gut, weil sie aufzeigt wie sich die Zeit verändert, wie unsere Erinnerung funktioniert. Wir hatten sehr viel Spass dabei «crazy songs» zu nutzen. Wir wollten nicht zu tarantino-esque wirken, sondern die Songs einsetzen um  zu zeigen wer David und Nick sind.

  

Habt ihr auch andere Menschen beigezogen als Berater für die Darstellung von Nick’s Suchtkrankheit oder entstamme alles aus Nick’s Buch?

 

Es ging um Nick’s persönliche Erfahrung. Ich selbst machte auch noch Recherchetätigkeiten, besuchte Rehabilitationszentren, aber ich machte keine besseren oder neueren Erfahrungen. In Nick und David’s Büchern war schon alles sehr genau umschrieben. Sehr spezifisch, ausführlich und authentisch, so dass wir dort bereits alles fanden.

  

Am Ende des Films zeigst du Statistiken zur Drogenepidemie in den USA. War das eine bewusste politische Botschaft, die du dem Publikum mitgeben möchtest?

 

Das Thema ist in den USA zurzeit sehr relevant. Es war eine bewusste Botschaft an das Amerikanische Publikum, da dort immer noch eine grosse Opiat-Epidemie herrscht. Die Menschen leiden und sterben, dies aufzuzeigen war mir wichtig. Ich persönlich finde es nicht relevant Zahlen zu zeigen aber bei anderen Menschen weckt dies hoffentlich die Betroffenheit.

 

 

Tanja Lipak / Sa, 02. Feb 2019