«Festivals sind grossartig, um anderen die Fans zu stehlen»
Weil auch Richard Jones, der Bassist der Stereophonics (Links auf dem Titelbild), in letzter Zeit von regnerischem Wetter geplagt war, wurde das geplante Interview kurzerhand auf die sonnige Terrasse des Komplex verlegt. Bestens gelaunt, erzählte Richard von seiner Kindheit, wie wichtig das Kino für ihn damals war und was, neben dem Kino, wichtige Einflüsse für die Stereophonics sind.
Bei den Vorbereitungen zum Interview war ein Thema immer wieder präsent: Film.
Wir sind natürlich grosse Filmfans. Kelly (Jones, Sänger der Stereophonics, Anm. d. Red.) schreibt gerade an einem Drehbuch, das hoffentlich in den nächsten Jahren in Produktion gehen wird, aber einen Film zu produzieren, dauert eben länger als Aufnahmen für ein Album. Das aktuelle Album «Graffiti on the Train» ist zum Teil von einem Drehbuch, das von Kelly stammt, beeinflusst. Wir freuen uns schon, wenn der Film produziert wird, denn die Musik wird ein grosser Teil davon sein. Mal schauen, was passiert.
Mir sind zwei Punkte aufgefallen, die den erwähnten Eindruck stützen. Einer ist, dass eure Songs oft Teil von Soundtracks bei Filmen oder Serien sind. Wie entscheidet ihr, ob ein Song freigegeben wird?
Wir bekommen normalerweise einen Anruf von unserem Verleger und dann wird uns die Inhaltsangabe zum Film geschickt. Wenn es ein Thema ist, dass uns passend erscheint, geben wir den Song für den Film frei. Manchmal sagen wir nein, weil wir einen Song nicht aus dem Kontext gerissen haben möchten. Wir sind aber wirklich glücklich damit, wie unsere Songs bisher in Filmen und Serien verwenden wurden. «L.A. Crash» war ein brillanter Film und wir sind in den End Credits. Wir haben aber leider die Oscar-Nomination verpasst, weil das Album schon vor dem Film veröffentlicht wurde.
Der zweite Grund ist, dass eure Musik ein wenig wie ein Soundtrack ohne Leinwand ist. Mit Dramturgie und gelegentlich episch. Sind die Stereophonics eine Art filmische Band?
Wie gesagt, wir sind alle grosse Filmfans und das ist natürlich ein Teil der Inspiration, für die Art, wie wir schreiben und Platten aufnehmen. Im Studio schauen wir zum Beispiel viele Filme auf einer Leinwand, aber ohne Ton und lassen uns inspirieren. Film war schon immer ein Teil meines Lebens. Als ich in South Wales gross wurde, waren Filme ein grosser Teil des Vergnügungsangebots. Wir gingen ins Kino und schauten uns die grossen Filme an. Oder wir hatten einen Mann mit einem Van, der durch das Dorf fuhr und VHS-Kassetten vermietete. Man machte die Tür seines Vans auf, suchte sich einen Film aus, zahlte die Gebühr und brachte den Film am Tag später wieder zurück. Ich glaube, mein erster Film, den ich auf VHS gesehen habe, ist «Rambo» mit Sylvester Stallone.
Hast du einen Lieblingsfilm?
Es gibt einen alten Film, den ich jedesmals sehr mag, wenn ich ihn sehe. «Emperor of the North» mit Ernest Borgnine. Er spielt einen Sicherheitsangestellen in einem Zug während der grossen Depression in den USA. Er versucht zu verhindern, dass Obdachlose, genannt «Hobos», umsonst mitfahren. Das passt irgendwie zu «Graffiti on the Train».
Gibt es einen Film, für den du gerne den Soundtrack geschrieben hättest?
«Pulp Fiction» wäre ein grossartiger Film, um auf dem Soundtrack zu sein. Weil der Soundtrack die Pop-Kultur in der Wahrnehmung verändert hat, wie die Musik als grosser Teil des Films eingesetzt wurde. Als wir Teenager waren, haben wir den Film geliebt. Die Charaktere, die Geschichte, alles ist so befreiend beim Schauen des Film.
Lass uns über das neue Album sprechen. Wieso heisst es «Graffiti on the Train»?
Das ist von einem Ereignis beeinflusst, das Kelly in seinem Haus passiert ist. Er hat geschlafen und plötzlich hörte er Schritte auf dem Dach. Das ist mehr als einmal passiert und eines Nachts ist er aufgestanden und hat geschaut, woher die Schritte kamen. Es waren zwei Leute auf seinem Dach, die sagten, dass sie nicht einbrechen würden, sondern nur über sein Dach zu den dahinterliegenden Geleisen gelangen möchten. Dort wollten sie Graffitis auf die Züge sprayen. Kelly begann daraufhin einen Song zu schreiben und fragte sich, wieso jemand das Risiko eingeht, erwischt zu werden, nur um ein Zeichen zu hinterlassen. Kelly entwarf ein romantisches Szenario, in dem ein junger Mann eine Nachricht für ein Mädchen auf einem Zug hinterlässt. Daher kommt die Geschichte und es ist grossartig, wie sie das ganze Album beeinflusst hat. Gerade im Bezug drauf, wer die beiden jungen Leute sein könnten oder woher sie stammen.
Die Stereophonics (Richard Jones ist der zweite von rechts). (Quelle: Stereophonics.com)
Seit dem letzten Album sind vier Jahre vergangen. Was habt ihr in der Zeit gemacht?
Wir beendeten die Aufnahmen für «Keep Calm And Carry On» im November 2009 und hatten für das Album viel zu tun. Wir starten die Aufnahmen an «Graffiti on the Train» im Februar 2011 und die Zeit davor nutzten wir, um möglichst viele Ideen zu sammeln. Wir beendeten das Album im Dezember 2011, brachten es aber erst im März 2013 auf den Markt, weil letztes Jahr die Olympischen Spiele in London stattfanden und die Aufmerksamkeit der Leute absorbiert hätte. Also haben wir entschieden, das Album erst ein Jahr später zu veröffentlichen. Aber wir hatten auch so genug zu tun. Insgesamt sind 30 bis 36 Song entstanden. Wir hätten also genug Material, um ein weiteres Album zu veröffentlichen.
«In a Moment» klingt dunkel und urban, ein wenig wie ein Mix aus Depeche Mode und U2 in ihrer späten 80er-«Achtung Baby»-Phase. Täuscht der Eindruck?
Nein. Wir sind natürlich von sehr vielen Leuten beeinflusst. Ich bin ein grosser Fan von Depeche Mode, wir alle mögen U2. Ebenfalls ist der englische DJ James Lavelle mit seinem Projekt UNKLE ein Einfluss für uns. Aber ja, «In a Moment» ist ein Versuch, verschiedene Element zu verwenden, um zu sehen, wie wir einen dunkler motivierten, starken Sound kreieren können und das ist genau das, was Depeche Mode und zum Teil auch U2 machen. Wir sind sehr überrascht, dass so viele Leute diesen Teil der Stereophonics mögen.
Hast du einen Lieblingssong auf dem Album?
Ich mag «Take me», weil es ein Duett von Kelly und seiner Freundin ist. Der Song besitzt zudem Ähnlichkeiten zu Nick Cave & The Bad Seeds als sie «Murder Ballads» gemacht haben. Darum ist das im Moment mein Lieblingssong auf dem Album. Und «Roller Dice» ist auch sehr gut, den mag ich auch.
Wie waren die Reaktionen bis jetzt? Funktioniert das neue Material bei Konzerten?
Bis jetzt sehr gut. Wir waren gerade auf UK-Tour und auf einigen Festivals und es hat gut funktioniert. Wir sind sehr zufrieden, wie wir die Songs spielen und es scheint, dass das Publikum ebenfalls sehr glücklich damit ist.
Heute spielt ihr im relativ kleinen Komplex, aber ihr spielt auch auf grossen Festivals. Welche Shows sind dir lieber?
Die kleinen Shows sind möglicherweise besser, um das Publikum zu erreichen, weil man die gesamte Aufmerksamkeit hat. Aber Festivals sind grossartig, um anderen die Fans zu stehlen (lacht). Bei 50‘000 Leute auf einem Festival kennen längst nicht alle deine Musik, aber so hast du die Chance, Fans von anderen Bands ebenfalls zu erreichen.
Stereophonics - «Maybe Tomorrow»