«Mein Vater erkannte, dass Musik nicht bloss Träumerei ist»

Interview mit Dave Stewart
Bildquelle: 
Promobild

Dave Stewart war der kreative Kopf von Eurythmics, hat mit Leuten wie Mick Jagger oder Joss Stone in der Supergroup Superheavy gespielt und ist aktuell als Solo-Künstler auf Europatour. Die Tour und sein neuestes Album heissen «Lucky Numbers», das Album ist in der Schweiz aber erst ab Ende September 2013 erhältlich. Deshalb stand im Gespräch seine letztes Album «The Ringmaster General» im Zentrum und Dave Stewart sprach über persönliche und philosophische Themen. 

 

Für das Telefon-Interview erreichte ich Dave Stewart in einem Hotel in Hamburg.  

 

Hallo Dave, danke für dieses Gespräch. Du bist derzeit in Hamburg? 

 

Ja, ich halte hier in Hamburg beim Reeperbahn Festival eine Keynote und dann habe ich ein paar Konzerte in Deutschland, bevor ich nach Zürich komme. 

Lass uns über das Album «The Ringmaster General» sprechen. Kannst du mir erklären, wer dieser Ringmaster ist und wie es zu diesem Titel kam?

 

Der Ringmaster ist der Zirkusdirektor. Ich habe festgestellt, dass ich in meinem Leben zu einer Art Zirkusdirektor geworden bin. Ob mit der Band Superheavy oder schon bei Eurythmics, ich nahm immer die Rolle des Leaders an. Oft geschah das spontan und instinktiv, doch als ich darüber nachzudenken begann, wurde mir klar, dass ich immer diese Rolle des Zirkusdirektors übernommen habe. Ich verwebe meine Ideen und Projekte mit denen von anderen Künstlern, und daraus entsteht dann eine neue Band oder ein neues Album oder sonst ein Projekt.

 

 Der Ringmaster aka Zirkusdirektor Dave Stewart. (Promobild)

 

Und was ist die Bedeutung des Bildes des Albumcovers von «The Ringmaster General»? Auf diesem Bild sieht man dich im Vordergrund mit Gitarre, Akkordeon und schwarzem Zylinderhut, im Hintergrund ist eine Industrieanlage und neben dir erkennt man ein Flugobjekt, aus dem du gerade ausgestiegen zu sein scheinst.   

Ich stamme aus dem Norden Englands aus der Nähe von Newcastle, einem Industriegebiet mit Schiffswerften und Kohlebergbau. Das UFO auf dem Cover symbolisiert, dass ich das Glück hatte, dass mich ein UFO abgeholt hat und ich damit aus meinem Umfeld ausbrechen konnte, um in der Welt des Entertainments zu landen. Es ist ein metaphorisches Bild. 

In einem Interview sagtest du einmal, dass deine Projekte nie linear entstehen wie ein Projekt in der Geschäftswelt, sondern sich immer aus Ideen und Begegnungen und Projekten aus der Vergangenheit schöpfen und dann später, im richtigen Kontext und mit den richtigen Leuten, zu einem Puzzle verweben lassen. War es auch so beim Album «The Ringmaster General»? 

 

Ja, das stimmt. Aber es ist ein bisschen komplexer. Ich arbeite in der Welt des Entertainments. Das Aufkommen des Internets hat die Musikindustrie so massgeblich verändert, dass das Einkommen der Musiker um 80% sank. In anderen Industrien müssen die Firmen bei solchen Marktentwicklungen die Branche wechseln oder aussteigen. Aber wenn du ein Künstler bist, kannst du nicht einfach aussteigen! Du bist, wozu du geboren bist. Also habe ich eine Welt um mich herum erschaffen, von Musik über Fernseh- über Filmprojekte, wobei die Musik dabei immer das Zentrum blieb. Ich verbinde oft anscheinend noch nicht verbundene Punkte. All die Musik, die ich schreibe, und die Zusammenarbeit mit anderen Menschen ist vielschichtig und sehr facettenreich. Ich arbeite zum Beispiel mit dem Komponisten Hans Zimmer und dann mit der Soulsängerin Joss Stone. Alle diese Projekte und Begegnungen inspirieren mich und hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Einige dieser Anregungen oder Inputs lege ich dann in meine eigene Schublade und daraus entsteht dann beispielsweise ein neues Soloalbum. Ich inspiriere und werde ständig inspiriert – deshalb kommt bei mir niemals Langeweile auf.  

Vorhin sagtest du, du seiest in Nordengland in einem Industriegebiet aufgewachsen und glücklicherweise dort rausgekommen, sozusagen «rausgebeamt» worden …

 

… glücklicherweise, denn zu dieser Zeit wurden sämtliche Schiffswerften und Kohleminen geschlossen und es herrschte die grösste Arbeitslosigkeit in der Geschichte Englands.

 

Du hast sehr früh begonnen mit Musik. Was, wenn dein Vater für dich einen Job in der Kohlemine vorgesehen hätte? Wusstest du schon immer, dass du nie einen normalen Job haben wolltest?

 

Als ich etwa 15 war, wusste ich, dass ich Musiker werden wollte. Aber es stimmt, man hat mich in diesem Alter auch mal in eine Glasfabrik geschickt. Das habe ich etwa eine Woche gemacht, hab mir schrecklich die Finger verbrannt und wusste dann auch schon, das ist nichts für mich.

 

Was war der berufliche und soziale Hintergrund deiner Familie? 

Mein Vater begann als Laufbursche in einem kleinen Büro. Dann wurde er in den Krieg geschickt. Nach vier Jahren kam er zurück und hat sich dann bis zur Pensionierung dort hinaufgearbeitet. 

Wie hat dein Vater damals reagiert, als er sah, dass sein Sohn keinen normalen Job aussuchen wird? 

Er hat verstanden, dass ich vom Songwriting und Gitarre spielen besessen war. Mein Musiklehrer hatte zu dieser Zeit bereits ein Treffen mit einer Plattenfirma in London arrangieren können und da erkannte mein Vater, dass die Musik nicht nur eine Träumerei ist, sondern eine realistische Möglichkeit für seinen Sohn sein kann.  

 

Besonders an dieser Tournee ist auch, dass ich drei grossartige Sängerinnen dabei habe, und eine davon ist meine 13 jährige Tochter.

 

 

Du konntest deine Entscheidung, etwas Anderes als dein Umfeld zu wollen und dir selbst deinen Weg zu bahnen, also mit deinem offensichtlichen und schon früh genutzten Talent rechtfertigen?  

Ja, er konnte mein Talent und meine Hingabe erkennen und respektieren.   

Hintergrund dieser Frage ist die Thematik des Nature vs. Nurture (angegeboren oder anerzogen) und damit die Frage, was uns zu dem macht, was wir sind: Sind es unsere Gene und angeborenen Veranlagungen, Talente und Charaktereigenschaften (Nature) oder doch das uns prägende Umfeld der Familie, Freunde und das sozial-politische Umfeld (Nurture), die uns prägen?  

Das ist meiner Meinung nach immer ein Mix von vielen Dingen. Sicherlich ist es die Umgebung, in der du aufwächst: Deine Familiensituation, das sozial-politische Klima in deinem Land, zu deiner Zeit. Doch unabhängig vom Umfeld haben sich mit 8 oder 9 Jahren einige Charakteristiken deiner Persönlichkeit schon gebildet. Diese kann man im Verlauf des Lebens natürlich anpassen und ändern, obwohl das viele Leute nicht tun. Ein Künstler braucht das Talent, Emotionen und Gefühle, die wir alle haben, auszudrücken und auf Papier zu bringen, sodass andere Leute dazu Zugang erhalten, auf eine emotionale Art, die unerschlossen bliebe, wenn man darüber nur spräche. 

Du sagst von dir, dass du mit dem Umzug nach Los Angeles endlich in deinem «wahren Umfeld» angelangt bist. Welche Art von Umfeld und welche Werte willst du deinen Kindern auf den Weg mitgeben? 

Alle meine vier Kinder haben sich bereits der Musik verschrieben. Meine 13 jährige Tochter ist derzeit mit mir auf Tour und meine zwei älteren Söhne sind mit ihrer gemeinsamen Band auf USA-Tour. Ich möchte ihnen vermitteln, dass sie sich selbst treu bleiben sollen und das tun, woran sie glauben. Sie sollen so gut wie möglich in der Gegenwart leben und sich mit ihren wahren Talenten und Interessen einen Weg in die Zukunft erarbeiten. Sie sollen die Reize des Lebens und ihrer Talente und Wünsche erforschen und diese umsetzen und dazu stehen. Findet das Licht und habt keine Angst vor dem Licht! 

Was meinst du genau mit dem Licht? 

In jeder Lebenssituation ins Licht treten. Habt keine Angst, eure Gefühle und eure Meinung offen kundzutun und dafür einzustehen! Dieser Gedanke stammt aus einem Zitat Nelson Mandelas: «Die meisten Leute denken, dass sie Angst haben vor der Dunkelheit, aber eigentlich  haben sie Angst vor dem Licht». Es ist einfach, euch in einer Ecke, in der Dunkelheit und der Anonymität der Gesellschaft zu verstecken, doch wenn ihr den Mut habt, im Licht zu stehen, müsst ihr Farbe bekennen und könnt euch nicht mehr verstecken.   

Spielst du auf deiner derzeitigen Tournee vorwiegend Songs deines neuesten Albums «Lucky Numbers»? 

Ja, aber auch Songs von früheren Alben wie «The Blackbird Diaries» und Sachen von Eurythmics. Besonders an dieser Tournee ist auch, dass ich drei grossartige Sängerinnen dabei habe, und eine davon ist meine 13 jährige Tochter.  

Besten Dank, Dave, für dieses Gespräch, wir freuen uns auf dein Konzert in Zürich. 

Dave Stewart - «Every Single Night» 

 

markusfreiwillis / Do, 26. Sep 2013