«Es ist die falsche Musik für ein Moshpit, aber okay»
Hallo Jeremy, schön dass du hier bist. Hattest du einen schönen Tag?
Ja, wunderschön, es ist so schön hier. Meine ganze Familie ist hier, die arbeiten in Zürich und es ist schön, alle wieder zu sehen. Die Schweiz ist eines der schönsten Länder überhaupt, ich liebe es, hier zu sein.
Lass uns doch gleich über dein neues Album «Heard You Got Love» sprechen.
Jaaa, lass uns darüber reden.
Das Album ist ein bisschen weniger akustisch als deine anderen zwei Alben. Wie sind die Reaktionen dazu und zum neuen Album allgemein?
Die Reaktionen darauf sind bisher sehr gut. Ich mache mir aber keine Gedanken über die Reaktionen zum Album. Die Hauptsache ist, dass ich das Musikmachen geniesse und ich die Musik selber gerne höre. Es sind immer noch Akustiksongs vorhanden, ich habe es nur ein bisschen anders gemacht. «This Town» mit Ladysmith Black Mambazo oder «Chasing Grace» ganz am Ende sind sehr akustisch. Aber ja, ich habe definitiv modernere Produktionsmittel verwendet und Neues ausprobiert. Als Künstler ist es wichtig, dass du ein bisschen herumspielst und neue Sounds, die dich begeistern, entdeckst.
Ja, mal was anderes als vorher.
Genau, da gibt es keine Regeln, solange du nicht etwas rausbringst, das dir selber nicht gefällt. Oft passiert es, dass Künstler in einer bestimmten Phase denken, dass sie sich neu erfinden müssen – aber dieses Album war nicht so. Das Album und die Songs haben immer noch dieselbe Energie drin; meine Energie, nur mit verschiedenen Soundpaletten.
Das Albumcover ist sehr farbig – welche Farbe verkörpert die Stimmung des Albums am besten?
All diese Farben, das ist der Grund, warum die alle so zusammenspielen. Als ich mit dieser Künstlerin angefangen habe, zusammen zu arbeiten, bin ich zu ihrem Studio gegangen und sie hatte etwa 500 verschiedenfarbige Fäden. Dann hat sie mir andere ihrer Arbeiten gezeigt und wir haben die Farben ausgesucht. Wir wollten etwas Strahlendes, Farbiges, Verrücktes. Von Anfang an bestand meine Musik aus vielen zusammen getragenen Dingen; meine Liebe für Folkmusik, zur Gitarre und Mundharmonika. Wir haben Rap in der Gruppe, ein Saxophon – eine Menge verrückter Dinge und du merkst, wie gut alles zusammenklingt. Das ist dasselbe mit dem Albumcover, es repräsentiert meinen Style: nicht nur etwas einzelnem treu zu sein, sondern vielen verschiedenen Dingen, die zusammen wundervoll sind. Die Farben sind einzeln so verrückt, aber alle zusammen sehen so schön aus.
Ja, es ist wirklich tolle Kunst.Der Album Titel «Heard You Got Love» ist auch eine Zeile in dem Song «Head Start». War der Song mit dieser Zeile zuerst da oder der Albumtitel?
Ich habe zuerst den Song geschrieben. Der Albumtitel kam erst am Schluss. Es standen viele Titel zur Auswahl, aber dieser kam immer wieder zu mir zurück. Ich mag die Zeile sehr. Der Song hat einen sehr akustischen Anfang. Das Ende ist etwas ausgeschmückter mit Drums, Rap und HipHop-Drums. Ich kann sagen, dass das Lied die Entwicklung meines Sounds repräsentiert. Es ist definitiv nicht mehr nur Folkmusik. Ich borge mir für meine Lieder etwas Rap aus und andere Styles, die ich mag. Die Zeile ist mir persönlich wichtig. Es fühlt sich so an, als ob Hoffnung und Liebe ein Gut ist, das heutzutage niemand mehr besitzt. Die Welt ist ein hoffnungsloser Ort momentan. Mir wird immer mehr bewusst, dass das, was wir als Band mitbringen – meine Musik, die Freude, Hoffnung, die Liebe –, alles einzigartig und umso wichtiger in einer schwierigen Zeit wird. «Heard You Got Love» ist wie eine Droge: «Hey ich habe gehört du hast Liebe, kann ich ein bisschen davon haben – bitte?».
Hinter dem Song steckt allgemein ein schöner Gedanke. Ich denke, es regt die Leute an, genauer über die Lage, in der wir uns befinden, nachzudenken.
…das hoffe ich.
Es ist ein Irrglaube, dass Leute, die positive Musik machen automatisch glückliche und positive Menschen sind. Manchmal denke ich, es ist umgekehrt.
Eine andere Zeile, die mir aufgefallen ist, ist «How Can I Live With Myself» …
(Unterbricht) … Uuh, in «Chasing Grace» - grossartig!
Ja genau. Aus persönlicher Erfahrung kann ich vermuten, dass die Leute auch an deine Konzerte kommen, weil sie deine Energie und Positivität anzieht. Wenn man aber deinen Liedern genauer zuhört, stellt man fest, dass sie teilweise sehr tiefgründig sind. Auch wenn du eine sehr aufgestellte Person bist und sehr ausdrucksvolle Musik machst, hast du deine stillen Momente und Leiden wie jeder andere auch. Was hilft dir, durch schwierige Zeiten zu kommen?
Du hast recht. Es ist ein Irrglaube, dass Leute, die positive Musik machen automatisch glückliche und positive Menschen sind. Manchmal denke ich, es ist umgekehrt. Ich habe Freunde, die machen die traurigste Musik und das sind dieselben Leute, die immer in einer Bar rumhängen, die ganze Zeit lachen und eine gute Zeit haben, aber sie machen diese dunkle Musik. Ich habe schon immer Songs geschrieben, damit ich mich und damit sich andere besser fühlen können. Ich war auch schon immer philosophisch. Es ist kein glücklicher Zufall, dass ich diese Lieder der Freude und Hoffnung schreibe. Die kommen alle von meinen eigenen Leiden in Zusammenhang mit dem Glücklichsein, zufrieden zu sein, zu lernen, wie ich mit mir selbst okay sein kann. Das ist das, was diese Zeile «How Can I Live With Myself» sagt: wie kann ich in meiner eigenen Haut zufrieden sein? Dann gibt es eine Zeile «Talk to me, honestly» - also ich muss mit mir selbst reden, ehrlich sein und «hopefully i can keep chasing grace». Es ist schwierig, in einem für sich komfortablen Platz zu leben – in einem emotional komfortablen Platz. Dieser Platz existiert für niemanden, denke ich. Einige Leute sind abhängig von etwas, andere nicht, dafür haben sie in einem anderen Bereich Probleme. Aber wir können unser «besseres Ich» immer verfolgen: «Chasing Grace».
Auf dem Album gibt es einen Song, der heisst «Wake Up». Darin gibt es eine Zeile, die ist sehr ähnlich. (Jeremy singt): «Wipe away my tears, i’m doing fine. After all it’s about the climb, I’m done sitting around». Der Song ist ebenfalls am Ende des Albums und es schreiben mir so viele Leute wegen diesem Song … (er sucht den Song auf Spotify und spielt ihn ab):
«Waved away every dream, i wasted all, oh I’ve either seen them fall, or watched them float away».
Diese Zeilen – das ist die Geschichte von jedem.
«Keep my fear at bay don’t need it at all»
Ich brauche meine Ängste nicht. Jeder muss jeden Tag kämpfen, damit die Ängste an ihrem Platz bleiben.
«I see them growing tall»
Ich sehe sie wachsen. Da sind Blumen um mich herum und dann die Ängste dazwischen, die hochwachsen. Und dann die nächste Zeile «It’s been my mistake»; es ist mein Fehler, wenn ich meine Ängste weiterwachsen lasse und sie nicht abschneide und sie deshalb immer grösser werden können. Ich baue solche Messages seit dem ersten Album in meine Songs ein. Auf meinem ersten Album gibt es ein Lied «Power». Er ist sehr kitschig – wenn du meine Musik hasst, dann wirst du den am meisten hassen, wenn du meine Musik magst, dann wird das einer sein, den du wahrscheinlich am meisten magst. Der Text von «Power» nennt die Dinge beim Namen. Viele Leute wollen es einfach nicht hören. Leute, die dieses Lied kritisieren, sind bestimmt nicht an meinen Shows. Die sitzen in Bars und machen andere Dinge. Leute, die an meine Shows kommen, sind hier wegen der Freude, es gibt ihnen Energie und vielleicht haben sie auch eine gewisse spirituelle Erfahrung an meinen Shows, denn das ist es, was die Shows sind. Es geht nicht nur um die Musik, sondern auch um das Zusammensein, die Sorgen vergessen, Verantwortung übernehmen – ich bin da sehr streng, und die Leute verstehen das durch meine Musik, auch wenn es nur im Unterbewusstsein passiert.
Das denke ich auch. Nur schon das Gefühl, mit hunderten von Menschen aus demselben Grund in einem Raum zu sein, gibt den Leuten etwas. Man verbindet sich durch den Künstler, mit der Musik, mit den anderen Leuten im Raum und du weisst, dass jeder um dich herum etwa dasselbe fühlt wie du in jenem Moment. Du bist in dieser Bubble für eine Weile.
Ja, und das spüre ich auf der Bühne. Das ist einer der Gründe, warum ich für eine ganz lange Weile weiter performen werde. Es ist nicht nur Musik für mich, es ist Arbeit – tatsächlich Heilarbeit. Ich arbeite mit vielen interessanten Menschen zusammen; Coaches, spirituelle Führer, und ich singe nie über Spiritualität, ich halte das der Musik fern, aber kann hoffentlich den Leuten helfen und mir selbst natürlich auch, damit ich in meinem Leben in die richtige Richtung wachsen kann. Ich lerne, wie ich irgendwann ein richtig erfülltes Leben leben kann und versuche, den Leuten, die auch auf diesem Weg sind, zu helfen. Das sind viele, denn mich erreichen immer wieder schöne Nachrichten von Menschen, die sich auf diesem Weg befinden. Viele Leute sind total verloren. Vor allem hier in Europa – ich weiss nicht warum, ihr habt es vielleicht zu einfach hier.
Ich denke wirklich, dass der deutschsprachige Raum in Europa sehr verschlossen ist, wenn du die Leute aber einmal hast, sind sie voll dabei.
Ich denke, die Leute reden viel zu wenig darüber, wenn sie etwas beschäftigt oder wenn sie depressiv sind. Es ist schwierig, sich das einzugestehen, man schämt sich und es ist einfacher so etwas für sich zu behalten, als das jemandem anzuvertrauen.
Ja, mir fällt das auch auf, vor allem in den deutschsprachigen Ländern. Ich habe das Gefühl, dass ich mich hier mit meiner Arbeit mehr bemühen muss. In Österreich habe ich mich gefühlt wie ein Coach, der sein Team an der Hand nehmen muss, um ein Spiel zu gewinnen, weil sie sich davor fürchten. Wenn ich an anderen Orten spiele – in Irland oder Schottland –, ist diese Meute energiegeladen, von dem Moment an, wenn wir die Bühne betreten. Sie haben ein offenes Herz, singen, das liegt in ihrer Kultur, dass sie schreien und laut sind. Schotten und Iren sind sehr direkte Leute, sie sagen was sie denken, aber hier ist das Gegenteil der Fall. In Wien habe ich meiner Band gesagt, dass sie sich daran erinnern sollen, wo wir spielen. Davor waren wir in Prag, die Leute da sind wild, die haben sogar ein Moshpit gemacht – es ist die falsche Musik für ein Moshpit, aber okay, fuck it, let’s go. Vor Wien habe ich also mein Team gewarnt, dass wir es langsam angehen müssen und es nicht so, wie in Prag sein wird. Da denke ich wirklich, dass der deutschsprachige Raum in Europa sehr verschlossen ist – hingegen, wenn du die Leute aber einmal hast, sind sie voll dabei, du musst nur mehr Arbeit reinstecken. Du startest bei Null und arbeitest dich langsam durch das Set zu einer 10/10. Dafür ist es umso schöner, wenn du das Publikum bei der 10 hast. Schottische Leute, die kommen an das Konzert und haben am Tag darauf wieder ein 10/10-Abend in einem Pub. Hingegen die Leute hier in der Schweiz, sie kommen nur zu meinem Konzert und das ist das Highlight der Woche für viele.
Viele Leute hier sehen die Konzerte auch als Social Event, was es wahrscheinlich ein bisschen schwieriger macht. Sie denken nicht «Ah cool, heute gehe ich an ein Konzert», sie denken auch «Oh super, ich treffe meine Freunde wieder», deshalb ist es im Saal oft laut, auch wenn der Künstler längst spielt.
Oh ja, dann trinken sie noch eins …
Ja genau. Hey, wir kommen bereits zum Schluss… Ich habe noch ein paar «Quick Fire Questions» für dich.
YAA!
Das Erste, das ich mache, wenn ich in den Tourbus einsteige …
Als Erstes bereite ich mein Zimmer vor. Ich hole mir einen Wasserkocher, damit ich nach der Show einen Tee machen und meinen Hals steamen kann. Ich kaufe auch Dinge, die wir im Bus brauchen können. Auf dieser Tour habe ich z. B. einen Nutribullet und einen Eierkocher gekauft.
Der schönste Traum, den ich je hatte, war …
… von singenden Walen unter Wasser. Der Song «Underwater Blues» auf meinem zweiten Album handelt von diesem Traum. Ich sank tiefer und tiefer und war von Walen umgeben, sah das Licht verschwinden und das tiefblaue Wasser. Ich konnte atmen und unter mir waren die Wale und sie haben alle so schöne Lieder gesungen. Es war ein sehr friedlicher Traum und ich habe diesen Song dann geschrieben. Ich glaube das ist bisher der schönste Traum, den ich je hatte.
Wasser macht mich …
… lebendig.
Ich schreibe die besten Lieder, wenn ich …
… unter Druck bin.
Zum Schluss; gibt es eine Frage, die du immer schon gerne beantworten möchtest?
Nein, die gibt es nicht. Das war ein echt gutes Interview, ich mag es nicht, wenn Leute einfach nichts über mich wissen und das zur Hand nehmen, was sie im Internet über mich lesen. Das merkt man sofort mit «Ich habe gelesen, dass du …» und dann erwähnen sie etwas, was du ein einziges Mal vor fünf Jahren gesagt hast. Danke für deine Zeit.
Ich danke dir, geniess die Show nachher.
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* Titelbild: Archiv Bäckstage / ©Sandra Rohrer (sandrarohrerphotography.com)