Ein Sommerabend mit Fussball, Gewitter und AC/DC im Letzigrund

Konzertkritik: AC/DC in Zürich
Bildquelle: 
Bäckstage

Vor über 50 Jahren gründeten in Australien zwei Brüder und eine Handvoll Freunde eine Band, die längst einen fixen Platz im Rock-Olymp besitzt: AC/DC locken immer noch 50‘000 Menschen ins Letzigrundstadion. Eindrücklich ist das selbstredend. Aber kann eine Band mit Altersschnitt irgendwie in den mittleren 60ern noch überzeugen?

 

Bevor aber die Legenden die Bühne betreten, ist Fussball das Thema. Die Schweiz spielt an der Europameisterschaft gegen Italien, besiegt die Squadra Azzura fast pünktlich zu den ersten Akkorden von «If You Want Blood (You’ve Got It)» mit 2:0 und zieht in das Viertelfinal ein. Leider weint auch der Himmel vor Freude mit, aber zum Glück nur kurz. Dann dröhnt ein Auto, auf dem Screen im Bauch der Bühne folgt man der visuellen Umsetzung des Wagens, bis er ungebremst in die Arena springt und Gitarrist Angus Young in roter Schuluniform erscheint. Schnell haut er in die Gitarre, das Schlagzeug folgt und die ganze Band ist sofort präsent. Auffällig ist, dass die Band von Beginn an sehr sauber klingt. Wobei, bei AC/DC ist das praktisch immer so. Da ist der Anspruch an die Qualität schon sehr hoch.

 

Die Aura eines Spitzbuben

 

Zehntausende Hände schiessen in die Höhe, bejubeln die Rock-Urgesteine und feiern die Hits der Band. «Back in Black» oder «Thunderstruck» sogar bereits in den ersten vier oder fünf Songs. Mit so vielen Hits ist es locker möglich, so früh Kracher zu spielen. Sänger und Rückkehrer Brian Johnson scheint bester Laune und es ist ihm nichts von gesundheitlichen Problemen anzumerken. Es gab in den letzten Jahren Probleme mit seinen Ohren, als lange unklar war, ob er je wieder Konzerte spielen kann, ohne die Angst im Nacken, sein Gehör zu verlieren. Doch jetzt darf er wieder mit den alten Weggefährten die Fans auf der ganzen Welt mit handgemachter Rockmusik verwöhnen. Johnson strahlt die Menschen an, lacht, gibt die eine oder andere Rockerpose und sein Gesang ist knackig und auf dem Punkt. Irgendwie hat er die Aura eines Spitzbuben, natürlich im positiven Sinn. Er kann wieder tun, was ihm so viel bedeutet, und er liebt es offenbar. Er lässt sich feiern, schlendert immer wieder ans Ende des Steges und interagiert mit den Fans, schaut auf zehntausende Hände und lächelt entspannt.

 

Das Zentrum eine AC/DC-Show ist aber das letzte verbliebene Gründungsmitglied, Angus Young, dessen Gitarrenspiel und natürlich die Uniform das Prädikat «Kult» diskussionslos verdienen. Der Mann ist 69 Jahre alt und spielt noch immer mühelos gute zwei Stunden auf sehr hohem Niveau. Es ist allerdings festzustellen, dass die Pausen zwischen den Songs etwas länger werden. Aber das haben sich AC/DC nach über 50 Jahren redlich verdient. Generell haben es Fans nicht so einfach, immerhin sind fast zehn Jahre seit dem letzten Konzert vergangen. Dafür stehen jetzt im Publikum euphorische Menschen jeglichen Alters. Da sind Söhne und Töchter mit rot leuchtenden Teufelshörnern, Enkelkinder mit leuchtenden Augen, Grosseltern mit Tour-Shirts, Tanten und Eltern mit den Händen in der Höhe, um generationsübergreifend und gemeinsam (vielleicht zum letzten Mal) den markanten Sound der Band zu hören. Bei «You Shook me all Night long» hält jemand sogar eine schwarze Krücke in die Höhe. Wenn AC/DC ihre Hymnen in den Nachthimmel feuern, sind Verletzungen offenbar wie weggeblasen.

 

Fotos: Bäckstage / ©Patrick Holenstein

 

Sie alle wollen ihre Lieblinge sehen. Wollen sehen, wie Angus über die Bühne springt und seinen Signature Move zelebriert, das Hüpfen auf einem Bein, während er Gitarre spielt. Bei «Let There Be Rock» lässt sich Angus ausgiebig feiern und spielt ein langes Solo, ein Programmpunkt, der bei keiner AC/DC-Show fehlen darf. Er steht dabei zentral auf dem Steg. Plötzlich hebt sich aus der Bühne eine Plattform und stemmt Angus in die Höhe. Der Mann in der roten Schuluniform spielt sich die Seele aus dem Leib, dreht sich sogar auf dem Boden liegend, während er die Gitarre bedient. Dazu jagen Kanonen Konfetti in die Luft. Das Publikum applaudiert und entlässt Angus von der Bühne. Eine eindrückliche Perfomance, die nie an Power verliert.

 

Zwei Kritikpunkte sind aber nicht zu übersehen bzw. überhören. Bei allen künstlerischen Qualitäten fehlt der Band etwas der ganz besondere Live-Charakter, dieses Quentchen Improvisation. Damit ist nicht gemeint, dass die Band schlecht spielt, im Gegenteil, sie liefert live zuverlässig ab. Aber die Songs klingen in der Struktur wie auf CD, grosse Variationen gibt es nicht, auch die Setlist ist praktisch immer identisch. Handwerklich bewegen sich AC/DC aber natürlich auf sehr hohem Niveau und sind ein Genuss für musikaffine Menschen. So hört man gerne darüber hinweg, denn die Klangqualität ist hervorragend.

 

AC/DC verstehen ihr Handwerk immer noch

 

Was aber gar nicht überzeugt, ist die Bühnenkonstruktion. In der Vergangenheit zeigten sich AC/DC hier kreativer. Das Bühnendesign ist lahm wie ein Schluck lauwarmes Wasser. Ein neutraler, viereckiger Aufbau mit Screens im Bauch sowie auf beiden Seiten. Nicht einmal Teufelshörner wie bei früheren Tourneen umranden die Stage. Selbst Rosie ist nicht mehr physisch bzw. als überdimensionale Gummipuppe bei «Whole Lotta Rosie» dabei, sondern nur noch animiert auf den Screens. Schon etwas enttäuschend, gerade wenn man die immer höheren Ticketpreise bedenkt. Bei allem Respekt vor dem musikalischen Werk der Band, hier wäre etwas mehr als «nur» Konfettiregen schon nicht falsch gewesen. Ok, das Feuerwerk zum Schluss soll als kleines Gegenargument gelten. Man kann sich durchaus auf die Kraft der Musik verlassen, aber steigen die Preise immer weiter und die Show wird reduzierter, ist irgendwann die Balance nicht mehr gegeben.

 

Traditionell endet ein AC/DC-Konzert mit «For Those About To Rock (We Salute You)» und den wuchtigen Kanonenschüssen, die bei jeder Show der Australier zu unterstreichen scheinen: AC/DC sind in der Stadt. Musikalisch darf man dieser in Würde ergrauten Rocklegende bedenkenlos salutieren und es ist wunderbar, dass die Band nach so vielen Rückschlägen in der Vergangenheit noch wie ein gut geölter (Rock `n` Roll)-Train funktioniert. Der Jubel im Letzigrund ist hundertprozentig verdient. Damit ist die Einstiegsfrage klar und ohne Zweifel mit einem Ja beantwortet – AC/DC verstehen ihr Handwerk immer noch.

 

AC/DC sind auch nach über 50 Jahren Bandgeschichte eine sichere Bank. Musikalisch liefert die Band und lässt keine Wünsche offen. Nur die Bühne ist nicht mehr so spektakulär, aber das ist ein kleiner Wehrmutstropfen. AC/DC – we salute you!

Konzertinfos

 

  • Band: AC/DC
  • Datum: 29. Juni 2024
  • Location: Letzigrund Stadion
  • Genre: Hard Rock, Rock
  • Publikum: 50‘000 Menschen

 

Patrick Holenstein / So, 30. Jun 2024