Weniger Rock im Ring
Zur fünften Ausgabe haben sich die Macher vom Rock the Ring-Festival im Zürcher Oberland einige Neuerungen einfallen lassen. So gab es dieses Mal eine zusätzliche kleine Bühne, auf der sich die etwas unbekannteren Bands präsentieren konnten. Das Bezahlsystem wurde radikal geändert - Bargeld wurde nicht mehr akzeptiert. Den Zweifränkler konnte man nicht mal für das Toitoi-WC zücken, stattdessen kam eine spezielle Karte zum Einsatz, die vorher aufgeladen werden musste und alles andere als gut ankam.
Die grösste Änderung jedoch stellte die Aufteilung der Festivaltage dar. Wie bereits letztes Jahr fand auch jetzt wieder ein Abend für die Pop- und Hiphop-Fans statt, dieses Mal der Donnerstag. Da das in Kombination mit dem auch sonst nicht wahnsinnig rockigen Line-up auf den Missmut des Publikums stiess, wurde kurzerhand noch der Mittwoch drangehängt und die Böhsen Onkelz als Headliner angekündigt. Ein geschickter Zug. Die Fans strömten in Scharen nach Hinwil, um ihre Idole zu sehen. Keine andere Band an dem ganzen Festival konnte so viele Anhänger vor der Bühne versammeln wie die Onkelz.
Mitgesungen und mitgegröhlt
Nun ist die Band bekanntermassen umstritten. Und obwohl sich die Böhsen Onkelz schon sehr lange vom Image der Rechtsrockband abgewandt haben, zeigten viel zu viele Besucher, dass der Vorwurf nicht aus der Luft gegriffen ist. Was sich aber – von der politischen Gesinnung abgesehen – vor allem zeigte: Die Onkelz haben wahnsinnig treue Fans. Jedes Wort, jeder Ton wurde mitgesungen und mitgegrölt, und die Fans lagen sich dabei in den Armen, schunkelten und jubelten.
Als Nicht-Fan kann man diesen Pathos kaum verstehen. Man steht eher staunend daneben und fühlt sich ein bisschen ausgeschlossen, wenn Kevin Russell und Co. von der «grossen Familie» sprechen. Musikalisch kann man sich nicht beklagen. Mehr nicht. Mehr braucht eine Band wie die Böhsen Onkelz aber auch nicht. Sie lebt von der grossen wechselseitigen Energie, die zwischen Bühne und Publikum herrscht.
Vor dem grossen Headliner standen übrigens ein paar alte Bekannte auf der Bühne: Nothing More und In Extremo heizten dem Publikum schon mal kräftig ein - was bei 30 Grad aber auch nicht unbedingt schwer war.
Da war es am Freitag – dem Tag nach dem Popabend mit Jan Delay, Bligg & Marc Sway und Co. – schon deutlich frischer. Den Auftakt machte Coreleoni, die Zweitband von Gotthard-Gitarrist Leo Leoni, die schon seit der Gründung vor ein paar Monaten für ausverkaufte Clubs und Begeisterungsstürme in der Hardrockgemeinde sorgt. Die grossen Massen kamen aber trotzdem erst etwas später. Während die Southern Rockband Black Stone Cherry noch eher etwas jüngeres Publikum anzog, standen mit Manfred Mann’s Earth Band, Uriah Heep (die schon einmal am Rock the Ring auftraten) und Simple Minds schon etwas länger bekannte bis legendäre Bands auf der Bühne. Dafür standen Black Stone Cherry und Uriah Heep in direkter Konkurrenz zur Schweizer Fussballnati, welche an diesem Abend an der WM gegen Serbien spielte. Das Spiel wurde am Rock the Ring live übertragen, und vor der grossen Leinwand standen und sassen eine Menge Leute, die vom Konzert währenddessen natürlich kaum etwas mitbekamen. Das Publikum jedenfalls war ein komplett anderes als noch am Mittwoch, und die Stimmung war merklich ruhiger und weniger geladen.
Finaltag mit Santana
So war es auch am finalen Tag, dem Samstag (bisher war es jeweils der Sonntag). Auch hier starteten mit Saint City Orchestra und The Darkness etwas jüngere Bands auf der Bühne, bevor wiederum legendäre Acts das Festival entern sollten. Saint City Orchestra aus St. Gallen vermochten das noch spärlich gesäte Publikum mit ihrem fröhlichen Irish Rock gut auf den Tag einzustimmen. Und The Darkness aus England brachten die Besucher mit ihrem glamigen Hardrock und den speziellen Outfits nicht nur zum Feiern und Jubeln, sondern auch immer wieder zum Lachen – und besonders bei ihrem grössten Hit «I Believe in a Thing Called Love» zum Mitsingen.
Der Rock pausierte dann für eine Weile. Mit Level 42 («Lessons in Love») wurde es funkig, mit UB40 («Red Red Wine») gab es eine Ladung Reggae auf die Ohren, und mit dem Stargitarristen Santana und seiner Liveband mitreissende Latin-Rhythmen. Wer es etwas härter mag, musste sich also etwas länger gedulden. Genauer gesagt bis um 23:30 – dann nämlich stand die schottische Hardrock-Band Nazareth auf dem Programm. Nach anfänglichen Tondefiziten (Gitarre und Mikrophon waren viel zu leise) lieferten diese dann auch richtig ab. Obwohl Sänger Carl Sentance (kurzzeitiger Krokus-Sänger) erst seit 2015 dabei ist, hätte man stimmlich meinen können, Dan McCafferty stehe noch hier. So konnten auch Langzeitfans in alte Zeiten eintauchen und Hits wie «Love Hurts» oder «Hair of the Dog» feiern.
Schon wieder ist also ein Rock the Ring-Festival vorbei. Ganz so rockig war es dieses Jahr leider nicht. Dazu kam, dass das neue Cashless Bezahlsystem alles andere als auf Begeisterung stiess und nach wie vor Kommerzielles im Vordergrund stand. Bemerkenswert viele Besucher machten gegenüber Bäckstage klar, dass dies wohl ihr letztes Rock the Ring sein werde, wenn es in diese Richtung weiter geht. Logistisch stimmte dafür wie immer alles. Verhungern musste definitiv niemand (vorher noch eher verdursten, wenn man von den Wartezeiten an der Bar ausgeht, die mit dem Cashless System noch verlängert wurden), wer mit einer Band gerade nichts anfangen konnte, konnte sich in den zahlreichen Shops vertun oder eine Runde mit dem Helikopter oder dem Riesenrad drehen. Auch die kleine Bühne sollte auf jeden Fall beibehalten werden. Sie ist für unbekanntere Bands eine tolle Möglichkeit, um sich einem breiten Publikum präsentieren zu können.
Von Anfang an hat das Rock the Ring-Festival mit grossen Namen im Lineup aufwarten können. Hoffentlich bleibt das so – aber bitte wieder mit etwas mehr Rock im Ring!
Besten Dank für die freundliche Genehmigung für die Fotos: Lars Müller / Metalnews.ch / Rocknews.ch