Poetische Odyssee für einen Kaffee

Filmkritik: Oh Boy
Bildquelle: 
Filmcoopi

Im grossstädtischen Moloch namens Berlin wohnt und lebt Nico (Tom Schilling, «Crazy», «Napola»). Der Endzwanziger hat sein Jura-Studium hingeschmissen und lebt seitdem träumerisch in den Tag hinein. Als sich eines Morgens seine Freundin (Katharina Schüttler, «Lila, Lila», «What a Man») von ihm trennt, beginnt für Niko eine melancholische Suche nach einer Tasse schwarzem Kaffee. Er trifft dabei auf einen soziopathischen Psychologen (Andreas Schröders), eine längst vergessene Verehrerin (Friederike Kempter, «Kokowääh», «What A Man»), einen selbstverliebten Schauspieler (Arnd Klawitter, «U-571“), eine liebende Grossmutter und seinen ehrgeizigen Vater (Ulrich Noethen, «Comedian Harmonists», «Der Untergang»), der Niko schliesslich den Geldhahn zudreht.

 

 

Die künstlerisch anmutende Umsetzung in Schwarz-Weiss erinnert nicht nur an alte Klassiker aus der Nouvelle Vague, auch Würdigungen an Woody Allen werden erkennbar, besonders durch den jazzigen Soundtrack. Trotz dieser Hommagen, schafft es Jan Ole Gerster einen individuellen Stil in seinem Erstling zu finden, bei dem Form und Inhalt perfekt harmonieren. Gerster erzählt die Geschichte in kleinen, abgeschlossenen Episoden, für die er sich die nötige Zeit nimmt. Die Erzählung gewinnt dadurch an Leichtigkeit und jede Folge an Bedeutung. Der passiv agierende Hauptcharakter Niko wird aufgrund der Interaktionen mit seinem Umfeld für uns Zuschauer greif- und begreifbar. Niko drängt sich nicht in den Vordergrund, sondern wird erst von den Nebenfiguren ins Geschehen gerückt. Tom Schilling meistert die Ambivalenz zwischen distanzierter Neugierde und enttäuschter Verwunderung über seine Mitmenschen und deren Merkwürdigkeiten ausgezeichnet.

 

Streifzug durch den Zoo

 

Ob einige der Figuren vielleicht ein wenig zu überzeichnet wirken oder nicht, lässt sich streiten. Sicher ist jedenfalls, dass der auf den Figuren aufbauende skurille Humor dem Film eine satirische Note verleiht. So kommt es einem vor, als würde Niko durch einen Zoo streifen und immer mal wieder vor einem Gehege innehalten, sich mit den darin gefangenen Insassen austauschen, bis ihn die Suche nach dem Kaffee weiterlotzt. Mit jeder dieser Begegnungen öffnet sich Niko ein wenig mehr und kommt dadurch seinem eigenen Platz in der Welt näher.

 

Grossstadtneurotiker, Nostalgiker, Tagträumer und sentimentale Zyniker werden an dieser zeitlosen poetischen Odyssee ihre Freude haben, die in eleganter Art und Weise über das Leben reflektiert und zum Flanieren einlädt.

 

  • Oh Boy (DE 2012)
  • Regie & Drehbuch: Jan Ole Gerster
  • Besetzung: Tom Schilling, Marc Hosemann, Friederike Kempter, Michael Gwisdek
  • Laufzeit: 82 Minuten
  • Kinostart: 10. Januar 2013

 

Tanja Lipak / Do, 10. Jan 2013