Freundinnen in Zeiten des Umbruchs

Moviekritik: Ginger & Rosa
Bildquelle: 
www.filmcoopi.ch

Ginger und Rosa waren bereits vor ihrer Geburt dazu bestimmt, Freundinnen fürs Leben zu werden. Ihre Mütter schrien sich zusammen im Kreissaal die Seelen aus dem Leib, die Väter zitterten gemeinsam im Wartesaal. 17 Jahre später - wir befinden uns nun Anfang der 60er Jahre - sind die Mädchen unzertrennlich. Von der ersten Zigarette bis zum ersten Kuss wird alles geteilt. Und obwohl ihre Verbundenheit unzerstörbar scheint, machen sich mit der Zeit erste Risse bemerkbar. So setzt die konstante nukleare Bedrohung und das Wettrüsten der feinfühligen Ginger (Elle Fanning, «Somewhere») zu, während sich die unbekümmerte Rosa (Alice Englert, «Beautiful Creatures») vermehrt den Männern zuwendet. Während Ginger ihre Freizeit nun öfters auf Protestmärschen und an Versammlungen verbringt, lässt sich Rosa auf ein amouröses Abenteuer ein. Dieses Auseinanderdriften verstärkt sich mit den anhaltenden Beziehungsproblemen von Gingers Eltern. Für die junge rothaarige Poetin Ginger bricht deshalb auf einmal nicht nur eine Welt zusammen, sondern gleich drei Welten miteinander.

 

 

Bild 1: Ginger & Rosa vertreiben sich die Zeit gerne auf einem brachliegenden Industriegelände. / Bild 2: Gingers Vater rudert mit den beiden Freundinnen auf das Meer und mitten in die Krise. (Mit Maus über Bild fahren) 

 

Die britische Filmemacherin Sally Potter («Orlando», «The man who cried») war Anfang der 60er Jahre 13 Jahre alt, genauso alt wie Hauptdarstellerin Fanning zum Zeitpunkt der Dreharbeiten. Dass Potter diese Zeit selbst miterlebt hat, zeigt sich durch ihre beeindruckend skeptische Sicht auf die gesellschaftlichen und sozialen Umbrüche. Während beispielsweise Gingers Vater Roland (Alessandro Nivola, «Laurel Canyon», «Junebug») seinen Idealen von Freiheit und Gerechtigkeit nachrennt, bleibt Mutter Natalie (Christina Hendricks, «Mad Men», «Detachment») zuhause am kürzeren Hebel und muss ihre künstlerischen Ambitionen an den Nagel hängen. So zeigt uns Potter den faszinierenden Kosmos der künstlerischen, intellektuellen und politisch engagierten Szene anfangs der 60er Jahre mit all ihren Ecken und Kanten. Mittendrin im Wirrwarr von Frieden, Gleichberechtigung und Selbstfindung muss Ginger, auf die sich die zweite Hälfte des Films stärker konzentriert, ihren Weg finden.

 

Politische Aktivitäten als Form der Verarbeitung

 

Fanning meistert ihre Rolle dabei bravourös. Sie spielt die nachdenkliche Ginger mit sehr viel Authentizität und Verletzlichkeit. Ihr Schauspiel kippt nie in jene stereotypische Darstellung des traurigen, introvertierten, künstlerisch begabten Mädchens, das sich nach Anschluss sehnt. Ginger geht ihren Weg, trifft ihre Entscheidungen, auch wenn das Ganze ihr manchmal zu viel wird. Faszinierend erscheint dabei Gingers Fähigkeit, die persönlichen Dinge so zu nehmen wie sie sind und zu versuchen das Beste daraus zu machen, während sie bei den politischen Themen all ihre Energie einsetzt. Dass ihre politischen Aktivitäten auch eine Form der Verarbeitung darstellen, wird im Verlauf der Geschehnisse deutlicher, ohne aber jemals Gingers politisches Interesse anzuzweifeln. Genauso ungekünstelt wirken die verwendeten Wohnungen, Ateliers, Versammlungen, Kostüme und Requisiten. Auch wenn «Ginger & Rosa» per Definition ein Kostümfilm ist, wurden bei der Kleidung nur bestimmte Akzente gesetzt. Die zögernde Entzweiung der Freundinnen beginnt anfänglich mit der unterschiedlichen Interessensausübung und wird gegen Ende auch mit der Kleidung deutlich. Dementsprechend ist Rosa ab einem Zeitpunkt nur noch in stilprägend schwarzer Kleidung der Beatniks zu sehen, genauso wie Gingers Vater Roland während der gesamten Handlung.

 

Bild 1: Zwei Freundinnen in einer Zeit der atomaren Krise. Da besucht man schon mal eine Demo. / Bild 2: Gingers Familie, allesamt mit der gleichen radikalen Gesinnung und somit Vorbild für den Teenager. 

 

Die beachtenswerte Bildkomposition kommt ebenso harmonisch mit den inneren Zerwürfnissen der Protagonistinnen daher. Während zu Beginn Farben, Haare und schnelle Schnitte das angenehm cineastische Bild füllen, um die Leichtigkeit und den Rausch der Jugend einzufangen, kommt in der zweiten Hälfte ein gewisser Stillstand auf. Die Fassade bröckelt. Der Ausbruch einer Katastrophe wird sanft, aber konstant hergeleitet. So entlässt uns Potters neustes Werk zum Schluss hoffnungsvoll, aber bekümmert zurück, völlig aufgesogen vom kaputten Zustand einer einst so tiefen Freundschaft. «Ginger & Rosa» ist ein träumerisch und realistisch zugleich agierendes «Coming-of-Age»-Märchen, das die Kehrseite gewisser Ideale schonungslos offenbart. Ein bittersüsses Werk, das noch lange nach dem Kinobesuch in unseren Köpfen marschiert.

 

  • Ginger & Rosa (2013)
  • Regie & Drehbuch: Sally Potter
  • Besetzung: Elle Fanning, Alice Englert, Annette Bening, Allesando Nivola, Christina Hendricks
  • Dauer: 90 Minuten
  • Ab 11. April im Kino  

 

Tanja Lipak / So, 14. Apr 2013