«In der Redaktion bin ich wohl der grösste Kindskopf»
Viktor Giacobbo, der erfolgreichste Schweizer Satiriker, hat Bäckstage im Casinotheater Winterthur empfangen. In seinen neusten satirisch-dokumentarischen Film «Der grosse Kanton» behandelt er die Idee, die Bundesrepublik Deutschland als 27. Kanton an die Schweiz anzuschliessen. Im Gespräch verriet er uns, wie die Produktion ablief und wie er an die zahlreichen prominenten Interviewpartner kam. Natürlich durften auch Fragen zur Late-Night Show «Giacobbo / Müller» nicht fehlen und Musiktipps gibt es vom 61-jährigen auch.
Angenommen, Deutschland würde tatsächlich als weiterer Kanton an die Schweiz angeschlossen, was könnten Schweizer von den Deutschen übernehmen oder lernen?
Die Schweizer könnten möglicherweise einen Teil des Deutschen politischen Systems übernehmen. Zum Beispiel die parlamentarische Demokratie, da ich unsere immerwährende grosse Koalition für ein Auslaufmodell halte. Es hat sicher viel Gutes in der Schweiz bewirkt, mittlerweile ist es jedoch nicht mehr zeitgemäss. Die Möglichkeit bei nationalen Wahlen zu bestimmen, ob die Regierung bleibt oder nicht, finde ich einen grossen Vorteil, den ein Stimmvolk haben kann. Wir haben dies ja nicht. Egal was man wählt – alle grossen Parteien sind in der Regierung. Die direkte Auseinandersetzung, also die Streitkultur, könnten die Schweizer auch lernen.
Und was könnten die Deutschen von den Schweizern lernen?
Sie könnten von der direkten Demokratie lernen und das mit ihrem parlamentarischen System verbinden. Es wird zwar oft behauptet, die palamentarische Demokratie sei mit der direkten Demokratie unvereinbar. Ich jedoch finde nicht, dass dies zwangsläufig sein muss. Ich habe bei den Interviews (Recherche und Dreharbeiten für «Der grosse Kanton», Anm. d. Red.) gespürt, dass die Deutschen dies auch gemerkt haben und unsere direkte Demokratie bewundern. Frank Walter Steinmeier hat gesagt, dass sie in Deutschland künftig bei der Planung von Grossprojekten das Volk frühzeitig befragen müssten. Sie haben nun den Bau des Flughafens in Berlin und Stuttgart 21 erlebt, beides Grossprojekte, bei denen es immense Probleme gab. Bei uns entsteht die Gotthard-Durchmesserlinie ohne grössere Probleme, weil das Volk schlicht darüber abgestimmt hat.
Für den Film haben sie sehr viele Leute interviewt. Wie lange hat die Produktion schlussendlich gedauert?
Die war sehr kurz. Die Interviews und Drehs haben wir im Sommer 2012 gemacht, im Winter geschnitten und im Spätfrühling lief er bereits in den Kinos. Seit wenigen Wochen ist auch die DVD in den Läden und man kann den Film an den entsprechenden Stellen herunterladen. Es war somit eine sehr schlanke Produktion. Ich wollte das bewusst so machen, damit mir niemand reinredet. Deshalb haben Ruth Waldburger und ich den Film auch selbst finanziert. Ich habe gar keine Fördergelder beantragt. Wir haben jedoch vom SRF Unterstützung erhalten. Das ging fast nicht anders, da ich Zugriff auf das Filmarchiv benötigte.
Das Drehbuch war erst wirklich fertig, als wir mit dem Schnitt begonnen haben. Danach war es jedoch sehr exakt und bis ins letzte Detail ausgeführt. Zu Beginn gab es nur das Konzept und kein Drehbuch. Es war also Work in Progress.
Gab es viele Absagen für die Interviews? Es hat ja unter den Gesprächspartnern sehr viele hochkarätige Personen.
Wir erhielten relativ wenige Absagen. Und wenn es Absagen gab, dann kamen diese meist aus Deutschland. In der Schweiz kennen mich viele Leute und da habe ich auch leichteren Zugang zu denjenigen Personen, die ich interviewen wollte. In Deutschland mussten wir das organisieren. Mit Gerhard Polt und Elke Heidenreich bin ich befreundet. Gerhard Polt vermittelte mich dann weiter zu Frank Walter Steinmeier. Den Termin mit Joschka Fischer erhielt ich auf Vermittlung seiner Frau Minu Barati, die Filmproduzentin ist. Gregor Gysi habe ich eine Mail in den Bundestag geschickt und erhielt sofort positive Rückmeldung. Cem Özdemir konnte ich über den ehemaligen grünen Oberbürgermeister aus Konstanz, Horst Frank, den ich auch kenne, organisieren. Selbstverständlich habe ich auch Angela Merkel und Horst Seehofer angeschrieben resp. ihre Pressestellen. Von ihnen erhielt ich jedoch keine Antwort. Es gab aber auch solche, die sehr nett abgesagt haben, etwa Peer Steinbrück, der sich zu der Zeit im Wahlkampf für das Kanzleramt befand. Bei Wolfgang Schäuble rief mich einer seiner höchsten Beamten an und sagte, dass der Minister einen tollen Humor habe und über die Idee gelacht habe, jedoch lieber nicht mitmachen wolle.
Habt ihr mit einem Drehbuch gearbeitet, oder ist tatsächlich viel spontan entstanden? Wie zum Beispiel das Zusammentreffen mit dem Nachfahren der Habsburger oder dem Deutschen in Rottweil?
Gut, dass Sie das Zusammentreffen mit dem Nachfahren der Habsburger als spontanes Zusammentreffen bezeichnen. Das war natürlich ein Fake – die Szene habe ich geschrieben und dann mit Michael Finger gedreht. Das mit dem Nachtwächter in Rottweil war aber wirklich spontan. Erst mussten wir die Interviews machen und anschliessend wählten wir aus, was man brauchen kann. Danach wurde alles gescripted und zusammengestellt. Das Drehbuch war erst wirklich fertig, als wir mit dem Schnitt begonnen haben. Danach war es jedoch sehr exakt und bis ins letzte Detail ausgeführt. Zu Beginn gab es nur das Konzept und kein Drehbuch. Es war also Work in Progress.
Der Film erinnert ein bisschen an «Religoulus» von Bill Maher, der auch eine Satiresendung moderiert. Hat er Sie zu diesem Film inspiriert?
Inspiriert nicht, aber er ist mein Lieblingssatiriker im US-Fernsehen. In seiner Sendung empfängt er ebenfalls Gäste und diskutiert mit ihnen über Politik. «Religoulus» hat mir sehr gut gefallen – eine Mockumentary mit einem anderen Ansatz.
Viktor Giacobbo und Gerhart Polt in einer Szene aus «Der grosse Kanton». (Quelle: Vegafilm)
Verfolgen Sie Satiresendungen wie «Daily Show», «Colbert Report» oder eben «Real Time with Bill Maher» in den USA?
Das verfolge ich gelegentlich. Wenn ich in den USA bin, dann schaue ich immer Real Time, jedoch mag ich auch die Late-Night-Klassiker dort, z.B. David Letterman. «Giacobbo / Müller» ist ja nicht einfach eine Satiresendung, sondern eine Late Night Show, in der es nicht immer nur um klassische Satirethemen geht, sondern in der auch mal etwas Klamauk gemacht wird. Aber in meiner Freizeit beschäftige ich mich weniger mit Fernsehsendungen, da lese ich lieber.
Gibt es ein ausländisches Vorbild für «Giacobbo / Müller», das eine ähnliche Ideologie hat?
Nein. Es ist ein Mix aus «Real Time with Bill Maher», «Late Night» und gewisse Sachen sind auch ähnlich wie bei der «Heute-Show» mit der Wochenzusammenfassung. Den Mix, dass wir zu zweit moderieren, eine Wochenzusammenfassung haben, erfundene Figuren selber spielen und auch Imitationen bringen, kenne ich von keiner anderen Sendung, das bestätigen mir oft auch deutsche Künstler. Auch die Sketches schreiben wir selbst und lesen nicht bloss vor, was andere für uns geschrieben haben. Allerdings übernehmen wir von einer Gruppe von Schreibern einzelne Pointen zu fest bestimmten Themen.
Im Vergleich zu ausländischen Sendungen ist «Giacobbo / Müller» eher brav …
(wirft ein) … ja, das wird oft gesagt, jedoch konnte mir bisher niemand ein Pointenbeispiel aus einer ausländischen Sendung nennen, das wir uns nicht auch getraut hätten zu bringen. In Sachen Fernsehen, Kultur oder auch im Sport spielt hierzulande oft der grosse Minderwertigkeitskomplex, den wir reflexhaft gegenüber ausländischen Produktionen bekommen, und dann werden oft Äpfel mit Birnen verglichen. Jedenfalls sind deutsche Gäste immer wieder erstaunt über den Mix, den sie in unserer Sendung entdecken.
Als Beispiel würde ich den Auftritt von Erich Hess nennen, der in der «Heute-Show» aufs Korn genommen wurde.
In der «Heute-Show» sind sie zu Erich Hess gegangen und haben ihn verarscht. Ich fand das sehr lustig, aber wir bedienen halt einfach ein anderes Genre. Wir machen Sketches und Wochenzusammenfassungen. Dafür imitiert der Moderator der Heute-Show keine Politiker – und einen Erfinder wie Stefan Heuss haben sie auch nicht. Dies hat mit brav oder nicht-brav nichts zu tun.
Bei «Giacobbo / Müller» sind oftmals politische Gäste in der Sendung. Hat die Sendung politische oder auch politikvermittelnde Ziele?
Nein. Als Satiremacher muss man einen Standpunkt und eine Meinung haben und man geht davon aus, was einen nervt. Dabei sollte man keine Scheuklappen tragen, sondern alles nehmen, was auffällt. Wir haben keinen politischen Auftrag, keine politische Absicht und auch keine didaktische. In erster Linie ist es Unterhaltung. Auch denjenigen, die finden, dass sie die einzig wahre Satire machen, muss man immer wieder sagen, dass Satire in primärer Linie Unterhaltung ist. Jedoch eine Unterhaltung, die die Realität nicht ausklammert, sondern sie mit einbezieht, kombiniert mit dem Standpunkt desjenigen, der sie macht.
Welche Anforderungen muss ein Politiker erfüllen, damit er eingeladen wird?
Er muss uns interessieren und dann schauen wir, dass wir Gäste aus verschiedenen politischen Lagern haben. Das passiert jedoch eher locker und aus dem Bauch heraus. Seine persönlichen Anforderungen muss ein Politiker selbst wissen. Ich gebe jeweils zwei Tipps. Erstens: Bleib in der Sendung, wie du bist. Zweitens: Zeige etwas Selbstironie. Dann kann man eigentlich keine Fehler machen. Wir sagen auch noch, dass sie keine Geschenke in die Sendung mitbringen sollen und auch keine vorbereiteten Statements. Wenn sich jemand an diese Punkte hält, dann kommt er auch gut weg. Viele Politiker sind jedoch nervös, weil sie um die unterschiedliche Wirkung wissen.
Das letzte Album der Fratellis gefällt mir jedoch sehr gut. Auch die neusten Alben der Avett Brothers und Jake Bugg mag ich sehr.
Was denken Sie, welches Format ist für das Image eines Politikers besser? Satire oder seriöse Sendung?
Meiner Meinung nach kann man dies nicht einfach so vergleichen. In der «Rundschau» kann der Politiker zeigen, ob er sattelfest ist und wie er mit seinen Argumenten überzeugen kann. Die Message kann er natürlich auch bei uns bringen, jedoch muss er sich bei uns auch Fragen gefallen lassen, die er sonst nicht unbedingt hört. Aber er kann bei uns dafür auf eine Art antworten, wie er es sonst nirgends kann und so auch seine Unabhängigkeit zeigen.
Denken Sie, dass Politiker von einem Auftritt bei Ihnen profitieren?
Wenn jemand bei uns einen Witz über sich selbst bringt oder auch über die eigene Partei, so kommt das oft gut an. Die Leute sehen dann, dass diese Person noch selbst denkt, und dass sie sich nicht alles bieten lässt und nicht ein 150-prozentiger Parteisoldat ist. Insofern kann er profitieren.
Haben Sie einen Lieblingstalkgast?
Ich habe keinen speziellen Lieblingstalkgast, jedoch mag ich diejenigen, bei denen man merkt, dass sie Spass am Talk haben. Da gehört sicher der Berner Stadtpräsident Alex Tschäppät dazu der auf Fragen witzig und angriffig antwortet. Aber auch bei einem Toni Brunner läuft etwas im Talk. Es gibt jedoch auch attraktive Talkgäste, die nicht aus der Politik kommen. Kürzlich war bei uns zum Beispiel eine Wissenschaftlerin zu Gast. Wir empfangen auch Gäste aus der Wissenschaft, der Kunst oder gar der Boulevardmedien. Das ist dann wieder Late Night und nicht Satire und erst recht keine Pointe-Show. Das begreifen jedoch nicht ganz alle, die darüber schreiben.
Gibt es Politiker, die sich vor einem Auftritt bei «Giacobbo / Müller» drücken möchten?
Nein, das gibt es eigentlich nicht. Es gibt zwar solche, die sagen: «Ich schaue die Sendung sehr gerne und amüsiere mich dabei, jedoch ist es nicht mein Ding. Ich kann das nicht und will somit auch nicht in die Show kommen.» Das ist durchaus verständlich. Die meisten freuen sich jedoch über eine Anfrage und nehmen dies auch ernst, da sie wissen, dass die Sendung oft geschaut wird. Es gibt nicht viele Sendungen mit über 35% Marktanteil.
Sie führen in Ihrer Sendung und im Film viele Interviews - aber Sie geben auch viele Interviews. Was ist Ihnen lieber - Interviews geben oder führen?
Schon Interviews führen. Das gehört ja auch zu meinem Job. Ich schränke jedoch die Interviews, die ich gebe, auch etwas ein und gebe beispielsweise keine Promiinterviews, bei denen es um Nichtigkeiten geht. Auch nehme ich nicht gerne an Promianlässen teil, bei denen man auf dem roten Teppich wie durch einen Medien-Durchlauferhitzer geht. Wenn es jedoch zu meiner Arbeit Fragen gibt, so wie in diesem Gespräch, bin ich gerne zu einer Zusammenarbeit bereit.
Auf ihrer Website geben Sie auch Infos dazu, was Sie momentan hören. Mich erstaunt ihr Musikgeschmack etwas, für einen 61-jährigen. Was ist ihr Album des Jahres 2013?
Ich kann dies nur schwer in einer Jahreszeit einteilen, das letzte der Fratellis gefällt mir jedoch sehr gut. Auch die neusten Alben der Avett Brothers und Jake Bugg mag ich sehr. Ich verstehe oftmals nicht, dass meine Generation keine neuen Sachen mehr hört, sondern vor 20 oder 30 Jahren aufgehört hat, neue Musik zu hören. Einen Rock’n’Roll-Fan in meinem Alter kann Jake Bugg mit seiner frischen Art durchaus begeistern. Wenn ich das an mir feststellen sollte, so würde mich dies deprimieren.
Somit werden Sie auch in 20 oder 30 Jahren noch aktuelle Musik verfolgen?
Das weiss ich nicht, aber ich hoffe es. In meinem Beruf muss man etwas neugierig sein. In der Redaktion bin ich wohl der grösste Kindskopf, obwohl fast alle Mitarbeiter um die 30 Jahre sind – also halb so alt. Natürlich muss man sich trotzdem bewusst sein, zu welcher Altersgruppe man gehört, sonst wird man zu einem tragischen Fall.
Der Trailer zu «Der grosse Kanton»
«Der grosse Kanton» ist überall auf DVD erhältlich oder als Download bei: iTunes und allen gängigen Portalen.