Radical Face erforscht The Family Tree

Plattenkritik: Radical Face - The Family Tree

Vier Jahre hat sich Radical Face Zeit genommen, um sein zweites Album, «The Family Tree: The Roots» zu vollenden. Völlig zurückgezogen werkelte Ben Cooper, so sein bürgerlicher Name, im Geräteschuppen seiner Mutter. Jetzt legt er einen Silberling voller starker Melodien vor.

 

Besagter Schuppen steht in Jacksonville, Florida. So entspannt und gemütlich wie es der Sonnenstaat der USA suggeriert klingt auch die Platte. Schon der Opener, schlicht «Names» benannt, pinselt im Kopf ein Bild von Radical Face, wie er entspannt auf seiner Veranda sitzt und im Abendrot, alleine mit seiner Gitarre, für die Grillen singt. Man ist versucht zu rufen, «Wo ist das nächste Reisebüro?“. Aber gleichzeitig sind da auch die unter der Oberfläche unruhig brodelnden und vor Temperament siedenden Momente wie sie das Leben gerade in den Sumpflandschaften der Südstaaten der USA bereit hält. Auch wenn diese Aspekte nie wirklich ausbrechen, sondern nur gelegentlich kurz durchschimmern, so sind sie doch präsent und genau diese Assoziationen sind es, welche «The Family Tree: The Roots» spannend machen. Bei «Always Gold» gegen Ende der Platte scheint der Moment gekommen, die Balance droht zu kippen. Wenn nämlich das Klavier und die Gitarre sich gegenseitig bedrohlich aufgebärden. Schlussendlich siegt aber wieder die Harmonie und der Song entwickelt sich zum markanten Ohrwurm.

 

Im Alleingag während 15 Monaten aufgenommen klingt die Platte deutlich reifer als noch der Vorgänger «Ghost». Die Pause hat Radical Face hörbar gut getan. Das Songwriting wirkt ausgeglichen und die Instrumentalisierung ist ideal dosiert. Gerade bei sanften Songs wie etwa «Family Tree» tritt Radical Face zwar etwas in eine Pfütze voll Kitsch, packt Streicher aus und arrangiert gar opulent. Da er aber seine musikalischen Schuhe gut imprägniert hat dringt der Kitsch nur leicht durch und gibt dem Song sogar einen gewinnenden Aspekt. So könnte man «The Family Tree: The Roots» als ganze Platte sehen: Die Mischung aus reduzierter Instrumentalisierung und etwas Theatralik, gar einer Prise Kitsch im richtigen Moment, gelingt durchaus. Wer entspannte Melodien mag darf Radical Face also ruhig ein Ohr schenken.


  • Radical Face
  • The Family Tree: The Roots
  • Ab 20. Januar im Handel erhältlich
  • Radical Face live: 9.12.2012 am One In A Million Festival in Baden
Patrick Holenstein / Fr, 13. Jan 2012