Wincent Weiss: «Für mich war die Story nach 1:50 Min. zu Ende»
Der deutsche Sänger Wincent Weiss hat 15 neue Songs aufgenommen und die Platte dazu «Vielleicht irgendwann» genannt. Wincent singt auf dem Album von dunklen Stunden, von Einsamkeit, aber auch von Hoffnung und er spricht Klartext, was das Leben als Musik für Nachteile hat. Im Interview spricht er über seinen Kampf gegen eine Depression und was er daraus Gutes für sich ziehen konnte. Weiter sind das Songwriting und das Texten ein Thema, aber auch, wie professionelles Musikmachen die private Sicht auf Musik verändert und wieso er gerade in einem innerdeutschen Dreieck unterwegs ist.
Du hast in verschiedenen Interviews gesagt, dass du lange von Hotel zu Tourbus und umgekehrt gelebt hast. Hast du inzwischen einen festen Ort zum Leben gefunden?
Ich pendle immer noch sehr viel. Ich wohne natürlich in Norddeutschland und habe dort mein Zuhause, aber aktuell auch eine WG in München und eine Bleibe in Berlin. Also bin ich gerade in einem grossen Dreieck zwischen Lübeck, Berlin und München unterwegs. (lacht)
Wenn man deinen Texten auf dem neuen Album zuhört, zeichnet sich ein sehr emotionales Bild. Was passiert mir dir als Mensch, vielleicht auch als Musiker, wenn du Songs und Texte schreibst?
Wenn ich Songs schreibe, sehe ich das oft als kleine Mini-Therapie an. Gerade beim letzten Album war das so, weil ich sehr viel gequatscht habe, sehr viel Selbstreflexion betrieben habe und so viele Dinge Revue passieren lassen konnte. Ich konnte schauen, was in den letzten fünf Jahre passiert ist und was in den nächsten fünf Jahren passieren soll. Wo möchte ich hin? Die gleiche Frage von vorhin: wo möchte ich mal eine Bleibe haben und wo möchte ich zuhause sein? Das sind alles Fragen, die ich mir stelle und die ich noch nicht beantwortet habe, aber hoffentlich bald beantworten kann. Davon handelt fast das ganze Album.
Wenn du so offen textest, schreibst du jeweils gezielt neue Songs für ein Album oder hast du eine Sammlung an Ideen, die du wieder hervor nehmen kannst?
Ich schreibe nicht gezielt für ein Album, sondern Songs, wie sie gerade passieren aus dem Effekt oder der Situation heraus, wenn ich über etwas nachdenke. Irgendwann sind so viele Songs entstanden, dass daraus ein Album wird. Aber es ist nicht so konzipiert, dass ich mir sage, «Jetzt schreibe ich aktiv das vierte Album und darum soll es inhaltlich gehen und entsprechend schreibe ich jetzt Songs». Für das Album habe ich ungefähr 35 Songs geschrieben und mir fünfzehn herausgepickt und gesagt, «Das ist ungefähr eine Albumlänge» und diese Songs sind es dann geworden.
Hast du einen Lieblingssong auf dem Album?
So etwas ist echt schwierig. Eigentlich nicht, aber es hängt manchmal von der Tagesform ab und je nachdem in welcher Stimmung ich gerade bin. Wenn ich nachdenklich bin oder traurigere Gedanken habe, sind es die nachdenklicheren Songs und wenn ich gut gelaunt bin, sind es die Aufbruchsongs. Ich glaube, heute wäre es «Vielleicht Irgendwann», der letzte Song auf dem Album, weil er das gesamte Album zusammenfasst und sammelt, was die vierzehn Songs vorher detailreich erzählt haben. Das hängt aber wie gesagt von meiner Stimmung ab.
«Was habt ihr gedacht?» war der erste Song, bei dem ich nicht sicher war, wie der Release laufen würde. Wenn du so einen Song rausbringst, lässt der Raum für Interpretationen der Fans, die negativ verstanden werden können.
Ich würde gerne auf zwei Songs eingehen. «Was habt ihr gedacht?» ist der erste, weil er einerseits eine sehr bewusst leise Instrumentalisierung hat, die ein kleiner Bruch zu vielen Songs auf dem Album ist. Und andererseits ist es natürlich eine klare Reflexion über deinen Job als Musiker.
Ja, Ja, total. «Was habt ihr gedacht?» war der erste Song, bei dem ich nicht sicher war, wie der Release laufen würde. Wenn du so einen Song rausbringst, lässt der Raum für Interpretationen der Fans, die negativ verstanden werden können. Das ist teilweise auch passiert. Aber ich finde den Songs mega und habe den so gerne geschrieben und einfach runter gesprochen. Der Song ist relativ kurz. Dafür habe ich auch Kritik bekommen. «Ey, warum macht man einen Song, der nur 1:50 Min. kurz ist?» Darauf habe ich gesagt, dass der Song für mich zu dem Zeitpunkt fertig war und ich nicht etwas Unauthentisches erfinden oder dazu dichten möchte. Für mich war die Story eben nach 1:50 Min. zuende. Ich liebe ihn und war ganz, ganz sicher, dass dieser Song, unter den 35 insgesamt, auf jeden Fall Part des Album sein würde.
Du gehst sehr offen und mutig damit um, dass du mit Depressionen zu kämpfen hattest. Das schimmert in einigen Songs durch, etwa in «Wie es mal war». Wie ist dieser Song entstanden?
«Wie es mal war» ist der erste Song, den ich für das Album geschrieben habe. Das war so Mitte bis Ende 2019, als ich gespürt habe, dass irgendetwas nicht ganz stimmt. Der Song passt aber natürlich auch perfekt auf die Pandemiezeit und viele haben gesagt, «Den hast du doch jetzt extra dafür geschrieben». Aber er ist davor entstanden und dreht sich mehr um das Gefühl in mir, dass die Freude an den kleinen Dingen im Leben, Gefühlsausbrüchen in positive und negative Seiten, wieder möglich sein sollen. Das habe ich mir gewünscht. Darum sage ich ihm Song auch «Wo ist der Typ von «Feuerwerk?», der sich seit Anfang seiner Karriere in Neues gestürzt, aber auch irgendwann in eine Arbeitsmaschine verwandelt hat, die wie im Tunnel durch die Gegend gelaufen ist?» Das wollte ich einfach wieder ändern und mich über alle kleinen Dinge freuen, die wir gerne für selbstverständlich nehmen. Das muss man ab und zu im Leben tun und sich sagen, «Es ist nicht alles selbstverständlich, was wir machen!».
Hast du das geschafft, diesen Menschen wiederzufinden?
Noch nicht ganz. Es ist bei mir so - das sage ich auch auf dem Album - dass ich wieder die beste Version von mir werden möchte. Und da bin ich noch nicht ganz. Ich glaube, kein Mensch ist perfekt und ich wusste, welche Sachen ich ablegen möchte und arbeite daran, bin aber noch nicht ganz an dem Punkt, an dem ich gerne wäre.
Wincent Weiss - «Winter»
Du hast vorhin kurz Corona angesprochen. Was hat dieses Jahr, in dem plötzlich alles stillstand und viel mehr Zeit da war, mit dir gemacht?
Es hat mir auf jeden Fall ein sehr schönes Album gebracht. (lacht) Viel mehr Zeit war gar nicht da, denn irgendwie ist der Terminkalender schon voll geworden. Aber ich hatte viel mehr Zeit mit mir selber und Zeit, mich wirklich zu reflektieren und das Album entstehen zu lassen. Das ist natürlich in dieser Zwangspause passiert. Was ich als positiv empfand, ist, dass ich mehr Zeit mit meiner Familie und mit Freunden verbringen konnte als die letzten fünf Jahre zusammen. Das muss ich natürlich ins kommende Jahr mitnehmen und eine Balance zwischen Arbeit und Privatleben hinbekommen.
Wenn man sich auch mit deinen älteren Alben beschäftigt, entsteht der Eindruck, dass bei dir zwei grosse Themen immer wieder aufblitzen. Das ist einmal das Element des Verloren seins bzw. die Einsamkeit und zweitens ist es die Hoffnung, die Freundschaft und Verbundenheit.
Ich bin ein sehr, sehr optimistischer Mensch, der immer hoffnungsvoll in die Zukunft schaut. Ob es jetzt die Pandemie ist oder irgendwelche persönlichen Dinge, ich bin immer optimistisch. Das war schon beim ersten Album ein Teil von mir. Aber klar, es gab natürlich viele Momente, in denen ich alleine war. Gerade als Musiker, der durch die Welt tingelt und kein richtiges Zuhause hat, ist man irgendwann auch mal einsam. Man muss den Punkt finden, an dem man das Tourleben mit der Hoffnung und weniger Einsamkeit balancieren kann und vielleicht einfach mal eine Wohnung finden, wo man bleiben möchte. (lacht)
Deine Stimme klingt selbstbewusster und kräftiger, dazu traust du dich stimmlich mehr. Wie viel Arbeit steckt dahinter?
Das war eigentlich gar keine Arbeit, die ich aktiv gemacht habe. Dieses mehr Trauen liegt daran, dass im Studio viel mehr Zeit zur Verfügung stand. Wir haben deutlich mehr ausprobiert. Bei «Winter» sind Hip Hop-Elemente und Trap Sounds dabei. Dann gibt es Songs, wo Metal-Gitarren drin sind, weil ich es entsprechend umgeschrieben habe. Wir hatten so viel Zeit zum Ausprobieren, dass sich Vieles ergeben hat, weil wir Bock hatten, mehr zu machen.
Eigentlich sollte man das abschalten und Musik geniessen und es nicht so streng sehen bei Konzerten. Aber ich erwische mich selber dabei.
Wie hast du dich generell als Künstler verändert, wenn du über die drei Alben zurückschaust?
Ich bin sehr, sehr froh, dass sich die Arbeit immer noch im gleichen Team abgespielt, wie bei allen Alben zuvor. Es ist der gleiche Produzent, die gleichen Leute, mit denen ich schreibe und die gleiche Band. Aber es war eine viel zeitintensivere Arbeit bei «Vielleicht irgendwann». Natürlich, weil ich die Zeit hatte. (lacht) Aber sonst hat sich glaube ich nicht viel verändert. Ich bin super happy, dass ich mit den gleichen Leuten wie vor sieben, acht Jahren Musik machen darf und das bleibt hoffentlich auch die nächsten sieben, acht Jahre oder gerne noch länger so.
Hat deine Arbeit als Musiker verändert, wie du privat Musik hörst?
Leider ja. (lacht) Aber das ist wahrscheinlich in jedem Job so. Inzwischen fällt mir auf, welche Percussions oder Drums benutzt werden, welche Gitarrensounds eingespielt werden, wie gesungen wird und welche Gesangstechnik benutzt wird. Das ist supernervig. Wenn ich live auf Konzerte gehe, beobachte ich an der Decke, was die Lichter machen und wie sie farblich zum Song passen oder woran die Effekte sich orientieren. Das nervt schon. Eigentlich sollte man das abschalten und Musik geniessen und es nicht so streng sehen bei Konzerten. Aber ich erwische mich selber dabei. Das war aber auch so, im Job als Kellner. Da sind mir in Lokalen Sachen aufgefallen, dich ich anders gemacht hätte und so ist es bei der Musik auch.
Wie geht es jetzt bei dir weiter? Planst du trotz Pandemie schon Konzerte?
Ja, wir planen gerade die ersten Konzerte und ich hoffe, dass sie stattfinden dürfen, weil ich mit dem Album natürlich unbedingt live auf die Bühne will. Das wurde uns lange, lange verweigert und ich hoffe sehr, dass wir bald wieder spielen dürfen. Mittlerweile scheint auf der ganzen Welt eine Art Aufbruch und Optimismus zu herrschen. Draussen öffnet die Gastronomie wieder und es geht in eine gute Richtung. Ich hoffe, dass es so weiterläuft und wir vielleicht bald wieder eine Art Normalität haben, in der ich vor tausenden Menschen stehen und für sie Musik machen kann. Das wäre meine Wunschvorstellung.
Das ist doch ein schönes Schlusswort. Ich danke dir für die Zeit.
- Künstler: Wincent Weiss
- Gerne: Pop, Songwriter,
- Aktuelles Album: «Vielleicht irgendwann»
- Infos: Website von Wincent Weiss