Archive: «Wir lösen zusammen Kreuzworträtsel»

Interview mit Archive
Bildquelle: 
Pressebild / ©Brian Cannon

Am 29. November spielte die britische Trip-Hop Band Archive im ausverkauften X-TRA in Zürich. Bandgründer und Keyboarder Danny Griffiths nahm sich Zeit für ein Interview.

 

Ihr seid mit dem Best-Of-Album «25» auf Tournee. Wie lange seid ihr schon unterwegs?

 

Wir kommen zum Ende der Tournee. Wir sind nun seit zweieinhalb Monaten unterwegs. Nach der Show in Zürich haben wir noch sieben Shows vor uns. Morgen fahren wir nach Österreich, danach nach Italien, nach Spanien und zurück nach Hause. Die Tournee war brillant und sehr ereignisreich.

 

Wenn die Band auf Tournee ist, merkt ihr, was ausserhalb des Tourbusses vor sich geht oder schotet ihr Euch ab, um Euch ganz auf die Musik zu konzentrieren?


Wir sind sechzehn Personen im Bus, also viele Leute, mit denen man Zeit verbringt. Glücklicherweise arbeiten wir seit langem zusammen und verstehen uns sehr gut. Ich verlasse den Backstage-Bereich kaum, sondern verbringe viel Zeit damit, zu arbeiten oder Bücher zu lesen. Es ist eine Art Bubble, in die man nach einer Weile gerät. Ich mag es so, denn wenn ich zu viel an Zuhause denke, kann mich das ablenken.

 

Habt ihr ein Ritual, das ihr vor einem Gig macht?

 

Wir haben kein wirkliches Ritual, aber es hat sich etwas Lustiges entwickelt auf dieser Tournee. Wir kommen alle zusammen und lösen Kreuzworträtsel. Das weckt den Geist ein wenig auf und es macht Spass, solange das Internet funktioniert. Wir treffen uns eine halbe Stunde vor der Show und jeder, der will, macht mit.

 

Das Best-Of-Album «25» führt die Zuhörer durch Eure musikalische Karriere und enthält auch neue Tracks. Ich habe mir einige meiner Lieblingssongs ausgesucht – was schwierig war, weil mir eigentlich alle gefallen – und habe mich mehr mit den Lyrics beschäftigt. Daraus ergaben sich einige Fragen, die ich Dir stellen möchte. Zunächst einmal: Wie entstehen Eure Songs? Könntest Du einen kreativen Prozess beschreiben?

 

Wenn Darius und ich schreiben, arbeiten wir erst getrennt, treffen uns dann und reden über verschiedene Dinge, zum Beispiel über ein Musikstück, das er geschrieben hat. Das gibt mir eine Vorstellung davon, womit er sich gerade beschäftigt. Darius und ich haben den gleichen Hintergrund. Wir sind beide Produzenten. Es hat sich ergeben, dass ich auch angefangen habe, Texte zu schreiben, und heute ist es eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Dave und Pollard, beide auch Autoren, und Holly, sie schreibt auch viel, ist aber gerade in Australien - manchmal sitzen wir alle in Ecken und schreiben, manchmal ist es nur einer von uns. Dave und ich haben kaum zusammen geschrieben, während Pollard und ich die ganze Zeit zusammen schreiben. Der Schreibprozess ist sehr offen. Wir wissen nie, woher die Kreativität kommt und wohin sie uns führt.

 

Fühlt ihr Euch als Künstler frei, mit Eurer Musik auszudrücken, was ihr wollt?

 

Im Allgemeinen haben wir als Autoren und Musiker viel Freiheit. Wir halten uns nicht an Vorschriften von Plattenfirmen, wir schreiben, wie wir uns fühlen. Also ja, wir haben ein gewisses Mass an künstlerischer Freiheit. Manchmal will man auch einfach nicht zu persönlich werden in einem Text. Deshalb schreibe ich gerne Geschichten.

 

Gibt es politische Themen, die Euch besonders berühren?

Ich bin nicht massiv politisch und betrachte uns auch nicht als politische Band. Ich bin gerne gut informiert über Politik, aber ich vertraue niemandem, der daran beteiligt ist. Der Song «Fuck You» zum Beispiel funktioniert jetzt perfekt, genau so, wie er funktioniert hat, als ich ihn geschrieben habe. Und er funktioniert nicht nur im politischen Bereich. In meinen Augen ist Archiv eher beobachtend, als politisch. Das Album «Controlling Crowds» zum Beispiel nimmt eine ebenfalls sehr beobachtende Haltung ein.

 

Archive hat den Soundtrack zum Film «Michel Vaillant» von Luc Besson produziert. Hat Euch diese Erfahrung gefallen und würdet ihr wieder Filmmusik machen?

 

Das war eine tolle Zeit für uns. Wir waren ziemlich überwältigt, als wir angesprochen wurden, weil wir nie daran dachten, etwas mit Film zu machen. Ursprünglich wollten sie einige unserer alten Songs verwenden, aber wir beschlossen, eine völlig neue Partitur für den Film zu schreiben. Es war wirklich faszinierend, in eine neue Welt zu schauen. Es war schwer für uns, dass uns andere Leute sagten, was wir im Studio machen sollten. Du schreibst Musik für zwei Minuten Film und der Regisseur weist darauf hin, das ist zu traurig, das ist zu laut oder so. Viele Leute gaben ihren Input. Wir waren an diese Art von Arbeit nicht gewöhnt. Wir lebten einen Monat im Luc Bessons Village in Nordfrankreich und arbeiteten das erste Mal mit Orchestern zusammen. Vielleicht wäre es auch interessant, Musik für Serien zu produzieren …. Also Ja! Es war eine tolle Erfahrung und wir würden es definitiv wieder tun. Es hat sehr viel Spass gemacht!

 

 

Wir halten uns nicht an Vorschriften von Plattenfirmen, wir schreiben, wie wir uns fühlen. Also ja, wir haben ein gewisses Mass an künstlerischer Freiheit.

 

 

Eine Liedzeile aus «The Hell Scared Out of Me» lautet «Ich weiss, dass es nur so viel gibt, wie ich auch ertragen kann». Gab es Ereignisse in Deinem Leben, von denen Du dachtest, Du könntest nicht mit ihnen umgehen?

 

Ja, einige. Es gibt bestimmte Ereignisse, die ich verarbeiten musste, und ich mich jetzt frage, wie ich es geschafft habe – so, wie den Tod meiner Mutter. Ich war erst vierundzwanzig Jahre alt, kurz bevor wir mit Archiv starteten. Ich war ein Jahr lang in Australien als DJ unterwegs und kam zu spät nach Hause. Meine Mutter war bereits gestorben. Ich erinnere mich, dass ich viele Drogen genommen und zu viel getrunken habe. Das war der Weg, um dem Schmerz zu entkommen. Es war die Art und Weise, wie ich damit umging, und es funktionierte damals. Etwas klarer im Kopf fragst du dich dann, was zum Teufel genau passiert ist, und du fängst an zu schreiben, das ist das Schöne am Schreiben - du holst den ganzen Scheiss aus dir raus. Der Tod meiner Mutter hat mich sehr getroffen. Ich trinke nicht einmal mehr jetzt, weil ich mich wirklich konzentrieren will, besonders unterwegs auf Tournee. Nicht mehr zu trinken war auch eine Herausforderung und manchmal wusste ich nicht, ob ich es schaffe.

 

Hast Du Familie und Kinder?

 

Nein, aber ich habe eine Katze. Ich liebe meine Katze. Ich habe meinen Tourmanager gestern gebeten, den Namen meiner Katze auf meinen Arm zu tätowieren – sie heisst Pinky. Meine Freundin war nicht sehr glücklich, das zu hören … aber ich hätte schlimmere Dinge tätowieren lassen können, als den Namen meiner Katze, denkst Du nicht? Die meisten Leute der Band haben Familien und Kinder.

 

Bald beginnt die Adventszeit – feiert ihr Weihnachten?

 

Ich bin kein sehr weihnachtlicher Mensch, ich hasse den ganzen Konsum und so, aber ich freue mich dennoch auf das Weihnachtsfest, denn ich treffe mich mit Freunden, wir sind etwa zehn Personen, jeder bringt etwas zu Essen mit. Aber wir machen keine sehr traditionelle Sache, manchmal haben wir Chili con Carne, ein mexikanisches Weihnachten oder ein Curry-Weihnachten, aber wir werden keinen grossen Weihnachtsbaum und viel Dekoration haben, wir kommen einfach zusammen und lachen viel … Ich werde nach der Beendigung der Tournee noch vier Tage in Madrid bleiben, mich ein wenig entspannen und in die Realität zurückkehren. Das ist kurz vor Weihnachten und die Bandmitglieder werden sich wahrscheinlich in diesem Jahr nicht mehr sehen.

 

Ich hoffe, du freust Dich genauso auf die Show heute Abend in Zürich, wie ich?

 

Unser LKW mit der ganzen Ausrüstung blieb an der Grenze stecken, das passiert immer, wenn wir in die Schweiz kommen. Also hätten wir normalerweise schon längst den Soundcheck gemacht, aber das hat alles aufgehalten. Ich fühle mich ein wenig schlecht für die Supportband. Aber ich hoffe, wenn der Truck jetzt hier ist, dass wir dennoch alles rechtzeitig hinkriegen.

 

Vielen Dank für Deine Zeit und das interessante Interview.

Archive - «Erase»

 

  • Das Album «25» ist im Handel erhältlich. 

 

textundbild.info / Di, 03. Dez 2019