Von Hoffnung und Trauer
Die Amerikanerin Maureen (Kristen Stewart) lebt seit ein paar Monaten in Paris, weil ihr Zwillingsbruder Lewis in der französischen Hauptstadt verstorben ist. Die medial begabten Geschwister haben sich einst versprochen, ein Zeichen aus dem Jenseits zu schicken, egal wer zuerst stirbt. Von der Hoffnung getrieben, jagt Maureen also einem Zeichen nach, übernachtet dafür sogar im Haus des Bruders. Daneben ist sie für ein Topmodel (Nora von Waldstätten) als Personal Shopper aktiv, fühlt sich aber mit dem Job überhaupt nicht wohl. Hin- und hergerissen zwischen dem Glanz ihrer Arbeitgeberin, dem ersehnten Zeichen von Lewis und ihrem Freund, der im nahen Osten arbeitet, verzweifelt Maureen immer mehr. Also sie plötzlich SMS-Nachrichten von einem Unbekannten bekommt, flackert die Hoffnung auf ein Signal von Lewis wieder auf. Maureen ist von den oft herrischen formulierten Nachrichten magisch angezogen und doch abgestossen.
Zweifel und Hoffnung sind zwei der wichtigen Themen in «Personal Shopper». An die Hoffnung klammert sich die junge Frau verbissen, Zweifel wischt sie mehr oder weniger konsequent aus ihrem Blickfeld. Dazu kommt die damit einhergehende Suche nach sich selbst. Es sind also elementare Punkte, die den Film tragen. Sofern man sich darauf einlässt, denn «Personal Shopper» ist kein Horrorfilm, wie die Prämisse erwarten liesse. Eher ist es ein Arthouse-Mysteryfilm. Es gibt durchaus Szenen, die das Genre bedienen. Etwa, wenn Maureen durch das nächtliche Haus irrt und jedes Knarren als Zeichen aus dem Jenseits deutet. Aber auf grosse Schreckmomente verzichtet «Personal Shopper», setzt viel mehr auf den subtilen Kontext und schafft so eine unterschwellige Spannung. Das grosse Plus, neben der «Jenseits ja oder Jenseits nein»-Thematik, ist, dass wir komplett in das Leben der jungen Maureen eintauchen dürfen. Wir sehen, wie sie mit fremden Geld schmeissen darf, selbst aber in einem kargen Apartment lebt, wie sie traurig ab dem Verlust des Bruders in die lebendigen Strassen von Paris schaut und dadurch emotional dicht macht, eigentlich gerne so schnell wir möglich abhauen würde aus der Stadt der Liebe, aber durch die in ihren Händen zerrinnende Bruderliebe aufgehalten wird. Allerdings merkt zunehmend Maureen, dass sie etwas ändern muss, um sich nicht selbst zu verlieren.
«Bist du das, Lewis?»
Genauso karg wie Maureens Innenleben ist Anfangs auch die Musik. Nämlich kaum vorhanden. So wird der Fokus brutal auf jedes noch so kleine Geräusch gelegt, denn es könnte ja Lewis sein. Mit der Zeit und mit schwindender Hoffnung, nimmt der Score dann zu. Zudem ist die Bildsprache oft in erdigen Farben konzipiert, grün, braun oder grau dominieren grosse Teile. Damit will der Film wohl klar machen, dass die Geschichte auf rationaler Ebene stattfindet, was jedes übersinnlich zu sein scheinende Element noch einmal interessanter macht. So kann die Metaphysik langsam Einfluss nehmen. Das macht das Drehbuch einerseits mit vermeintlich historischen Berichten über Geisterbeschwörungen. Wobei hier auf längst bekannte (und zweifelhafte) Geisterbilder zurückgegriffen wird, was Authentizität suggerieren soll, aber schlicht billig ist. Das hätte der Film nicht nötig, weil mit dem Interesse Maureens an der schwedischen Malerin Helma af Klint, die als Medium galt und das abstrakte Malen bereits lange vor den bekannten Vertretern betrieben hat, weil sie Inspiration aus dem Jenseits bekommen haben soll, gelingt dem Film ein spannender Kniff. Unabhängig davon, was wahr oder nicht wahr ist, lebte Hilma af Klint bis 1944 und ist damit klar echter als pseudowissenschaftliche Fotos.
Nach «Die Wolken von Sils Maria» arbeiten der Franzose Olivier Assayas und Kristen Stewart erneut zusammen. Wieder hat Assayas sowohl den Film geschrieben als auch inszeniert. War Stewart bei «Die Wolken von Sils Maria» noch präsente Nebenfigur, wurde der Amerikanerin dieses Mal der Film quasi auf den Leib geschrieben. Kristen Stewart agiert dann als junge Frau, als Medium zwischen den Welten, auch hervorragend. Sie zeigt erneut, dass sie in fein skizzierten Arthouse-Rollen glänzen kann. Eine besonders schöne Szene zeigt, wie sie sich im Kleiderschrank ihrer Chefin bedient, auf der seidenen Bettwäsche räkelt, um einen flüchtigen Moment davon zu erhaschen. Dazu singt Marlene Dietrich im Hintergrund «… das Schicksal setzt den Hobel an, am Ende sind alle gleich …» und bricht so den flüchtigen Höhepunkt in der Welt der Reichen auf das Wesentliche, nämlich dass alle gleich sind, wenn wir gehen müssen. Dieser Moment zeigt, wie geschickt der Film auch ohne viel Dialog die Ebenen zusammenbringt. Doch so schnell der Moment gekommen ist, so weitreichend erstreckt sich jener Abend in das Leben von Maureen. Es ist quasi die Initialzündung, die die sich abschottende junge Frau gebraucht hat. Und wieder stellt sich die Frage: «Bist du das, Lewis?»
«Personal Shopper» ist ein langsam erzählter, bedeutungsschwanger Film und sicher nicht für jedermann. Lässt man sich aber auf das geheimnisvolle Spiel ein, wird man mit einem stilvollen Arthouse-Film belohnt, der zwar geschickt zwischen Gruselfilm und Selbstfindungstrip schwankt, aber in der Trauereben genau durch diese Ambivalenz so menschlich ist.
- Personal Shopper (Frankreich / Deutschland / Tschechien 2016)
- Regie & Drehbuch: Olivier Assayas
- Besetzung: Kristen Stewart, Lars Eidinger, Nora von Waldstätten, Ty Olwin
- Laufzeit: 105 Minuten
- Im Verkauf: ab 22. Juni 2017