Von gestohlener Lebenszeit

Moviekritik: Lubo
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Xenixfilm / © Francesca Scorzoni

Lubo Moser tingelt mit seiner jenischen Familie in den späten Dreissigern als Kleinunterhalter durch die Schweiz. Unverhofft wird er von der Armee rekrutiert und muss im Dienst feststellen, dass nicht nur seine Frau verstorben ist, sondern auch seine drei Kinder im Auftrag der Stiftung Pro Juventute zu deren angeblichen Wohl in neuen Familien untergebracht worden sind. So begeht er Fahnenflucht, legt sich eine neue Identität zu und macht sich an die Wiederauffindung seiner Kinder.  

 

Das Schicksal der Jenischen scheint derart unbekannt, dass sogar Microsoft Word, die Software, mit der ich diesen Artikel schreibe, das Wort «Jenisch» als Fehler markiert. Was sich sogenannte Hilfswerke damals leisteten, kann heute nur noch als Verbrechen gewertet werden. Wie schon den Verdingkindern, deren Missbrauch einigermassen anerkannt ist, wurde auch den jenischen Kindern schreiendes Unrecht zuteil. Doch wählte der Film die Perspektive einer – notabene – fiktiven Figur, mit der man nur schwerlich sympathisieren kann.  

 

Lubo Moser tanzt durch die Strassen. (Xenixfilm / © Francesco Scorzoni)

 

Auf seinem Kreuzzug schreckt Lubo weder vor Diebstahl noch Mord zurück. Er lügt, plöfft und gönnt sich so hart, dass man stellenweise denken könnte, er habe seine eigentliche Mission längst vergessen. Und auch wenn Hauptdarsteller Franz Rogowski zweifelsohne über grosses Charisma verfügt; die Effizienz, mit der seine Figur die Frauen verführt und schwängert, blutet ins Komödiantische. Es ist eine schmerzliche Ironie, dass ausgerechnet er, der ein Leben lang nach seinen verschleppten Kindern fahndet, selber im Vorbeifahren Nachwuchs zeugt, welcher wiederum ihn nie zu sehen, geschweige denn die Werte der jenischen Kultur vermittelt bekommen wird.

 

Tanz der Redundanz

 

An packenden Momenten hätte es nicht gemangelt, doch deren Gros wurde fürs letzte Drittel aufgespart. Bis dahin irrlichtert die Handlung durch schöne Sets und Örtlichkeiten, durchzogen von Szenen, die oft furchtbar schlecht beleuchtet oder einfach nur unnötig sind. Beispielsweise wenn Lubo lächerlich lang versucht, hinter die Funktionsweise eines Automobils zu kommen. Wenn er gefühlte fünf Minuten erfolglos in einer Kartei kramt, oder wenn ein Kinopublikum Nazi-Propaganda erst dann durchschaut, wenn sich andere Zuschauer zum Führergruss erheben.

 

Wo «Early Birds» an einem halbgaren Drehbuch scheiterte, stolpert «Lubo» über einen feigen Schnitt. Die gnadenlose Laufzeit von fast drei Stunden hätte man problemlos um neunzig Minuten kürzen können. So muss leider von gestohlener Lebenszeit gesprochen werden. Die Eidgenossenschaft raubte sie den Jenischen, Lubo sich selbst und der Film seinem Publikum. Der Streifen verhandelt ein wichtiges Thema der Schweizer Geschichte, aber er will und will einfach nicht auf den Punkt kommen. Was sich bereits nach knapp zwei Stunden am kontinuierlichen Exodus aus dem Kinosaal zeigte.

 

Zügellos, prätentiös und oftmals ziellos. Mit starker Cast, starken Bildern und einem hochrelevanten Thema zieht sich der Film derart hartnäckig in die Länge, dass einem irgendwann der Geduldsfaden reisst.  

 

  • «Lubo», (CH / IT, 2023)
  • Regisseur: Giorgio Diritti
  • Besetzung: Franz Rogowski, Joel Basman, Christophe Sermet uva.
  • Laufzeit: 2h 55min
  • Kinostart: 7. März 2024

 

Mike Mateescu / Do, 19. Okt 2023