Von der Wüstenparty ins Asylheim

Movie-Kritik: Raving Iran
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© Frenetic Films

Polizeikontrollen, Razzien, Gefängnis: Der Alltag iranischer DJ ist alles andere als rosig. «Raving Iran» von Regisseurin Susanne Regina Meures dokumentiert den erstaunlichen Werdegang von Anoosh und Arash. 

 

Sie sind 26 und 28 Jahre alt, wohnen in Teheran und haben einen gemeinsamen Traum: Anoosh und Arash wollen als DJ-Duo Blade&Beard berühmt werden. Im Iran, in Europa und auf der ganzen Welt. Auf versteckten Homeparties legen sie auf, mieten sich ihr Equipment in illegalen Lautsprecherlagern und organisieren riskante Wüstenraves, um wenigstens einen Hauch von Burning Man-Feeling zu erleben. Doch das iranische Regime ist ein riesenhafter Gegner: Westlich orientierte Musik ist verboten, Frauen sind als Leadsängerinnen verboten, Bandplakate mit englischem Text sind verboten. In einer zermürbenden Tour de Force sehen wir Anoosh und Arash dabei zu, wie sie erfolglos beim Ministerium für Kultur und islamische Führung vorsprechen, nächtelang eine Druckerei suchen, die ihre CD-Hüllen druckt und schliesslich von Musikladen zu Musikladen tingeln, um ihre Songs irgendwie an den Mann bringen zu können. Es ist die klassische Geschichte von David gegen Goliath: Überall lauern die Sackgassen der iranischen Gesetzgebung, wieder und wieder müssen sich Anoosh und Arash neue Wege erschleichen, um sich irgendwie am übermächtigen Gegner vorbei zu schlängeln. 

 

Vom Iran in die Rote Fabrik

 

Der umfangreiche Einblick in den iranischen Alltag ist das Besondere an diesem Dokumentarfilm: Nur mithilfe von versteckten Kameras waren solche Aufnahmen überhaupt möglich, Vieles wurde mit dem iPhone gefilmt, das Videomaterial musste sofort verschlüsselt und über zahlreiche Freunde und Helfer aus dem Land geschmuggelt werden. Für ihre Masterabschlussarbeit musste Susanne Regina Meures zwangsläufig das riskante Katz-und-Maus-Spiel mitspielen, das für die Mehrheit der iranischen Bevölkerung mittlerweile zum Alltag geworden ist. In diesem Sinne wirkt «Raving Iran» auch völkerverständigend: Was man bisher fast nur aus Beschreibungen kannte, wird in diesem Film visuell dargestellt; das Einengende, Zermürbende des rigiden iranischen Staatsapparates wird deutlich spürbar. Doch dann kommt der Wendepunkt für Blade&Beard: Nachdem sich die beiden Teheraner bei allen möglichen Festivals im Ausland beworben haben, kommt ein Anruf, der alles ändern könnte: Anoosh und Arash werden eingeladen, während der Streetparade am Lethargy-Festival in der Roten Fabrik aufzulegen.

 

Anoosh und Arash nach einem Auftritt. (© Frenetic Films)

 

Und tatsächlich klappt alles wie am Schnürchen: Fünf Tage lang tauchen Anoosh und Arash staunend ein in die fremde Welt, geben Radio-Interviews, machen die Nächte durch und tummeln sich zwischen den Menschenmassen der Streetparade. Trotz aller Euphorie und Überwältigung drängt sich mit jedem Tag in der Fremde mehr und mehr eine Frage auf: Zurückfliegen oder bleiben? Die beiden wissen sehr genau, wie schlecht ihre Perspektiven als DJs im Iran sind, ein Antrag auf Asyl wäre der Versuch, diesen tristen Aussichten zu entkommen. Gleichzeitig hiesse das, Familie und Freunde zurück zu lassen, alles Vertraute aufzugeben für den musikalischen Traum. Als Anoosh mit seiner Mutter telefoniert, sagt diese klar und deutlich: «Wir wollen nicht, das ihr zurückkommt». Eltern, die ihre Kinder fortschicken, damit sie die Chance auf ein besseres Leben haben – das ist das Ergebnis der rigorosen Politik von Irans religiösen Führern. Durch das Portrait einer Subkultur, die im Verborgenen agiert und sich über Handygespräche organisiert, entwickelt «Raving Iran» auch politische Kraft: Im Untergrund widersetzen sich die Menschen, sie feiern, sie tanzen – trotz allem. Damit zeigt sich einmal mehr auch die universell verbindende Kraft der Musik: Ob in Teheran oder Zürich, auf der Tanzfläche sind wir alle gleich. 

 

Berührender Dokumentarfilm

 

Doch leider gelten abseits ebendieser andere Regeln: Anoosh und Arash wagen den Schritt ins Ungewisse und steigen aus dem Taxi, das sie zum Flughafen bringen soll, wieder aus. An dieser Stelle endet «Raving Iran», doch die Facebook-Seite von Blade&Beard verrät: Beinahe zwei Jahre warteten Anoosh und Arash im Bündner Dorf Cazis auf ihren Asylentscheid, eine weitere Phase des zermürbenden Wartens. Doch sie durften bleiben, füllen mittlerweile die Clubs in Berlin und auf Ibiza, leben das Leben, von dem sie lange geträumt haben. Gleichzeitig läuft «Raving Iran» auf zahlreichen Filmfestivals und wird international gefeiert. Man darf jetzt schon gespannt sein auf die kommenden Filme von Susanne Regina Meures, der mit «Raving Iran» ein hochaktueller und berührender Dokumentarfilm gelungen ist – den sich auch Fans von nicht-elektronischer Musik auf keinen Fall entgehen lassen sollten. 

 

 

«Raving Iran» zeigt den zermürbenden Alltag in Teheran und den Werdegang von zwei iranischen DJs, die auszogen, um endlich auflegen zu können.

 

  • Raving Iran (2016)
  • Regie: Susanne Regina Meures
  • Mit Arash und Anoosh
  • Laufzeit: 84 Minuten 
  • Kinostart: 20. Oktober 2016

 

 

Tamara Schuler / Di, 18. Okt 2016