Es steht ein Mann auf dem Sims
Nick Cassidy checkt seelenruhig unter falschem Namen in einem New Yorker Hotel ein, speist ausgiebig, trinkt Champagner, wischt säuberlich sämtliche Fingerabdrücke von den Gegenständen und steigt dann auf das Fenstersims ausserhalb seines Zimmers. Die Polizei wird schnell auf den vermeintlichen Selbstmörder aufmerksam und positioniert sich auf der Strasse und ihm Hotelzimmer. Nick ist jedoch nur bereit mit der Spezialistin Lydia Anderson zu sprechen. Langsam wird klar, dass Nick ein verurteilter Diamantendieb ist und seine Unschuld beweisen will. Die Essenz des Films dreht sich schon bald um die Fragen, wie er seine Unschuld beweisen will, ob er wirklich unschuldig ist und wer alles mit der Sache zu tun hat.
Sir Alfred Hitchcock hat bereits erkannt, dass Spannung entsteht, wenn der Zuschauer mehr weiss, als die Protagonisten. Was der Kultregisseur in Filmen wie «Der Mann, der zuviel wusste» auf die Spitze trieb, ist auch bei «Man on a Ledge» die Aorta, die den Film am Leben hält. Als Zuschauer weiss man relativ schnell, woran man ist, ist sich bewusst, dass hinter der Geschichte mehr steckt und vor allem ist klar, wer die Guten, wer die Bösen sind. Oder doch nicht? «Man On A Ledge» spielt gekonnt mit den angesprochenen Elementen. Aber zu viel verraten sollte man hier nicht, denn das würde die Spannung buchstäblich vom Sims wehen.
«Spring! Spring!»
Beim Stichwort «wehen» sind wir auch schon bei einem der negativen Punkte. Die Gesellschaftskritik. Erst subtil angesprochen, durch Menschen, die mit Handys filmen, um den Moment des Sprungs nicht zu verpassen, überbordet die Schelte gegenüber den konsumgeilen Gaffern und den Medien je länger, je mehr. Ein Helikopter fliegt beispielsweise so nahe an Nick heran, dass der beinahe vom Sims geweht wird und gleichzeitig dringen von der Strasse her «Spring! Spring!»-Chöre durch die Häuserschluchten. Hier will der Film zu viel und scheitert. Auch wenn die Kritik durchaus berechtigt ist, so wird zu viel Gewicht darauf gelegt und nervt spätestens, wenn Nick wiederholt die Menge anheizt. Mittel zum Zweck – klar –, aber beim zweiten Mal verblasst die Wirkung
Der Film hat seine starken Momente, wenn Nick (Sam Worthington, «Avatar») und Polizistin Lydia (Elizabeth Banks, «Zack und Miri make a Porno»), die mit ihren inneren Dämonen kämpft, sich durch die Gespräche auf dem Sims langsam sympathisch werden und die gewiefte Polizistin instinktiv auf das richtige Pferd setzt. Aber auch wenn durch Parallel-Montagen die Handlungsstränge geschickt verbunden werden und sich das erzählerische Mosaik langsam vervollständigt. Dazu kommen einige überraschende und sehr clevere Einfälle, die sowohl die Handlung vorantreiben als auch im Film für Aufruhr sorgen.
Worthington beweist gutes Händchen
Dem Regisseur Asger Leth gelingt mit seinem Spielfilmdebüt ein kurzweiliger und packender Thriller mit einer in sich stimmigen Geschichte. Kreativ inszeniert er seinen Film, nutzt die Häuserschluchten als Symbol für den Abgrund, an dem auch die Hauptfigur steht, und dirigiert seine Schauspieler gekonnt durch die Szenerie. Allen voran Sam Worthington, der einmal mehr ein gutes Händchen bei der Rollenwahl zeigt. Wenn er so weitermacht, wird er noch lange über die Leinwände flimmern. Aber auch sämtliche Nebendarsteller sind gut besetzt. Beispielsweise Hollywoods Allzweckwaffe Ed Harris («Truman Show») als schmieriger Diamantenhändler.
«Man on a Ledge» ist eine gradlinig erzählte Geschichte für alle, die gerne Thriller haben. Der Film schafft das Kunststück, nie zu langweilen. Die Story hängt praktisch nicht durch und über die volle Länge fiebert man mit dem armen Nick auf dem Fenstersims mit. Wer also clever erzähltes Adrenalinkino mag, darf bei «Man on a Ledge» ruhig zugreifen.
- Man on a Ledge (USA 2012)
- Regie: Asger Leth
- Darsteller: Sam Worthington, Elizabeth Banks, Genesis Rodriguez, Ed Harris
- Drehbuch: Pablo F. Fenjves
- Laufzeit: 111 Minuten
- DVD-Start: Ab sofort erhältlich
Bilder: Im Verleih von ASCOT ELITE.