Alkohol ist eine Lösung
Das Leben ist kein Ponyhof. Das weiss Robbie (Paul Brannigan) nur zu gut. Nur knapp entgeht er einer Gefängnisstrafe, nachdem er einen Studenten grundlos krankenhausreif prügelte. Robbie muss sein Leben so schnell wie möglich auf die Reihe kriegen, denn er wird bald Vater. Gut freundet er sich während seiner gemeinnützigen Arbeit mit Sozialarbeiter Harry (John Henshaw, «Starter for Ten») an. Der ältere Mann ist neu in der Stadt und interessiert sich leidenschaftlich für Whiskey. Bald schon fangen auch die anderen zu gemeinnütziger Arbeit verurteilten Aussenseiter Albert (Gary Maitland), Mo (Jasmine Riggins) und Rhino («The Wind That Shakes the Barley») an, im Whiskey mehr zu sehen als den schnellen Rausch. Gemeinsam mit Robbie beschliessen die drei einen seltenen Whiskey zu klauen, um ihn dann auf dem Schwarzmarkt an den skrupellosen Thaddeus (Roger Allem, «V for Vendetta») zu verkaufen.
Beim Engelsanteil handelt es sich um die kleine Menge an Alkohol, die während der Lagerung im Fass verdunstet. Und genau so eine kleine Menge an Aufmerksamkeit und Glauben an sich selbst braucht Robbie. Die bekommt er von Harry, der sich mit der Zeit zu einer Vaterfigur entwickelt. Obschon die Geschichte um den verlorenen Jungen, der nur eine zweite Chance braucht, berührt, irritiert sie zugleich. Als Robbie sich bei einer aussergerichtlichen Verabredung mit seinem Opfer und dessen Familie trifft, ist die Beklemmung gross. Sympathie, oder auch nur so etwas wie Respekt, ist schwer in irgendeiner Form für Robbie zu empfinden. Denn trotz seiner schwierigen Kindheit und Jugend bleiben seine Taten gravierend. Dass diese Taten in Robbies Welt dazugehören, wird demonstriert. Robbie und seine Freundin Leonie (Siobhan Reilly, «Book of Blood») werden sehr «Romeo und Julia»-mässig von ihren Cousins und Brüdern auseinandergetrieben. Denn Robbies und Leonies Väter haben sich bekämpft und die junge Generation führt diese «Tradition» fort. Dass Robbie seine Vergangenheit nicht einfach hinter sich lassen kann, wird mit den ständigen Prügeln und Bedrohungen verständlich gemacht.
In diesen leider sehr realen und traurigen Kontext versucht Regisseur Ken Loach («Sweet Sixteen », «The Wind That Shakes the Barley ») komödiantische Elemente einfliessen zu lassen. Dies gelingt ihm nur bedingt. Zwar funktionieren die humoristischen Szenen, aber ein wirklich erleichterndes Gefühl bringen auch sie nicht ganz zustande. Vielleicht war das auch nicht Loachs Ziel, trotzdem wirkt der Spagat zwischen Milieustudie und Aussenseiterkomödie zu ambitioniert. An den hervorragenden Schauspielern liegt das sicherlich nicht. Diese meistern ihre Rollen bemerkenswert, allen voran Paul Brannigan, der nicht nur in seiner ersten Hauptrolle, sondern seiner ersten Filmrolle überhaupt zu sehen ist. Der junge Schotte hat einen ähnliche Background wie Robbie, jedoch ohne das derartig belastende Strafregister. Pauls Geschichte beweisst allerdings: So unrealistisch ist die Geschichte in «Angel’s Share » nun doch wieder nicht. Aus diesem Grund wird der diesjährige Gewinner des Jurypreises (Cannes Film Festival) wärmstens empfohlen. Denn ob es gefällt oder nicht: Eine Milieustudie kann nie ein gemütliches Filmvergnügen sein, aber sehr wohl ein belehrendes und berührendes.
- Angel’s Share (USA 2012)
- Regie: Ken Loach
- Drehbuch: Paul Laverty
- Besetzung: Paul Brannigan, John Henshaw, Jasmin Riggins, Gary Maitland, William Ruane, Roger Allam
- Dauer: 101 Minuten
- Ab 29. November im Kino