«Ich brauche keinen Aufpasser. Ich bin kein Kind mehr»
«Ich brauche keinen Aufpasser. Ich bin kein Kind mehr.»
Das sagt der berühmte Schauspieler Georges zu Beginn des Filmes zur neuen Personenschutzbeauftragten Aïssa. Aus seinen Handlungen spricht das Gegenteil: Er trinkt zu viel, hat seine Finanzen nicht im Griff, verlegt seine Schlüssel, kauft Überflüssiges und liebt Süsses (auch wenn er es freudlos verschlingt).
In ihrem Debüt schafft es Regisseurin Constance Meyer, ihre Figuren ohne viel Dialog sprechen zu lassen – oder gar durch Bilder zu vermitteln, wann Unwahrheiten erzählt werden. In einer Szene, die auf einem Filmset spielt, sagt eine Schauspielerin in schneller Abfolge viele Male «Nein» zu Georges, bis man sich unsicher ist, wo die Szene in der Szene beginnt und wo sie aufhört. In einem Restaurant kritisiert er wiederum die Oberflächlichkeit der Männer, während er selbst übergriffig mit einer Kellnerin umgeht.
Von Georges zu Gérard ist es kein weiter Weg: Depardieu ist gemacht für diese Rolle. Tatsächlich scheinen einige Charakterzüge der Figur in Hinblick auf die Besetzung geschrieben zu sein (hier sei ein Zwischenfall mit der AirFrance vor rund zehn Jahren erwähnt, auf die im Film angespielt wird). Georges zeigt sich von unangenehmen Seiten, durch einige zugegeben etwas abgegriffene Kniffe schafft es die Regisseurin aber auch, Sympathie für die Figur zu wecken. Die raue Schale des Schauspielers im Film birgt viele Verletzlichkeiten wie Einsamkeit und ein Aussenseitertum, die immer wieder durchscheinen.
«Sie spielen und ich sichere die Umgebung.»
Das antwortet Aïssa Georges, als er sie fragt, ob sie nicht mehr vom Leben möchte als «nur» für die Sicherheit verantwortlich zu sein. Er ist das Kind, sie die Erwachsene.
Wie die meisten Aussagen spricht Schauspielerin Déborah Lukumuena auch diesen Satz mit natürlicher Selbstsicherheit. Lukumuenas Figur muss einerseits als Bodyguard überzeugen – und sich andererseits immer wieder gegenüber dem kindlichen Georges behaupten. Keine einfache Aufgabe: Die Darstellerin überzeugt durch Präsenz und Charisma in ihrer Rolle. Beeindruckend ist, wie sie in Szenen von körperlicher Aktivität sofort von Freundlichkeit zu kontrollierter Gewalt wechseln kann.
Unaufgeregte, aber sinnstiftende Momente gelingen der Regisseurin scheinbar mühelos – etwa, wenn die Hauptfiguren einen Filmtext miteinander üben und das Gesagte aus dem Historiendrama im starken Kontrast mit den Bildern und dem Verhältnis zwischen den Figuren steht. In einer Szene spätabends bleibt die Kamera lange auf Lukumuena und man merkt lediglich daran, wie sich ihr Blick verändert, dass ihr Gegenüber eingeschlafen ist.
«Liebe verdient man sich.»
Was Liebe ist oder sein kann, besonders wenn man «robust» gebaut ist (oder einen robusten Charakter hat), gehört zu den Hauptthemen des Films. So geschieht, auch hier wieder überwiegend ohne Worte, ein kleiner Tabubruch, indem eingeräumt wird, dass das Leben anders ist, wenn man eine normabweichende Erscheinung hat. Die visuelle Metapher der Tiefseefische, welche Georges besitzt, die an sich optisch interessant ist, fällt ein wenig zu passend aus, um auch inhaltlich wirklich anregend zu sein. Die Stärke des Filmes liegt im Skript, das wie die Leitzitate wohl verraten, in verschiedenen Aspekten unkonventionell geschrieben ist und sich auch an komplexen Themen wie Ästhetik und Ehrlichkeit nicht übernimmt.
Natürlich gibt es auch klischierte Aspekte. Natürlich bessern sich die Figuren in unterschiedlichen Weisen gegenseitig ihre Lebenssituationen auf. Natürlich hält Georges es wie das Kind, das er ist, nicht aus, wenn Aïssa Abstand braucht. Aber in Aspekten wie Ethnie bricht die Regisseurin mit Klischees der Rollenverteilung. Auch der Humor ist subtiler als in vergleichbaren Filmen, die sich mit «Robuste» die Nationalität teilen, und findet häufig zwischen den Zeilen statt.
Es eint die Figuren zusätzlich zur Normabweichung eine gewisse Einsamkeit. Diese wird durch Bilder in bläulichen Tönen, auf denen die beiden Hauptdarsteller jeweils allein zu sehen sind und sphärische Klänge mit stark bearbeiteten Stimmen vermittelt.
So passt es auch, wenn Georges in einer Schlüsselszene völlig allein und verlassen dasitzt, mit den Worten einer Figur, die er spielen soll, auf den Lippen:
«Hier bin ich nun, wie ein Kind.»
- Robuste (Frankreich 2021)
- Regie: Constance Meyer
- Besetzung: Gérard Depardieu, Déborah Lukumuena
- Laufzeit: 95 Minuten
- Kinostart: 10. März 2022