Wie ein Mörder Filmgeschichte schrieb ...
Als «Psycho» 1960 in die Kinos kam, zierte die Plakate ein Schriftzug mit der sinngemässen Bitte von Regisseur Alfred Hitchcock, man solle doch seinen Freunden keinesfalls die Auflösung des Films verraten. Auch wenn das jetzt 53 Jahre her ist und es wahrscheinlich nicht mehr viele filminteressierte Menschen gibt, die die Mutter aller Psychothriller nicht kennen, so soll der Wunsch von Sir Alfred Hitchcock natürlich respektiert, die Handlung nur kurz und schmal zusammengefasst und nichts verraten werden, was den Filmspass verderben könnte. Erst im weiteren Text wird der Film, die Machart und der Stellenwert, den der Film noch heute besitzt, ein Thema sein.
Handlung:
Die Sekretärin Marion Crane plagen Geldsorgen. Als ihr Chef sie eines Tages bittet, 40‘000 Dollar zu Bank zu bringen, sieht sie eine Chance gekommen. Sie trifft eine folgenschwer Entscheidung. Marion packt das Geld in ihre Handtasche, setzt sich ins Auto und fährt schnurgerade zu ihrem heimlichen Freund Sam. Doch dort kommt sie nie an. Marions Schwester Lila und Sam machen sich daraufhin gemeinsam mit einem Privatdetektiv auf die Suche.
Wer nicht mehr über den Film wissen möchte, sollte jetzt aufhören zu lesen.
In der Filmgeschichte gibt es kaum einen zweiten Regisseur, der so einflussreich war wie Sir Alfred Hitchcock. Bis heute sind seine Spuren in Filmen von William Friedkin, Eli Roth und natürlich Brian de Palma zu finden. Martin Scorsese lehnte gar mehrer Filme direkt an Hitchcock an. So drehte er eine Boxszene für «Raging Bull» basierend auf der Duschszene aus «Psycho». Wieso Hitchcock so einflussreich ist, zeigt sich nicht zuletzt bei «Psycho». Der britische Regisseur verstand es meisterhaft, die Zuschauer zu manipuliern und das tat er mit viel Spass und sehr bewusst. Das fängt schon mit den Opening Credits an. Die Namen der Schauspieler setzen sich aus mehreren zerschnittenen Ebenen zusammen. Das unterstreicht einerseits die gespaltene Persönlichkeit des Hotelbesitzers Norman Bates. Denn Marion Crane landet auf ihrer Flucht im Bates Motel an einer x-beliebigen Landstrasse. Sie mietet ein Zimmer und wird unter der Dusche von einer schemenhaften Gestalt ermordet.
Marion Crane lebt unmoralisch. Sie stiehlt Geld (Bild 1) und hat eine aussereheliche Affäre (Bild 2). (Mit Maus über Bild fahren)
Andererseits betonen die Credits aber auch, wie sehr letztlich bei «Psycho» das Seherlebnis gespalten wird. Hitchcock traut sich mit diesem Mord nämlich etwas, was es bisher im Kino so nicht gab. Er tötet die Hauptdarstellerin, Janet Leigh, den Star seiner Films, nach einer Dreiviertelstunde. So weit war die Prämisse klar. Frau stiehlt Geld. Frau flieht. Frau wird erwischt oder eben nicht. Und plötzlich ist jeglicher narrativer Halt weg und das Publikum steht vor den Nichts. Denn der Besitzer des Hotels, Norman Bates, findet die Tote im Bad und lässt alle Spuren verschwinden. Sogar das Geld verschwindet mit der Leiche von Marion im Sumpf. Das bringt uns zu einem weiteren Schlagwort, das Hitchcock geprägt hat: den McGuffin. Der Ausdruck bezeichnet ein Element im Film, das nur dazu dient, die Handlung voranzutreiben, aber eigentlich keine Rolle spielt. Bei «Psycho» erfüllt das gestohlene Geld diesen Zweck. Der Diebstahl funktioniert zwar, um die Hauptfigur moralisch fragwürdig dastehen zu lassen, und führt sie überhaupt erst in das verhängnisvolle Motel, steht nach dem Mord jedoch nicht mehr im Zentrum. Stattdessen rückt Norman Bates in den Fokus, übernimmt quasi den Platz von Marion Crane.
Schreie im Kinosaal waren das Ziel
Aber Hitchcock geht nochmals einen Schritt weiter und macht das Publikum zum Mitwisser, in dem er bewusst zeigt, wie Norman das Auto von Marion samt Leiche versenkt. Ab diesem Zeitpunkt weiss das Publikum mehr als die Figuren im Film und erlebt die unterschwellige Gefahr durch Norman Bates jedes Mal, wenn Lila und Sam bei der Suche nach Marion auf ihn treffen, bewusst mit. Durch diesen Trick gelingt es Hitchcock, den Zuschauer mit Spannung zu fesseln. Um nichts anders ging es dem Master of Suspense, wie Hitchcock genannt wird. In einem berühmten Gespräch mit dem französischen Regisseur Francois Truffant sagte Hitchcock, dass er die Leute mit «Psycho» zum Schreien bringen wollte.
Bild 1: Marion gibt die letzten Töne von sich, bevor sie stirbt
und Norman Bates (Bild 2) sie findet und im Sumpf versenkt.
Im gleichen Gespräch wird eine der bekanntesten Szenen der Filmgeschichte thematisiert. Die Duschszene, in der Marion Crane (Janet Leigh erhielt für die Rolle einen Golden Globe) ermordet wird. Die Szene dauert 45 Sekunden und der Aufwand, um sie zu drehen, war enorm. Sieben Tage wurde gedreht und mit siebzig Kamerapositionen gearbeitet. Body-Doubles kamen zum Einsatz. Hitchcock hatte sogar einen künstlichen Körper zur Verfügung, aus dem Blut spritzte, aber er entschied sich dagegen und arbeitet doch mit einem Model. Die Szene ist nach heutigen Massstäben vielleicht eher harmlos, aber im Kontext der Filmgeschichte war der Mord brutal, beschäftigte die Zensurbehörden und prägte den Rest des Films. Hitchcock hat sehr bewusst auf weitere ähnliche Szenen verzichtet, weil er wollte, dass die Kraft der Duschszene im Kopf der Zuschauer hängen bleibt.
Hitchcock, Leigh und Perkins schrieben Filmgeschichte
Dass Norman Bates zum bekanntesten Mörder in der Filmgeschichte wurde, geht auf den Roman «Psycho» von Robert Bloch zurück. Zwar ist das Ansehen des Romans nicht sonderlich gut, aber er lieferte Hitchcock immerhin die Steilvorlage für seinen Norman Bates und Hitchcock, der Perfektionist war, kreierte vom gruseligen Haus auf dem Hügel (steht noch heute in den Universal Studios in Los Angeles) bis zu den ausgestopften Vögeln im Büro des Motels eine perfekte filmische Ikone, denn bis zum heutigen Tag hat «Psycho» nichts von seiner Kraft verloren, nicht zuletzt durch die Schwarze/Weiss-Bilder. Die Geschichte des ödipalen Norman, der seine Mutter umbringt, sie wie ein Tier ausstopft, mit ihr zusammenlebt und schliesslich gar ihre Rolle übernimmt, funktioniert besonders gut, wegen der Darstellung von Anthony Perkins, der mit der Rolle des Norman Bates zwar weltbekannt wurde, sie aber danach nie wieder abstreifen konnte. Perkins starb 1992 an AIDS. Janet Leigh, die Mutter von Jamie Lee Curtis, ist 2004 gestorben. Zusammen mit Hitchcock haben sie Filmgeschichte geschrieben.
Bild 1: Norman Bates fühlt sich in die Ecke gedrängt. Schliesslich kennt er die Frau, nach der der Privatdetektiv sucht. / Bild 2: Auch Marion hat ein schlechtes Gewissen, nachdem sie das Geld gestohlen hat.
Ohne Zweifel ist «Psycho» bis heute ein Film, der sowohl das Publikum begeistert als auch Kritiker beschäftigt. Denn der Film ist so voller Symbolik und brillanter Kameraeinstellungen, dass darüber schon Millionen von Zeichen geschrieben wurden. Im Endeffekt wollte Hitchcock bei aller Perfektion aber nur ein Ziel erreichen: die Leute schockieren.
- Psycho (USA 1960)
- Regie: Alfred Hitchcock
- Drehbuch: Robert Bloch (Roman), Joseph Stefano (Screenplay)
- Besetzung: Anthony Perkins, Janet Leigh, Vera Miles, John Gavin
- Laufzeit: 109 Minuten
- Blu-Ray-Verkaufsstart: 16. Mai 2013
Bilder: Universal Pictures